Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
ist die Linie der griechischen Schönheit, aber fein und edel auch das gei- §. 656. Durch alle diese Momente (§. 651--655) ist in weitem Umfang das Die Frage über den Spielraum des Häßlichen hätte früher aufge-
iſt die Linie der griechiſchen Schönheit, aber fein und edel auch das gei- §. 656. Durch alle dieſe Momente (§. 651—655) iſt in weitem Umfang das Die Frage über den Spielraum des Häßlichen hätte früher aufge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0039" n="531"/> iſt die Linie der griechiſchen Schönheit, aber fein und edel auch das gei-<lb/> ſtige Fluidum, das über die gebrochnere Linie ſeinen Zauber gießt.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 656.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Durch alle dieſe Momente (§. 651—655) iſt in weitem Umfang das<lb/><hi rendition="#g">Häßliche</hi> eingedrungen. Daſſelbe iſt in ſolcher Ausdehnung zunächſt durch<lb/> die veränderte Darſtellungsweiſe zugelaſſen: das flüſſige Mittel der Farbe hat<lb/> überhaupt einen weiter leitenden Charakter, zudem wird das Auge von dem<lb/> in Form und Bewegung Häßlichen der einzelnen Geſtalt theils in das Ver-<lb/> breitete der äußern Umgebung, theils zu andern Geſtalten, welche ergänzen,<lb/> was an der einen mißfällt, theils zu dem Intereſſe einer reicheren Handlung,<lb/> wie ſie eben durch die erſchloſſene Vielheit und Bewegtheit der Geſtalten dar-<lb/> ſtellbar geworden iſt, fortgeführt. Dieſe Darſtellungsweiſe iſt aber eben das Mittel<lb/> der zu Grunde liegenden Auffaſſung, welche vom Aeußern auf das <hi rendition="#g">Innere</hi><lb/> weist, und dieſe Auffaſſung läßt das Häßliche nicht nur zu, ſondern führt es<lb/> ausdrücklich ein, um es in das <hi rendition="#g">Erhabene</hi> oder <hi rendition="#g">Komiſche</hi> aufzulöſen, welches<lb/> nun den Standpunct des einfach Schönen aus ſeiner beſtimmenden Geltung<lb/> verdrängt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Die Frage über den Spielraum des Häßlichen hätte früher aufge-<lb/> nommen, zum Ausgangspuncte gezogen werden können, wie in der Lehre<lb/> von der Bildnerkunſt; allein die ungleich größere Freiheit der Bewegung,<lb/> welche dieſer Kunſt gegenüber in der Malerei ſich zuerſt aufdrängt, führte<lb/> raſcher in den poſitiven Mittelpunct ihres innern Geiſtes und aus der<lb/> Darſtellung deſſelben wird hier gefolgert, was ihr dort als urſächliche<lb/> Schranke vorangeſtellt wurde. In der That haben wir das Häßliche<lb/> längſt vor uns: das Dürftige, in Linien minder Schöne, Unregelmäßige<lb/> der Geſtalt und Bewegung, was wir in mehrfachem Zuſammenhang als<lb/> berechtigt in der moraliſchen Auffaſſung geſetzt haben, führt in einer un-<lb/> aufhaltſamen Linie zum eigentlich Häßlichen, wo die Verkehrung der in-<lb/> neren Ordnung eines Organiſmus direct in die Augen ſpringt, und mit<lb/> dem Satze, daß die äußerſte Leidenſchaft, die Zerreißung des Gemüths,<lb/> daß das Böſe nun unter die Kunſt-Stoffe eintritt, iſt das Häßliche<lb/> bereits poſitiv eingeführt, denn dieſe Störungen und Verkehrungen müſſen<lb/> ja in ihrer Erſcheinung häßlich ſein. Nun aber bedarf es dieſer Zuſam-<lb/> menfaſſung des ſchon Eingeräumten, um einen ſo wichtigen Begriff in ſei-<lb/> ner Ausdrücklichkeit hervorzuſtellen und das Weſen der Malerei in Be-<lb/> ziehung auf die großen Gegenſätze im Schönen zu beſtimmen. Der §.<lb/> holt nun aus der erſt äußerlichen Betrachtung nach, wie das Häßliche<lb/> zunächſt <hi rendition="#g">zugelaſſen</hi> iſt. Die Farbe hat, noch abgeſehen vor ihrer innern<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [531/0039]
iſt die Linie der griechiſchen Schönheit, aber fein und edel auch das gei-
ſtige Fluidum, das über die gebrochnere Linie ſeinen Zauber gießt.
§. 656.
Durch alle dieſe Momente (§. 651—655) iſt in weitem Umfang das
Häßliche eingedrungen. Daſſelbe iſt in ſolcher Ausdehnung zunächſt durch
die veränderte Darſtellungsweiſe zugelaſſen: das flüſſige Mittel der Farbe hat
überhaupt einen weiter leitenden Charakter, zudem wird das Auge von dem
in Form und Bewegung Häßlichen der einzelnen Geſtalt theils in das Ver-
breitete der äußern Umgebung, theils zu andern Geſtalten, welche ergänzen,
was an der einen mißfällt, theils zu dem Intereſſe einer reicheren Handlung,
wie ſie eben durch die erſchloſſene Vielheit und Bewegtheit der Geſtalten dar-
ſtellbar geworden iſt, fortgeführt. Dieſe Darſtellungsweiſe iſt aber eben das Mittel
der zu Grunde liegenden Auffaſſung, welche vom Aeußern auf das Innere
weist, und dieſe Auffaſſung läßt das Häßliche nicht nur zu, ſondern führt es
ausdrücklich ein, um es in das Erhabene oder Komiſche aufzulöſen, welches
nun den Standpunct des einfach Schönen aus ſeiner beſtimmenden Geltung
verdrängt.
Die Frage über den Spielraum des Häßlichen hätte früher aufge-
nommen, zum Ausgangspuncte gezogen werden können, wie in der Lehre
von der Bildnerkunſt; allein die ungleich größere Freiheit der Bewegung,
welche dieſer Kunſt gegenüber in der Malerei ſich zuerſt aufdrängt, führte
raſcher in den poſitiven Mittelpunct ihres innern Geiſtes und aus der
Darſtellung deſſelben wird hier gefolgert, was ihr dort als urſächliche
Schranke vorangeſtellt wurde. In der That haben wir das Häßliche
längſt vor uns: das Dürftige, in Linien minder Schöne, Unregelmäßige
der Geſtalt und Bewegung, was wir in mehrfachem Zuſammenhang als
berechtigt in der moraliſchen Auffaſſung geſetzt haben, führt in einer un-
aufhaltſamen Linie zum eigentlich Häßlichen, wo die Verkehrung der in-
neren Ordnung eines Organiſmus direct in die Augen ſpringt, und mit
dem Satze, daß die äußerſte Leidenſchaft, die Zerreißung des Gemüths,
daß das Böſe nun unter die Kunſt-Stoffe eintritt, iſt das Häßliche
bereits poſitiv eingeführt, denn dieſe Störungen und Verkehrungen müſſen
ja in ihrer Erſcheinung häßlich ſein. Nun aber bedarf es dieſer Zuſam-
menfaſſung des ſchon Eingeräumten, um einen ſo wichtigen Begriff in ſei-
ner Ausdrücklichkeit hervorzuſtellen und das Weſen der Malerei in Be-
ziehung auf die großen Gegenſätze im Schönen zu beſtimmen. Der §.
holt nun aus der erſt äußerlichen Betrachtung nach, wie das Häßliche
zunächſt zugelaſſen iſt. Die Farbe hat, noch abgeſehen vor ihrer innern
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