Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.sondern vielmehr die Form ist, aus der er selbst hervorgeht, die er, nach- §. 654. Die landschaftliche Natur, der umgebende Raum überhaupt erscheint nun Das neue Licht, in welchem die Welt aufgefaßt wird, ist zunächst in ſondern vielmehr die Form iſt, aus der er ſelbſt hervorgeht, die er, nach- §. 654. Die landſchaftliche Natur, der umgebende Raum überhaupt erſcheint nun Das neue Licht, in welchem die Welt aufgefaßt wird, iſt zunächſt in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <pb facs="#f0032" n="524"/> <hi rendition="#et">ſondern vielmehr die Form iſt, aus der er ſelbſt hervorgeht, die er, nach-<lb/> dem er aus ihr hervorgegangen, zwar unendlich hinter ſich zurückläßt, aber<lb/> nun wieder zu ſich heraufnimmt, durchdringt, füllt, durchſtrahlt und ſo erſt<lb/> wahrhaft, im realen, concreten Sinne ſetzt. Nun iſt all das Viele un-<lb/> endlich bedeutend und werthvoll, nun erſt iſt es wahrhaft frei, ſelbſtändig,<lb/> denn der Blitz des Geiſtes ſtrahlt aus ihm und in es. Der Verſchluß,<lb/> der den Gott gefangen hielt, iſt aufgegangen; der Gott ſtrömt als Geiſt<lb/> über in alle Welt. Schon zu §. 632, bei der Vergleichung von Statue<lb/> und Gruppe, haben wir die Bezeichnung eines Ausgießens gebraucht und<lb/> auf die Kunſtform hinübergewieſen, von welcher dieſe Bezeichnung im<lb/> volleren Sinne gilt. Die Malerei iſt das Pfingſtfeſt der bildenden Kunſt.<lb/> Ihre Weite und Tiefe iſt jetzt als Eines erkannt. Die Tiefe hat das<lb/> Band gelockert, ja ſcheinbar gelöst, das zwiſchen dem Geiſt als dem Ei-<lb/> nigenden und der Natur als Mutter der Vielheit beſtand, und die Weite<lb/> iſt aufgegangen, aber die Tiefe ſtellt das Band um ſo inniger wieder her,<lb/> der Geiſt hat es nur gelöst, weil er dieſe tiefere Herſtellung wollte; er<lb/> hat die Natur fallen laſſen, um ſie deſto inniger und wärmer zu verklä-<lb/> ren, ſie breitet ſich nun frei aus in <choice><sic>in </sic><corr/></choice>ihrer Weſenfülle und wird doch<lb/> vom Wehen des unſichtbar ſichtbaren Geheimniſſes wieder eingeholt und<lb/> in die Feier der Innerlichkeit getaucht. — Der weſentliche Inhalt dieſes<lb/> §. iſt ſchon von Hegel ausgeſprochen (Aeſth. Th. 2. S. 256. Th. 3.<lb/> S. 5. 6. 15. 17 u. a.); die Erläuterung unſeres §. ſucht die Sache in<lb/> eingänglicheres Licht zu ſtellen und der Schlußſatz deſſelben faßt Alles in<lb/> die möglichſt ſchlagende Formel zuſammen.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 654.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die landſchaftliche Natur, der umgebende Raum überhaupt erſcheint nun<lb/> als ſtimmungsvoller Widerhall des perſönlichen Lebens. Tiefer tritt daſſelbe<lb/> Verhältniß innerhalb der Perſönlichkeit ſelbſt auf. Vom Bande der unmittel-<lb/> baren Einheit mit dem Geiſt entlaſſen ſpielt die Geſtalt und die Welt der man-<lb/> nigfaltigen innern Neigungen, Zuſtände, Kräfte in freierer Willkühr, die zu-<lb/> gleich zu jeder Einſeitigkeit ſich verhärten kann, öffnet ſich in bewegter Beziehung<lb/> zur Außenwelt ihren wechſelvollen Erregungen und läßt dieſelben bis zur tief-<lb/> ſten Aufwühlung und Zerreißung der Seele eindringen; aber das Licht des<lb/> Geiſtes ſcheint in dieſe bis zur Entzweiung losgelaſſene Außenſeite und erhebt<lb/> ihre mannigfaltigen Brechungen zum bedeutungsvollen Ausdruck ſeiner Tiefe.<lb/> Das Gute hat jetzt nicht mehr die Form einfacher Subſtantialität des Charakters,<lb/> das Böſe iſt als Stoff für die Kunſt erſchloſſen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Das neue Licht, in welchem die Welt aufgefaßt wird, iſt zunächſt in<lb/> Anwendung auf die äußere Natur beſtimmter in’s Auge zu faſſen. Seine<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [524/0032]
ſondern vielmehr die Form iſt, aus der er ſelbſt hervorgeht, die er, nach-
dem er aus ihr hervorgegangen, zwar unendlich hinter ſich zurückläßt, aber
nun wieder zu ſich heraufnimmt, durchdringt, füllt, durchſtrahlt und ſo erſt
wahrhaft, im realen, concreten Sinne ſetzt. Nun iſt all das Viele un-
endlich bedeutend und werthvoll, nun erſt iſt es wahrhaft frei, ſelbſtändig,
denn der Blitz des Geiſtes ſtrahlt aus ihm und in es. Der Verſchluß,
der den Gott gefangen hielt, iſt aufgegangen; der Gott ſtrömt als Geiſt
über in alle Welt. Schon zu §. 632, bei der Vergleichung von Statue
und Gruppe, haben wir die Bezeichnung eines Ausgießens gebraucht und
auf die Kunſtform hinübergewieſen, von welcher dieſe Bezeichnung im
volleren Sinne gilt. Die Malerei iſt das Pfingſtfeſt der bildenden Kunſt.
Ihre Weite und Tiefe iſt jetzt als Eines erkannt. Die Tiefe hat das
Band gelockert, ja ſcheinbar gelöst, das zwiſchen dem Geiſt als dem Ei-
nigenden und der Natur als Mutter der Vielheit beſtand, und die Weite
iſt aufgegangen, aber die Tiefe ſtellt das Band um ſo inniger wieder her,
der Geiſt hat es nur gelöst, weil er dieſe tiefere Herſtellung wollte; er
hat die Natur fallen laſſen, um ſie deſto inniger und wärmer zu verklä-
ren, ſie breitet ſich nun frei aus in ihrer Weſenfülle und wird doch
vom Wehen des unſichtbar ſichtbaren Geheimniſſes wieder eingeholt und
in die Feier der Innerlichkeit getaucht. — Der weſentliche Inhalt dieſes
§. iſt ſchon von Hegel ausgeſprochen (Aeſth. Th. 2. S. 256. Th. 3.
S. 5. 6. 15. 17 u. a.); die Erläuterung unſeres §. ſucht die Sache in
eingänglicheres Licht zu ſtellen und der Schlußſatz deſſelben faßt Alles in
die möglichſt ſchlagende Formel zuſammen.
§. 654.
Die landſchaftliche Natur, der umgebende Raum überhaupt erſcheint nun
als ſtimmungsvoller Widerhall des perſönlichen Lebens. Tiefer tritt daſſelbe
Verhältniß innerhalb der Perſönlichkeit ſelbſt auf. Vom Bande der unmittel-
baren Einheit mit dem Geiſt entlaſſen ſpielt die Geſtalt und die Welt der man-
nigfaltigen innern Neigungen, Zuſtände, Kräfte in freierer Willkühr, die zu-
gleich zu jeder Einſeitigkeit ſich verhärten kann, öffnet ſich in bewegter Beziehung
zur Außenwelt ihren wechſelvollen Erregungen und läßt dieſelben bis zur tief-
ſten Aufwühlung und Zerreißung der Seele eindringen; aber das Licht des
Geiſtes ſcheint in dieſe bis zur Entzweiung losgelaſſene Außenſeite und erhebt
ihre mannigfaltigen Brechungen zum bedeutungsvollen Ausdruck ſeiner Tiefe.
Das Gute hat jetzt nicht mehr die Form einfacher Subſtantialität des Charakters,
das Böſe iſt als Stoff für die Kunſt erſchloſſen.
Das neue Licht, in welchem die Welt aufgefaßt wird, iſt zunächſt in
Anwendung auf die äußere Natur beſtimmter in’s Auge zu faſſen. Seine
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |