Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
Nicol. Poussin, der an diesem Muster die kalte Strenge seiner antiken §. 738. Die Despotie dieses abstracten und verfälschten Classicismus durchbricht der
Nicol. Pouſſin, der an dieſem Muſter die kalte Strenge ſeiner antiken §. 738. Die Deſpotie dieſes abſtracten und verfälſchten Claſſiciſmus durchbricht der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0257" n="749"/> Nicol. Pouſſin, der an dieſem Muſter die kalte Strenge ſeiner antiken<lb/> Formbildung und ſchulgerechten Compoſition ausbildete. Allein neben ihm<lb/> her zog ſich eine andere Linie: Vouet hatte ſich an die italieniſchen Na-<lb/> turaliſten gelehnt, le Sueur gieng auf die Eklektiker, ſelbſt auf Raphael<lb/> zurück; das Maleriſche war in der plaſtiſchen Richtung noch ſtark genug,<lb/> jene Blüthe der heroiſchen Landſchaft zu erzeugen (§. 733); endlich aber<lb/> bildeten ſich aus den claſſiſchen Nachwirkungen des Nic. Pouſſin, dem<lb/> daneben fortlaufenden Naturaliſmus und der im zweiten Theile unſeres<lb/> Syſtems geſchilderten Stimmung der Rokoko-Zeit jene in aller Kälte der<lb/> Regel doch wild manierirte, im Conventionellen willkührliche, im Will-<lb/> kührlichen conventionelle, zugleich elegant frivole Malerei aus, in deren<lb/> Mittelpunct noch mit verhältnißmäßiger Würde ein le Brun ſteht. Dieſer<lb/> Geſchmack beherrſchte deſpotiſch die Zeit; die holländiſche Malerei ſelbſt gab<lb/> ſich nun auf und neben edleren Einflüſſen des Italieniſchen ſieht man an<lb/> der geleckten Porzellan-Glätte eines Adrian van der Werff, was daraus<lb/> entſtand. — Durch dieſe Verwilderung und Ausſchweifung ſchneidet nun<lb/> mit ſcharfem Meſſer <hi rendition="#g">David</hi>, wie die Revolution durch den faulen Körper<lb/> des Staats. Der Auffaſſung und Stimmung nach fehlt es ihm und ſeiner<lb/> Schule nicht an Größe; Eines hat er, was ächt maleriſch iſt: drama-<lb/> tiſches Feuer, und nach den <hi rendition="#g">Stoffen</hi> der alten Geſchichte greift er mit<lb/> richtigem Gefühl. Doch dieſes Feuer iſt theatraliſch pathetiſch wie die<lb/> Redner der Revolution und wie der Franzoſe überhaupt (vergl. §. 476<lb/> Anm.) und die claſſiſche Form, ſo ſehr ihr dieſer Ton widerſtrebt, herrſcht<lb/> doch als abſolute Regel in der Zeichnung, die Farbe erkältend, die In-<lb/> dividualität ertödtend, den Schüler im Copiren, Zeichnen nach Modell-<lb/> Acten mechaniſch dreſſirend: der akademiſche Formaliſmus iſt nun erſt in<lb/> ſeiner militäriſchen Ordnung eingeſetzt und legt zwar den Grund zu der<lb/> ausgezeichneten techniſchen Tüchtigkeit der Franzoſen, iſt aber in dieſer<lb/> Einſeitigkeit auch der Tod aller Originalität und Friſche der Anſchauung.<lb/> — In Deutſchland tritt mäßiger, reiner, ruhiger der eklektiſche Idealiſt<lb/> der Form, Raph. <hi rendition="#g">Mengs</hi> auf; doch dieſe Erſcheinung iſt mehr vereinzelt.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 738.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die Deſpotie dieſes abſtracten und verfälſchten Claſſiciſmus durchbricht der<lb/><hi rendition="#g">deutſche</hi> Geiſt, der die alte Kunſt als eine zweite, reine Natur begreift, ihr<lb/> inneres Weſen ſich lebendig aneignet und den Schulzwang umſtößt. Hiemit iſt<lb/> der Moment eingetreten, wo die deutſche Kunſt von dem ihr bis dahin eigenen<lb/> unäſthetiſchen Bruche ſich befreit; doch iſt auch dieſer ächte Claſſiciſmus wieder<lb/> einſeitig, verliert ſich in Mythus und Allegorie und geht auf Koſten des<lb/> national deutſchen Berufs zum ächt Maleriſchen.</hi> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [749/0257]
