Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
in das Gebiet der Plastik, Malerei, selbst in das Gebiet der musikalischen §. 659. Dennoch steht die Malerei an der Grenze der bildenden Kunst. In Jetzt, nachdem alle wesentlichen Grundzüge dargestellt sind, ergänzt
in das Gebiet der Plaſtik, Malerei, ſelbſt in das Gebiet der muſikaliſchen §. 659. Dennoch ſteht die Malerei an der Grenze der bildenden Kunſt. In Jetzt, nachdem alle weſentlichen Grundzüge dargeſtellt ſind, ergänzt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0043" n="535"/> in das Gebiet der Plaſtik, Malerei, ſelbſt in das Gebiet der muſikaliſchen<lb/> und dichteriſchen Wirkungen hinüberſchwanken. Die Plaſtik hat ſchon<lb/> eine Kunſt hinter ſich: ſie kann durch zu ſtrenge Herrſchaft der Meſſung<lb/> in die Baukunſt zurückgreifen, ſie kann aber auch unberechtigter Weiſe in<lb/> die Mittel und den Styl der Malerei, ja in die Bewegtheit der Muſik und<lb/> Poeſie vorgreifen. Was nun die Malerei betrifft, ſo erhellt aus allem Bis-<lb/> herigen ſowohl die Möglichkeit, als die Rechtloſigkeit eines Rückgriffs auf<lb/> den Boden des plaſtiſchen Geſetzes. Nun kann aber der Maler das ſpezifi-<lb/> ſche Geſetz ſeiner Kunſt richtig erkannt haben, aber im Gefühle ſeiner Freiheit<lb/> die Segel zu hoch ſchwellen und nicht nur über die Schranken der Plaſtik,<lb/> ſondern auch über die ſeiner eigenen Kunſt wegſetzend in Muſik und Poeſie<lb/> ſich verlieren, indem er vergißt, daß ihn noch ſtrenge das Geſetz der räum-<lb/> lichen Darſtellung bindet. Dieſe Vorgriffe werden in der Erörterung<lb/> der Stylgeſetze näher beleuchtet und die einzelnen Schranken, die jene Be-<lb/> grenzung in ſich ſchließt, aufgezeigt werden.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 659.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Dennoch ſteht die Malerei an der Grenze der bildenden Kunſt. In<lb/> die Objectivität, welche allerdings noch die beſtimmende Grundlage bleibt<lb/> (§. 650), iſt die <hi rendition="#g">ſubjective Bewegtheit</hi> in dem Maaße eingedrungen,<lb/> daß zum Durchbruch ihres Uebergewichts nur noch ein Schritt fehlt: im Künſtler<lb/> macht ſie ſich als tiefere geiſtige Lockerung und Durcharbeitung, ſowie als frei-<lb/> gelaſſene Vielſeitigkeit und wechſelnde Verſchiedenheit in der Auffaſſung deſſel-<lb/> ben Gegenſtands geltend; im Kunſtwerke durch ſämmtliche §. 649—658 ent-<lb/> wickelte Grundeigenſchaften deſſelben; im Zuſchauer durch unmittelbare und in-<lb/> nigere Betheiligung ſeiner eigenen Subjectivität im Genuſſe.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Jetzt, nachdem alle weſentlichen Grundzüge dargeſtellt ſind, ergänzt<lb/> ſich der Satz des §. 650, daß die Malerei noch an das Geſetz der Ob-<lb/> jectivität wie alle bildende Kunſt gebunden iſt, durch den andern, daß<lb/> ſie als die ſubjectivſte unter den bildenden Künſten an der Grenze dieſer<lb/> Gruppe ſteht. Dieß iſt ſchon in §. 538 ausgeſprochen, nun aber an den<lb/> Eigenſchaften des maleriſchen Kunſtwerks, insbeſondere durch das, was<lb/> in und zu §. 652 über die Wärme der Farbengebung geſagt iſt, nachge-<lb/> wieſen und nur nach zwei Seiten hin noch weiter zu verfolgen, der<lb/> des Künſtlers und des Zuſchauers. Der Maler nimmt die Welt zu einem<lb/> tiefer verarbeitenden Durchdringungsprozeſſe in ſein Inneres herein, löst<lb/> ihre Objectivität in der ſubjectiven Stimmung verzehrender auf, um ſie<lb/> als eine geiſtig durchbildete, durchkochte wieder zu objectiviren; die Inner-<lb/> nerlichkeit ſeiner Kunſt wird in ihm ſelbſt das Geiſtige, das Empfindungs-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [535/0043]
