Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
Kirchenbilde noch voll tiefen Gefühls ist, der zugleich anfängt, die Gestalt g. Die moderne Malerei. §. 733. Italien tritt an den Anfang der Geschichte der modernen Malerei
Kirchenbilde noch voll tiefen Gefühls iſt, der zugleich anfängt, die Geſtalt γ. Die moderne Malerei. §. 733. Italien tritt an den Anfang der Geſchichte der modernen Malerei <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0247" n="739"/> Kirchenbilde noch voll tiefen Gefühls iſt, der zugleich anfängt, die Geſtalt<lb/> aus jenem falſchen Verhältniſſe, worin die maleriſche Umgebung einen<lb/> zu großen Theil des Intereſſes ihr entzog, abzulöſen und für ſich als<lb/> einen Gegenſtand reinen Formſtudiums zu behandeln, Qu. <hi rendition="#g">Meſſys</hi>, zu-<lb/> erſt das Sittenbildliche aus der Verbindung mit dem Mythiſchen heraus<lb/> und ſtellt es nicht nur ſelbſtändig, ſondern auch, wie dieß nach unſerer<lb/> früheren Bemerkung bei ſo manchem Andern, was die frühern deutſchen<lb/> Maler Aehnliches componirten, nicht der Fall war, in völliger Farben-<lb/> Ausführung hin. In Holland nimmt <hi rendition="#g">Lucas von Leyden</hi> die entſchie-<lb/> dene Wendung nach dem Sittenbilde, doch ebenfalls mehr als Kupfer-<lb/> ſtecher. Später ringt in kindlichem Gewande die Landſchaft zur Selb-<lb/> ſtändigkeit; ein Patenier, Herry de Bles überliefert dieſe Anfänge den<lb/> Holländern des ſiebzehnten Jahrhunderts zur Fortbildung. — Höchſt be-<lb/> lehrend aber iſt die andere Erſcheinung: ſie bewährt vollends, was wir<lb/> von der tiefen Schwierigkeit der richtigen Aneignung des Italieniſchen<lb/> geſagt haben. Man wollte daraus recht Ernſt machen und ſtatt einer<lb/> Verſchmelzung entſtand eine Entäußerung deſſen, was der deutſche Styl<lb/> tief berechtigt Eigenes und Großes hatte, eine Aneignung des Fremden<lb/> ohne deſſen Seele und Größe, ein lebloſer Idealiſmus der Form. Die<lb/> Mabuſe, die Bernhard van Orley, Coxcie, Schoreel, Hemskerk waren<lb/> keine ſchlechten Talente im ſtreng maleriſchen Style geweſen, aber in der<lb/> Schule der Italiener werden ſie leere Formaliſten; ſie werfen die ſcharfe<lb/> Naturtreue und Phyſiognomik weg, weil ihr die Schönheit fehlt, und er-<lb/> greifen die Schönheit ohne Lebenswärme. Dieſe Verirrung bezeichnet<lb/> nach der einen Seite das Ende unſerer Periode, nach der andern iſt ſie<lb/> die negative Vorbedingung der großen Entwicklungen der folgenden. So<lb/> werden wir ſie wieder auffaſſen.</hi> </p> </div> </div> </div><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#i">γ</hi>. <hi rendition="#g">Die moderne Malerei</hi>.</head><lb/> <div n="4"> <head>§. 733.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#g">Italien</hi> tritt an den Anfang der Geſchichte der modernen Malerei<lb/> mit einer neuen Lebensregung, welche ein Bild und Vorſpiel der künftigen Ge-<lb/> genſätze und Entwicklungen darſtellt. In der Auflöſung ſucht der <hi rendition="#g">Eklekti-<lb/> ziſmus</hi> den reinen Styl zu retten und begründet die akademiſch correcte Kunſt-<lb/> bildung; ihm wirft ſich der <hi rendition="#g">Naturaliſmus</hi> entgegen, führt das Maleriſche<lb/> in der Form leidenſchaftlich großartiger Wildheit ein und eröffnet das ſelbſtän-<lb/> dige Sittenbild und die Landſchaft. Die letztere wird von bedeutenden <hi rendition="#g">fran-<lb/> zöſiſchen</hi> Talenten im Sinne des hohen Styls zur heroiſchen Form ausge-<lb/> bildet.</hi> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [739/0247]
Kirchenbilde noch voll tiefen Gefühls iſt, der zugleich anfängt, die Geſtalt
aus jenem falſchen Verhältniſſe, worin die maleriſche Umgebung einen
zu großen Theil des Intereſſes ihr entzog, abzulöſen und für ſich als
einen Gegenſtand reinen Formſtudiums zu behandeln, Qu. Meſſys, zu-
erſt das Sittenbildliche aus der Verbindung mit dem Mythiſchen heraus
und ſtellt es nicht nur ſelbſtändig, ſondern auch, wie dieß nach unſerer
früheren Bemerkung bei ſo manchem Andern, was die frühern deutſchen
Maler Aehnliches componirten, nicht der Fall war, in völliger Farben-
Ausführung hin. In Holland nimmt Lucas von Leyden die entſchie-
dene Wendung nach dem Sittenbilde, doch ebenfalls mehr als Kupfer-
ſtecher. Später ringt in kindlichem Gewande die Landſchaft zur Selb-
ſtändigkeit; ein Patenier, Herry de Bles überliefert dieſe Anfänge den
Holländern des ſiebzehnten Jahrhunderts zur Fortbildung. — Höchſt be-
lehrend aber iſt die andere Erſcheinung: ſie bewährt vollends, was wir
von der tiefen Schwierigkeit der richtigen Aneignung des Italieniſchen
geſagt haben. Man wollte daraus recht Ernſt machen und ſtatt einer
Verſchmelzung entſtand eine Entäußerung deſſen, was der deutſche Styl
tief berechtigt Eigenes und Großes hatte, eine Aneignung des Fremden
ohne deſſen Seele und Größe, ein lebloſer Idealiſmus der Form. Die
Mabuſe, die Bernhard van Orley, Coxcie, Schoreel, Hemskerk waren
keine ſchlechten Talente im ſtreng maleriſchen Style geweſen, aber in der
Schule der Italiener werden ſie leere Formaliſten; ſie werfen die ſcharfe
Naturtreue und Phyſiognomik weg, weil ihr die Schönheit fehlt, und er-
greifen die Schönheit ohne Lebenswärme. Dieſe Verirrung bezeichnet
nach der einen Seite das Ende unſerer Periode, nach der andern iſt ſie
die negative Vorbedingung der großen Entwicklungen der folgenden. So
werden wir ſie wieder auffaſſen.
γ. Die moderne Malerei.
§. 733.
Italien tritt an den Anfang der Geſchichte der modernen Malerei
mit einer neuen Lebensregung, welche ein Bild und Vorſpiel der künftigen Ge-
genſätze und Entwicklungen darſtellt. In der Auflöſung ſucht der Eklekti-
ziſmus den reinen Styl zu retten und begründet die akademiſch correcte Kunſt-
bildung; ihm wirft ſich der Naturaliſmus entgegen, führt das Maleriſche
in der Form leidenſchaftlich großartiger Wildheit ein und eröffnet das ſelbſtän-
dige Sittenbild und die Landſchaft. Die letztere wird von bedeutenden fran-
zöſiſchen Talenten im Sinne des hohen Styls zur heroiſchen Form ausge-
bildet.
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