Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
welt der innern Unendlichkeit, es schließt die Schätze des subjectiven Le- §. 719. Nachdem die letzten Reste jenes der altchristlichen Kunst überlieferten Die Vorstufe umfaßt das Altchristliche, sonst auch das Spätrö-
welt der innern Unendlichkeit, es ſchließt die Schätze des ſubjectiven Le- §. 719. Nachdem die letzten Reſte jenes der altchriſtlichen Kunſt überlieferten Die Vorſtufe umfaßt das Altchriſtliche, ſonſt auch das Spätrö- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0209" n="701"/> welt der innern Unendlichkeit, es ſchließt die Schätze des ſubjectiven Le-<lb/> bens auf, es gibt der Individualität ihre Geltung, es bedingt den Ueber-<lb/> ſchuß des Ausdrucks über die Form, es behandelt dieſe phyſiognomiſch,<lb/> es hebt das Geſetz, daß die einzelne Geſtalt ſchön ſein müſſe, auf und<lb/> führt das andere in’s Leben, wonach die Schönheit aus der bewegten Ge-<lb/> ſammtwirkung, welche die Härten der Erſcheinung als berechtigt ſetzt, ſich<lb/> erzeugt, es entbindet das Häßliche und löst es erhaben oder komiſch auf<lb/> und endlich, was die Hauptſache iſt: es legt ſich in die empfindende<lb/> Phantaſie und taucht in ihr Element auch die bildende, woraus denn<lb/> eben der beſondere Beruf dieſer Weltanſchauung für die Malerei hervor-<lb/> vorgeht. Allein ebenſowahr iſt es, daß der innere Widerſpruch im Geiſte<lb/> des Mittelalters, durch den es den neuen Inhalt, die große Wahrheit<lb/> der Immanenz, wieder in ein mythiſches Jenſeits hinauswirft (§. 447—450),<lb/> daß die Beſchränkung des Intereſſes auf die innerlichſte Angelegenheit<lb/> des einzelnen Menſchen, die Welt- und Geſchichtloſigkeit (§. 452), daß<lb/> die Negativität des aſcetiſchen Standpuncts, die einen ganz andern Bruch<lb/> der ſchönen Form begründet, als den die Malerei in rein äſthetiſchem<lb/> Sinne fordert (§. 456), die volle Ausbildung der Malerei nach ihrem<lb/> ſpezifiſchen Weſen wieder zurückhält. Daher entſteht die Schwierigkeit,<lb/> ob der Zeitmoment, wo dieſe Schranken ſich lüften, als Ausgang des<lb/> Mittelalters oder als Aufgang des modernen Ideals hinzuſtellen ſei.<lb/> Doch das Feſthalten des Mythus trotz der Löſung aller übrigen Feſſeln<lb/> entſcheidet für das Erſtere.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 719.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Nachdem die letzten Reſte jenes der <hi rendition="#g">altchriſtlichen</hi> Kunſt überlieferten<lb/> antiken Erbes (§. 717) durch die <hi rendition="#g">byzantiniſche</hi> Malerei in erſtarrter Form<lb/> gerettet worden und die neue Stoffwelt in ihren allgemeinen Linien entworfen<lb/> iſt, beginnt die Durchdringung dieſes todtenhaft objectiven Styls mit dem neuen<lb/> geiſtigen Leben, welche im Gegenſatze gegen den entſprechenden Schritt in der<lb/> antiken Kunſt zuerſt den Ausdruck der Geſichtszüge beſeelt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Die Vorſtufe umfaßt das <hi rendition="#g">Altchriſtliche</hi>, ſonſt auch das Spätrö-<lb/> miſche genannt, und das <hi rendition="#g">Byzantiniſche</hi>. Jenes bezeichnet der §. nach<lb/> der Stylform mit dem Ausdruck: „die letzten Reſte jenes antiken Erbes“.<lb/> Der Umfang unſerer Aufgabe beſchränkt uns auf wenige kurze Bemer-<lb/> kungen über beide Zeitabſchnitte. Nach Ueberwindung des rigoriſtiſchen<lb/> Abſcheus vor aller Kunſt als heidniſchem Götzen- und Wolluſt-Dienſte<lb/> ſehen wir bekanntlich die erſten ſchüchternen Darſtellungen beſonders in<lb/> den Katakomben auftreten, ſich vervielfältigen, dann, nachdem das Chri-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [701/0209]
welt der innern Unendlichkeit, es ſchließt die Schätze des ſubjectiven Le-
bens auf, es gibt der Individualität ihre Geltung, es bedingt den Ueber-
ſchuß des Ausdrucks über die Form, es behandelt dieſe phyſiognomiſch,
es hebt das Geſetz, daß die einzelne Geſtalt ſchön ſein müſſe, auf und
führt das andere in’s Leben, wonach die Schönheit aus der bewegten Ge-
ſammtwirkung, welche die Härten der Erſcheinung als berechtigt ſetzt, ſich
erzeugt, es entbindet das Häßliche und löst es erhaben oder komiſch auf
und endlich, was die Hauptſache iſt: es legt ſich in die empfindende
Phantaſie und taucht in ihr Element auch die bildende, woraus denn
eben der beſondere Beruf dieſer Weltanſchauung für die Malerei hervor-
vorgeht. Allein ebenſowahr iſt es, daß der innere Widerſpruch im Geiſte
des Mittelalters, durch den es den neuen Inhalt, die große Wahrheit
der Immanenz, wieder in ein mythiſches Jenſeits hinauswirft (§. 447—450),
daß die Beſchränkung des Intereſſes auf die innerlichſte Angelegenheit
des einzelnen Menſchen, die Welt- und Geſchichtloſigkeit (§. 452), daß
die Negativität des aſcetiſchen Standpuncts, die einen ganz andern Bruch
der ſchönen Form begründet, als den die Malerei in rein äſthetiſchem
Sinne fordert (§. 456), die volle Ausbildung der Malerei nach ihrem
ſpezifiſchen Weſen wieder zurückhält. Daher entſteht die Schwierigkeit,
ob der Zeitmoment, wo dieſe Schranken ſich lüften, als Ausgang des
Mittelalters oder als Aufgang des modernen Ideals hinzuſtellen ſei.
Doch das Feſthalten des Mythus trotz der Löſung aller übrigen Feſſeln
entſcheidet für das Erſtere.
§. 719.
Nachdem die letzten Reſte jenes der altchriſtlichen Kunſt überlieferten
antiken Erbes (§. 717) durch die byzantiniſche Malerei in erſtarrter Form
gerettet worden und die neue Stoffwelt in ihren allgemeinen Linien entworfen
iſt, beginnt die Durchdringung dieſes todtenhaft objectiven Styls mit dem neuen
geiſtigen Leben, welche im Gegenſatze gegen den entſprechenden Schritt in der
antiken Kunſt zuerſt den Ausdruck der Geſichtszüge beſeelt.
Die Vorſtufe umfaßt das Altchriſtliche, ſonſt auch das Spätrö-
miſche genannt, und das Byzantiniſche. Jenes bezeichnet der §. nach
der Stylform mit dem Ausdruck: „die letzten Reſte jenes antiken Erbes“.
Der Umfang unſerer Aufgabe beſchränkt uns auf wenige kurze Bemer-
kungen über beide Zeitabſchnitte. Nach Ueberwindung des rigoriſtiſchen
Abſcheus vor aller Kunſt als heidniſchem Götzen- und Wolluſt-Dienſte
ſehen wir bekanntlich die erſten ſchüchternen Darſtellungen beſonders in
den Katakomben auftreten, ſich vervielfältigen, dann, nachdem das Chri-
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