in das Gebiet der Plaſtik, Malerei, ſelbſt in das Gebiet der muſikaliſchen
und dichteriſchen Wirkungen hinüberſchwanken. Die Plaſtik hat ſchon
eine Kunſt hinter ſich: ſie kann durch zu ſtrenge Herrſchaft der Meſſung
in die Baukunſt zurückgreifen, ſie kann aber auch unberechtigter Weiſe in
die Mittel und den Styl der Malerei, ja in die Bewegtheit der Muſik und
Poeſie vorgreifen. Was nun die Malerei betrifft, ſo erhellt aus allem Bis-
herigen ſowohl die Möglichkeit, als die Rechtloſigkeit eines Rückgriffs auf
den Boden des plaſtiſchen Geſetzes. Nun kann aber der Maler das ſpezifi-
ſche Geſetz ſeiner Kunſt richtig erkannt haben, aber im Gefühle ſeiner Freiheit
die Segel zu hoch ſchwellen und nicht nur über die Schranken der Plaſtik,
ſondern auch über die ſeiner eigenen Kunſt wegſetzend in Muſik und Poeſie
ſich verlieren, indem er vergißt, daß ihn noch ſtrenge das Geſetz der räum-
lichen Darſtellung bindet. Dieſe Vorgriffe werden in der Erörterung
der Stylgeſetze näher beleuchtet und die einzelnen Schranken, die jene Be-
grenzung in ſich ſchließt, aufgezeigt werden.
§. 659.
Dennoch ſteht die Malerei an der Grenze der bildenden Kunſt. In
die Objectivität, welche allerdings noch die beſtimmende Grundlage bleibt
(§. 650), iſt die ſubjective Bewegtheit in dem Maaße eingedrungen,
daß zum Durchbruch ihres Uebergewichts nur noch ein Schritt fehlt: im Künſtler
macht ſie ſich als tiefere geiſtige Lockerung und Durcharbeitung, ſowie als frei-
gelaſſene Vielſeitigkeit und wechſelnde Verſchiedenheit in der Auffaſſung deſſel-
ben Gegenſtands geltend; im Kunſtwerke durch ſämmtliche §. 649—658 ent-
wickelte Grundeigenſchaften deſſelben; im Zuſchauer durch unmittelbare und in-
nigere Betheiligung ſeiner eigenen Subjectivität im Genuſſe.
Jetzt, nachdem alle weſentlichen Grundzüge dargeſtellt ſind, ergänzt
ſich der Satz des §. 650, daß die Malerei noch an das Geſetz der Ob-
jectivität wie alle bildende Kunſt gebunden iſt, durch den andern, daß
ſie als die ſubjectivſte unter den bildenden Künſten an der Grenze dieſer
Gruppe ſteht. Dieß iſt ſchon in §. 538 ausgeſprochen, nun aber an den
Eigenſchaften des maleriſchen Kunſtwerks, insbeſondere durch das, was
in und zu §. 652 über die Wärme der Farbengebung geſagt iſt, nachge-
wieſen und nur nach zwei Seiten hin noch weiter zu verfolgen, der
des Künſtlers und des Zuſchauers. Der Maler nimmt die Welt zu einem
tiefer verarbeitenden Durchdringungsprozeſſe in ſein Inneres herein, löst
ihre Objectivität in der ſubjectiven Stimmung verzehrender auf, um ſie
als eine geiſtig durchbildete, durchkochte wieder zu objectiviren; die Inner-
nerlichkeit ſeiner Kunſt wird in ihm ſelbſt das Geiſtige, das Empfindungs-
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