daß kein Zweifel über die eigentliche Gattung entsteht, sowie nach der andern Seite ein unklares Schwanken zwischen reinem und geschichtlichem Sittenbilde zu verwerfen ist.
Was die Verbindung des Sittenbilds mit der Landschaft und der Thierdarstellung betrifft, so ist der Satz des §. schon erläutert durch die Bemerkungen über Staffage §. 698, 2., über die Selbständigkeit des Thierstücks §. 701, 1. Ph. Wouvermann hat es vorzüglich geliebt, die drei Stoffe zu verbinden, allein wo er ein Sittenbild geben will, ist doch Landschaft und Thier, die erstere dadurch, daß sie für sich kein ganzes Bild gäbe, das letztere dadurch, daß sein Charakter ganz im Sinne der Eingewöhnung in menschlichen Dienst gehalten ist, so behandelt, daß wir über den wahren Mittelpunct nicht im Dunkel sein können. Sehen wir nun nach dem Geschichtlichen hinüber, so ist die berechtigte Form der Verbindung, das geschichtliche Sittenbild, schon beleuchtet; wir werden umgekehrt auch ein sittenbildlich behandeltes Geschichtsbild als ganz be- rechtigte Gattung finden. Es gibt aber eine unklare Mischung, die darin besteht, daß ein Vorgang in einer Weise behandelt ist, welche durchaus zu der Meinung veranlaßt, es müsse hier etwas Geschichtliches vorliegen, während dieß doch nicht der Fall ist: man fragt nach Namen und Datum und erhält keine Antwort. So befand sich auf der Kunstausstellung zu Berlin 1852 ein Sittenbild von Lessing: wehrhafte Gebirgsmänner in der Tracht am Ausgang des Mittelalters, von Felsen herab auf Ritter in einem Engpaß schießend, ein Gefangener in vornehmer Kleidung unter ihnen; alles so auffallend porträtartig, bei vortrefflicher Ausführung so local und speziell interessant behandelt, daß man durchaus meinte, im Katalog die Angabe einer bestimmten Begebenheit lesen zu müssen; das Bild wirkte bei allem Werth aus diesem Grunde beunruhigend.
g. Das geschichtliche Bild.
§. 708.
Auf dem Uebergang zu diesem Gebiete steht das Bildniß. Die Ab- hängigkeit dieses Zweigs von empirischen Bedingungen verhindert nicht, daß derselbe nach der einen Seite dem Sittenbilde reichen Stoff zuführe, nach der andern als bedeutungsvolle Vorarbeit und Grundlage der geschichtlichen Malerei vorausgehe und in gewissem Sinn an die Stelle der Götterstatue trete.
Die Porträtmalerei ist ein zwischen ächter, freier Kunst und unfreiem Dienste schwankendes Gebiet. Der Zufall bringt neben der bedeutenden
daß kein Zweifel über die eigentliche Gattung entſteht, ſowie nach der andern Seite ein unklares Schwanken zwiſchen reinem und geſchichtlichem Sittenbilde zu verwerfen iſt.
Was die Verbindung des Sittenbilds mit der Landſchaft und der Thierdarſtellung betrifft, ſo iſt der Satz des §. ſchon erläutert durch die Bemerkungen über Staffage §. 698, 2., über die Selbſtändigkeit des Thierſtücks §. 701, 1. Ph. Wouvermann hat es vorzüglich geliebt, die drei Stoffe zu verbinden, allein wo er ein Sittenbild geben will, iſt doch Landſchaft und Thier, die erſtere dadurch, daß ſie für ſich kein ganzes Bild gäbe, das letztere dadurch, daß ſein Charakter ganz im Sinne der Eingewöhnung in menſchlichen Dienſt gehalten iſt, ſo behandelt, daß wir über den wahren Mittelpunct nicht im Dunkel ſein können. Sehen wir nun nach dem Geſchichtlichen hinüber, ſo iſt die berechtigte Form der Verbindung, das geſchichtliche Sittenbild, ſchon beleuchtet; wir werden umgekehrt auch ein ſittenbildlich behandeltes Geſchichtsbild als ganz be- rechtigte Gattung finden. Es gibt aber eine unklare Miſchung, die darin beſteht, daß ein Vorgang in einer Weiſe behandelt iſt, welche durchaus zu der Meinung veranlaßt, es müſſe hier etwas Geſchichtliches vorliegen, während dieß doch nicht der Fall iſt: man fragt nach Namen und Datum und erhält keine Antwort. So befand ſich auf der Kunſtausſtellung zu Berlin 1852 ein Sittenbild von Leſſing: wehrhafte Gebirgsmänner in der Tracht am Ausgang des Mittelalters, von Felſen herab auf Ritter in einem Engpaß ſchießend, ein Gefangener in vornehmer Kleidung unter ihnen; alles ſo auffallend porträtartig, bei vortrefflicher Ausführung ſo local und ſpeziell intereſſant behandelt, daß man durchaus meinte, im Katalog die Angabe einer beſtimmten Begebenheit leſen zu müſſen; das Bild wirkte bei allem Werth aus dieſem Grunde beunruhigend.
γ. Das geſchichtliche Bild.
§. 708.
Auf dem Uebergang zu dieſem Gebiete ſteht das Bildniß. Die Ab- hängigkeit dieſes Zweigs von empiriſchen Bedingungen verhindert nicht, daß derſelbe nach der einen Seite dem Sittenbilde reichen Stoff zuführe, nach der andern als bedeutungsvolle Vorarbeit und Grundlage der geſchichtlichen Malerei vorausgehe und in gewiſſem Sinn an die Stelle der Götterſtatue trete.
Die Porträtmalerei iſt ein zwiſchen ächter, freier Kunſt und unfreiem Dienſte ſchwankendes Gebiet. Der Zufall bringt neben der bedeutenden
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daß kein Zweifel über die eigentliche Gattung entſteht, ſowie nach der andern
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zu verwerfen iſt.
Was die Verbindung des Sittenbilds mit der Landſchaft und der
Thierdarſtellung betrifft, ſo iſt der Satz des §. ſchon erläutert durch die
Bemerkungen über Staffage §. 698, 2., über die Selbſtändigkeit des
Thierſtücks §. 701, 1. Ph. Wouvermann hat es vorzüglich geliebt, die
drei Stoffe zu verbinden, allein wo er ein Sittenbild geben will, iſt doch
Landſchaft und Thier, die erſtere dadurch, daß ſie für ſich kein ganzes
Bild gäbe, das letztere dadurch, daß ſein Charakter ganz im Sinne
der Eingewöhnung in menſchlichen Dienſt gehalten iſt, ſo behandelt, daß
wir über den wahren Mittelpunct nicht im Dunkel ſein können. Sehen
wir nun nach dem Geſchichtlichen hinüber, ſo iſt die berechtigte Form der
Verbindung, das geſchichtliche Sittenbild, ſchon beleuchtet; wir werden
umgekehrt auch ein ſittenbildlich behandeltes Geſchichtsbild als ganz be-
rechtigte Gattung finden. Es gibt aber eine unklare Miſchung, die darin
beſteht, daß ein Vorgang in einer Weiſe behandelt iſt, welche durchaus
zu der Meinung veranlaßt, es müſſe hier etwas Geſchichtliches vorliegen,
während dieß doch nicht der Fall iſt: man fragt nach Namen und Datum
und erhält keine Antwort. So befand ſich auf der Kunſtausſtellung zu
Berlin 1852 ein Sittenbild von Leſſing: wehrhafte Gebirgsmänner in
der Tracht am Ausgang des Mittelalters, von Felſen herab auf Ritter in
einem Engpaß ſchießend, ein Gefangener in vornehmer Kleidung unter
ihnen; alles ſo auffallend porträtartig, bei vortrefflicher Ausführung ſo
local und ſpeziell intereſſant behandelt, daß man durchaus meinte, im
Katalog die Angabe einer beſtimmten Begebenheit leſen zu müſſen; das
Bild wirkte bei allem Werth aus dieſem Grunde beunruhigend.
γ. Das geſchichtliche Bild.
§. 708.
Auf dem Uebergang zu dieſem Gebiete ſteht das Bildniß. Die Ab-
hängigkeit dieſes Zweigs von empiriſchen Bedingungen verhindert nicht, daß
derſelbe nach der einen Seite dem Sittenbilde reichen Stoff zuführe, nach der
andern als bedeutungsvolle Vorarbeit und Grundlage der geſchichtlichen Malerei
vorausgehe und in gewiſſem Sinn an die Stelle der Götterſtatue trete.
Die Porträtmalerei iſt ein zwiſchen ächter, freier Kunſt und unfreiem
Dienſte ſchwankendes Gebiet. Der Zufall bringt neben der bedeutenden
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 674. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/182>, abgerufen am 05.07.2024.
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