Nicol. Pouſſin, der an dieſem Muſter die kalte Strenge ſeiner antiken
Formbildung und ſchulgerechten Compoſition ausbildete. Allein neben ihm
her zog ſich eine andere Linie: Vouet hatte ſich an die italieniſchen Na-
turaliſten gelehnt, le Sueur gieng auf die Eklektiker, ſelbſt auf Raphael
zurück; das Maleriſche war in der plaſtiſchen Richtung noch ſtark genug,
jene Blüthe der heroiſchen Landſchaft zu erzeugen (§. 733); endlich aber
bildeten ſich aus den claſſiſchen Nachwirkungen des Nic. Pouſſin, dem
daneben fortlaufenden Naturaliſmus und der im zweiten Theile unſeres
Syſtems geſchilderten Stimmung der Rokoko-Zeit jene in aller Kälte der
Regel doch wild manierirte, im Conventionellen willkührliche, im Will-
kührlichen conventionelle, zugleich elegant frivole Malerei aus, in deren
Mittelpunct noch mit verhältnißmäßiger Würde ein le Brun ſteht. Dieſer
Geſchmack beherrſchte deſpotiſch die Zeit; die holländiſche Malerei ſelbſt gab
ſich nun auf und neben edleren Einflüſſen des Italieniſchen ſieht man an
der geleckten Porzellan-Glätte eines Adrian van der Werff, was daraus
entſtand. — Durch dieſe Verwilderung und Ausſchweifung ſchneidet nun
mit ſcharfem Meſſer David, wie die Revolution durch den faulen Körper
des Staats. Der Auffaſſung und Stimmung nach fehlt es ihm und ſeiner
Schule nicht an Größe; Eines hat er, was ächt maleriſch iſt: drama-
tiſches Feuer, und nach den Stoffen der alten Geſchichte greift er mit
richtigem Gefühl. Doch dieſes Feuer iſt theatraliſch pathetiſch wie die
Redner der Revolution und wie der Franzoſe überhaupt (vergl. §. 476
Anm.) und die claſſiſche Form, ſo ſehr ihr dieſer Ton widerſtrebt, herrſcht
doch als abſolute Regel in der Zeichnung, die Farbe erkältend, die In-
dividualität ertödtend, den Schüler im Copiren, Zeichnen nach Modell-
Acten mechaniſch dreſſirend: der akademiſche Formaliſmus iſt nun erſt in
ſeiner militäriſchen Ordnung eingeſetzt und legt zwar den Grund zu der
ausgezeichneten techniſchen Tüchtigkeit der Franzoſen, iſt aber in dieſer
Einſeitigkeit auch der Tod aller Originalität und Friſche der Anſchauung.
— In Deutſchland tritt mäßiger, reiner, ruhiger der eklektiſche Idealiſt
der Form, Raph. Mengs auf; doch dieſe Erſcheinung iſt mehr vereinzelt.
§. 738.
Die Deſpotie dieſes abſtracten und verfälſchten Claſſiciſmus durchbricht der
deutſche Geiſt, der die alte Kunſt als eine zweite, reine Natur begreift, ihr
inneres Weſen ſich lebendig aneignet und den Schulzwang umſtößt. Hiemit iſt
der Moment eingetreten, wo die deutſche Kunſt von dem ihr bis dahin eigenen
unäſthetiſchen Bruche ſich befreit; doch iſt auch dieſer ächte Claſſiciſmus wieder
einſeitig, verliert ſich in Mythus und Allegorie und geht auf Koſten des
national deutſchen Berufs zum ächt Maleriſchen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |