Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
nicht schwunghaft leben konnte. Aufgeschoben war allerdings nicht auf- §. 731. Was auf der Grundlage meisterhafter Technik zur Höhe geführt wird, ist Der §. schickt voraus, was den großen Meistern gemeinsam ist.
nicht ſchwunghaft leben konnte. Aufgeſchoben war allerdings nicht auf- §. 731. Was auf der Grundlage meiſterhafter Technik zur Höhe geführt wird, iſt Der §. ſchickt voraus, was den großen Meiſtern gemeinſam iſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0244" n="736"/> nicht ſchwunghaft leben konnte. Aufgeſchoben war allerdings nicht auf-<lb/> gehoben. Aber die Kämpfe der Reformation mit dem Wahn und mit der<lb/> Verſtockung im Haupte des Reichs, das die Aufgabe der Zeit nicht begriff,<lb/> koſteten Deutſchland ſein Glück und als es Zeit war, daß die ethiſche<lb/> Kriſis äſthetiſch nachwirke, war die reale Grundbedingung aller Kunſt,<lb/> Wohlſtand, Lebensfreude, Nationalgefühl dahin. Darum war aufgeſchoben<lb/> auf ſehr ferne Zukunft aufgeſchoben. Auf die ſpeziellen Hinderniſſe,<lb/> Mangel an wirklicher Kunſt-Unterſtützung, großen Aufträgen, namentlich<lb/> zu Werken der <hi rendition="#g">Wandmalerei</hi>, deren Wichtigkeit für die plaſtiſche He-<lb/> bung des maleriſchen Styls wir erkannt haben (§. 693), die Einwirkung<lb/> der techniſchen Erfindungen, die eine Fülle von Geiſt in die Illuſtration<lb/> und Skizze ableiteten: auf dieß und Anderes kann hier nicht näher ein-<lb/> gegangen werden; die letztere Erſcheinung iſt zu §. 694, <hi rendition="#sub">2</hi>. erwähnt.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 731.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Was auf der Grundlage meiſterhafter Technik zur Höhe geführt wird, iſt<lb/> vor Allem die Phyſiognomik und Charakterzeichnung, was getilgt wird, der<lb/> Mangel an Feuer und Bewegung. Während Albr. <hi rendition="#g">Dürer</hi>, ein Denker der<lb/> Kunſt, wie Leonardo da Vinci, voll Reichthum der Erfindung, Tiefe des Ge-<lb/> dankens und Gefühls, Tüchtigkeit und Wärme des Gemüths, hierin Bahn<lb/> bricht, Luc. <hi rendition="#g">Kranach</hi> mit ſchlichterer Naivetät folgt, tritt in <hi rendition="#g">Hans Holbein</hi><lb/> ein Künſtler auf, der, noch feinerer Phyſiognomiker, wärmerer Coloriſt, als<lb/> Dürer, ſich durch eine in der deutſchen Malerei bis dahin einzige Reinheit<lb/> des Schönheitsſinns auszeichnet und den erſten großen Schritt thut, den italieniſch<lb/> plaſtiſchen Styl mit dem deutſchen zu vermählen, aber auf eine über die Natur<lb/> beider Richtungen höchſt belehrende Weiſe zwiſchen beiden ſchwankt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Der §. ſchickt voraus, was den großen Meiſtern gemeinſam iſt.<lb/> Wir verweilen nicht bei der Vollendung der Technik an ſich, der nur<lb/> die liebevolle, wahrhaft fromme Innigkeit des Fleißes gleichkommt. Die<lb/> Phyſiognomik iſt der tiefſten Bewunderung werth; ſie übertrifft als Haupt-<lb/> ſtärke des ſtreng maleriſchen Styls die italieniſche; getragen iſt auch ſie von<lb/> der Reife, Tiefe, Gründlichkeit des Blicks, die in der meiſterhaften Aus-<lb/> übung der blühenden Porträtmalerei großgewachſen. Die Affectloſigkeit<lb/> und Bewegungsloſigkeit der flandriſchen Schule war zum Theil ſchon<lb/> von den deutſchen Meiſtern und Schulen der Uebergangszeit gebrochen,<lb/> aber jetzt erſt fährt das volle Feuer der aufgeregten Zeit in die ſchüch-<lb/> ternen Glieder der Kunſt und bewegt ſie leidenſchaftlich, doch ohne die<lb/> Bewegung zu veredeln und ohne ſie in rein menſchlicher Handlung ſchwung-<lb/> haft dramatiſch zu verwenden. — Der Umfang unſerer Aufgabe verbietet<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [736/0244]
nicht ſchwunghaft leben konnte. Aufgeſchoben war allerdings nicht auf-
gehoben. Aber die Kämpfe der Reformation mit dem Wahn und mit der
Verſtockung im Haupte des Reichs, das die Aufgabe der Zeit nicht begriff,
koſteten Deutſchland ſein Glück und als es Zeit war, daß die ethiſche
Kriſis äſthetiſch nachwirke, war die reale Grundbedingung aller Kunſt,
Wohlſtand, Lebensfreude, Nationalgefühl dahin. Darum war aufgeſchoben
auf ſehr ferne Zukunft aufgeſchoben. Auf die ſpeziellen Hinderniſſe,
Mangel an wirklicher Kunſt-Unterſtützung, großen Aufträgen, namentlich
zu Werken der Wandmalerei, deren Wichtigkeit für die plaſtiſche He-
bung des maleriſchen Styls wir erkannt haben (§. 693), die Einwirkung
der techniſchen Erfindungen, die eine Fülle von Geiſt in die Illuſtration
und Skizze ableiteten: auf dieß und Anderes kann hier nicht näher ein-
gegangen werden; die letztere Erſcheinung iſt zu §. 694, 2. erwähnt.
§. 731.
Was auf der Grundlage meiſterhafter Technik zur Höhe geführt wird, iſt
vor Allem die Phyſiognomik und Charakterzeichnung, was getilgt wird, der
Mangel an Feuer und Bewegung. Während Albr. Dürer, ein Denker der
Kunſt, wie Leonardo da Vinci, voll Reichthum der Erfindung, Tiefe des Ge-
dankens und Gefühls, Tüchtigkeit und Wärme des Gemüths, hierin Bahn
bricht, Luc. Kranach mit ſchlichterer Naivetät folgt, tritt in Hans Holbein
ein Künſtler auf, der, noch feinerer Phyſiognomiker, wärmerer Coloriſt, als
Dürer, ſich durch eine in der deutſchen Malerei bis dahin einzige Reinheit
des Schönheitsſinns auszeichnet und den erſten großen Schritt thut, den italieniſch
plaſtiſchen Styl mit dem deutſchen zu vermählen, aber auf eine über die Natur
beider Richtungen höchſt belehrende Weiſe zwiſchen beiden ſchwankt.
Der §. ſchickt voraus, was den großen Meiſtern gemeinſam iſt.
Wir verweilen nicht bei der Vollendung der Technik an ſich, der nur
die liebevolle, wahrhaft fromme Innigkeit des Fleißes gleichkommt. Die
Phyſiognomik iſt der tiefſten Bewunderung werth; ſie übertrifft als Haupt-
ſtärke des ſtreng maleriſchen Styls die italieniſche; getragen iſt auch ſie von
der Reife, Tiefe, Gründlichkeit des Blicks, die in der meiſterhaften Aus-
übung der blühenden Porträtmalerei großgewachſen. Die Affectloſigkeit
und Bewegungsloſigkeit der flandriſchen Schule war zum Theil ſchon
von den deutſchen Meiſtern und Schulen der Uebergangszeit gebrochen,
aber jetzt erſt fährt das volle Feuer der aufgeregten Zeit in die ſchüch-
ternen Glieder der Kunſt und bewegt ſie leidenſchaftlich, doch ohne die
Bewegung zu veredeln und ohne ſie in rein menſchlicher Handlung ſchwung-
haft dramatiſch zu verwenden. — Der Umfang unſerer Aufgabe verbietet
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