dann die unbestimmteren Töne sich in der Breite ergehen. Wie das Ganze eine, nicht mechanische, sondern lebendige Farbenharmonie darstellen soll, so relativ auch die untergeordneten Farbenmassen; mag also z. B. in einem Theil einer Landschaft, einer Waldpartie das Grüne herrschen und die übrigen Hauptfarben in andern Theilen der Composition vertreten sein, so verlangt doch das Auge, der Sinn, die Stimmung, daß in der Baumgruppe das Grüne durch Uebergänge in das Gelb-Grüne, das Blau-Grüne, selbst das Röthliche sich schattire und so der Farbenharmonie genüge. -- In diesen Bemerkungen konnte von dem Gebiet der feineren Kreuzungen, Uebergänge, Vermittlungen nicht ganz abgesehen werden, wie- wohl die ausdrückliche Betrachtung desselben noch außerhalb dieser allge- meinen Grundforderungen liegt; es hat jedoch die Malerei selbst in der Zeit der Unreife, wo ihr das Geheimniß der hier zum Voraus berührten verwickeltern Farbenwelt noch verborgen war, den lebendigsten Farbensinn sowohl in der Zusammenstellung, als in der gefühlten technischen Durch- arbeitung der in ihrer noch ungebrochenen Entschiedenheit angewandten Einzelfarben gezeigt: sie hat die Farbe zum Schmelze verklärt. Der Schmelz besteht in einer Durchbildung der Farbe, der ihr das Erdige be- nimmt und ihr ein Leuchten der Oberfläche wie von dem zarten Glanz unendlicher kleiner metallischer Pünctchen verleiht; "der Schmelz ist nicht anders zu gewinnen, als durch eine innigere Verbindung der Farbentheile mit Rücksicht auf den Grad der Leuchtbarkeit der nachzubildenden Erschei- nung, worin ein wesentlicher Theil ihrer Lebensäußerung beruht. -- Aus ihm erklärt sich, warum die alterthümlichen Bilder bei aller Ueberschweng- lichkeit der Farbenpracht, zu der sich noch der helle Schein des Goldes gesellt, nicht grell erscheinen" (M. Unger a. a. O. S. 103). Die reife Kunst verzichtet nicht auf dieses Mittel, sondern bildet es in Verbindung mit der ganzen tieferen und reiferen Durcharbeitung der Farbenwelt, zu deren ausdrücklicher Betrachtung wir nun übergehen, zu noch höherer Voll- kommenheit aus, wie insbesondere die Venetianer gethan haben.
§. 671.
Ebensosehr aber gilt es für's Andere, das feinere Leben der Farbe in der Unendlichkeit der Vermittlungen zwischen Farbe und Farbe nachzubilden und in der Belauschung des Naturvorbilds doch zugleich das Grelle sowohl in diesem, als im Farbenmateriale abzudämpfen. Die Intensität des wirklichen Lichts und die Frische der unmittelbaren Lebendigkeit, welche mit dem Grellen in der Natur versöhnt, ersetzt sich in der Kunst durch die Relativität der Wech- selwirkung bei nothwendiger Umsetzung des Ganzen in tieferen Ton. Es ist nun die Welt der Schattirungen und Töne in der Flüssigkeit ihrer unberechen-
dann die unbeſtimmteren Töne ſich in der Breite ergehen. Wie das Ganze eine, nicht mechaniſche, ſondern lebendige Farbenharmonie darſtellen ſoll, ſo relativ auch die untergeordneten Farbenmaſſen; mag alſo z. B. in einem Theil einer Landſchaft, einer Waldpartie das Grüne herrſchen und die übrigen Hauptfarben in andern Theilen der Compoſition vertreten ſein, ſo verlangt doch das Auge, der Sinn, die Stimmung, daß in der Baumgruppe das Grüne durch Uebergänge in das Gelb-Grüne, das Blau-Grüne, ſelbſt das Röthliche ſich ſchattire und ſo der Farbenharmonie genüge. — In dieſen Bemerkungen konnte von dem Gebiet der feineren Kreuzungen, Uebergänge, Vermittlungen nicht ganz abgeſehen werden, wie- wohl die ausdrückliche Betrachtung deſſelben noch außerhalb dieſer allge- meinen Grundforderungen liegt; es hat jedoch die Malerei ſelbſt in der Zeit der Unreife, wo ihr das Geheimniß der hier zum Voraus berührten verwickeltern Farbenwelt noch verborgen war, den lebendigſten Farbenſinn ſowohl in der Zuſammenſtellung, als in der gefühlten techniſchen Durch- arbeitung der in ihrer noch ungebrochenen Entſchiedenheit angewandten Einzelfarben gezeigt: ſie hat die Farbe zum Schmelze verklärt. Der Schmelz beſteht in einer Durchbildung der Farbe, der ihr das Erdige be- nimmt und ihr ein Leuchten der Oberfläche wie von dem zarten Glanz unendlicher kleiner metalliſcher Pünctchen verleiht; „der Schmelz iſt nicht anders zu gewinnen, als durch eine innigere Verbindung der Farbentheile mit Rückſicht auf den Grad der Leuchtbarkeit der nachzubildenden Erſchei- nung, worin ein weſentlicher Theil ihrer Lebensäußerung beruht. — Aus ihm erklärt ſich, warum die alterthümlichen Bilder bei aller Ueberſchweng- lichkeit der Farbenpracht, zu der ſich noch der helle Schein des Goldes geſellt, nicht grell erſcheinen“ (M. Unger a. a. O. S. 103). Die reife Kunſt verzichtet nicht auf dieſes Mittel, ſondern bildet es in Verbindung mit der ganzen tieferen und reiferen Durcharbeitung der Farbenwelt, zu deren ausdrücklicher Betrachtung wir nun übergehen, zu noch höherer Voll- kommenheit aus, wie insbeſondere die Venetianer gethan haben.
§. 671.
Ebenſoſehr aber gilt es für’s Andere, das feinere Leben der Farbe in der Unendlichkeit der Vermittlungen zwiſchen Farbe und Farbe nachzubilden und in der Belauſchung des Naturvorbilds doch zugleich das Grelle ſowohl in dieſem, als im Farbenmateriale abzudämpfen. Die Intenſität des wirklichen Lichts und die Friſche der unmittelbaren Lebendigkeit, welche mit dem Grellen in der Natur verſöhnt, erſetzt ſich in der Kunſt durch die Relativität der Wech- ſelwirkung bei nothwendiger Umſetzung des Ganzen in tieferen Ton. Es iſt nun die Welt der Schattirungen und Töne in der Flüſſigkeit ihrer unberechen-
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dann die unbeſtimmteren Töne ſich in der Breite ergehen. Wie das
Ganze eine, nicht mechaniſche, ſondern lebendige Farbenharmonie darſtellen
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in einem Theil einer Landſchaft, einer Waldpartie das Grüne herrſchen
und die übrigen Hauptfarben in andern Theilen der Compoſition vertreten
ſein, ſo verlangt doch das Auge, der Sinn, die Stimmung, daß in der
Baumgruppe das Grüne durch Uebergänge in das Gelb-Grüne, das
Blau-Grüne, ſelbſt das Röthliche ſich ſchattire und ſo der Farbenharmonie
genüge. — In dieſen Bemerkungen konnte von dem Gebiet der feineren
Kreuzungen, Uebergänge, Vermittlungen nicht ganz abgeſehen werden, wie-
wohl die ausdrückliche Betrachtung deſſelben noch außerhalb dieſer allge-
meinen Grundforderungen liegt; es hat jedoch die Malerei ſelbſt in der
Zeit der Unreife, wo ihr das Geheimniß der hier zum Voraus berührten
verwickeltern Farbenwelt noch verborgen war, den lebendigſten Farbenſinn
ſowohl in der Zuſammenſtellung, als in der gefühlten techniſchen Durch-
arbeitung der in ihrer noch ungebrochenen Entſchiedenheit angewandten
Einzelfarben gezeigt: ſie hat die Farbe zum Schmelze verklärt. Der
Schmelz beſteht in einer Durchbildung der Farbe, der ihr das Erdige be-
nimmt und ihr ein Leuchten der Oberfläche wie von dem zarten Glanz
unendlicher kleiner metalliſcher Pünctchen verleiht; „der Schmelz iſt nicht
anders zu gewinnen, als durch eine innigere Verbindung der Farbentheile
mit Rückſicht auf den Grad der Leuchtbarkeit der nachzubildenden Erſchei-
nung, worin ein weſentlicher Theil ihrer Lebensäußerung beruht. — Aus
ihm erklärt ſich, warum die alterthümlichen Bilder bei aller Ueberſchweng-
lichkeit der Farbenpracht, zu der ſich noch der helle Schein des Goldes
geſellt, nicht grell erſcheinen“ (M. Unger a. a. O. S. 103). Die reife
Kunſt verzichtet nicht auf dieſes Mittel, ſondern bildet es in Verbindung
mit der ganzen tieferen und reiferen Durcharbeitung der Farbenwelt, zu
deren ausdrücklicher Betrachtung wir nun übergehen, zu noch höherer Voll-
kommenheit aus, wie insbeſondere die Venetianer gethan haben.
§. 671.
Ebenſoſehr aber gilt es für’s Andere, das feinere Leben der Farbe in
der Unendlichkeit der Vermittlungen zwiſchen Farbe und Farbe nachzubilden
und in der Belauſchung des Naturvorbilds doch zugleich das Grelle ſowohl in
dieſem, als im Farbenmateriale abzudämpfen. Die Intenſität des wirklichen
Lichts und die Friſche der unmittelbaren Lebendigkeit, welche mit dem Grellen
in der Natur verſöhnt, erſetzt ſich in der Kunſt durch die Relativität der Wech-
ſelwirkung bei nothwendiger Umſetzung des Ganzen in tieferen Ton. Es iſt
nun die Welt der Schattirungen und Töne in der Flüſſigkeit ihrer unberechen-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/74>, abgerufen am 21.02.2025.
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