Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.tern nicht blos mittelalterliche Culturformen ohne jede Beziehung auf das Diese Gestaltenwelt schöpft der Maler großentheils nicht unmittelbar §. 704. 1. Nur die erste dieser Sphären stellt das Sittenbild in seiner Reinheit dar. tern nicht blos mittelalterliche Culturformen ohne jede Beziehung auf das Dieſe Geſtaltenwelt ſchöpft der Maler großentheils nicht unmittelbar §. 704. 1. Nur die erſte dieſer Sphären ſtellt das Sittenbild in ſeiner Reinheit dar. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <pb facs="#f0174" n="666"/> <hi rendition="#et">tern nicht blos mittelalterliche Culturformen ohne jede Beziehung auf das<lb/> Mythiſche verſteht). Nun mag denn die Schönheit menſchlicher Geſtalt,<lb/> mögen menſchliche Empfindungen, Motive, Genüſſe als Götter, Genien,<lb/> Geiſter in mancherlei einfacherer Situation oder phantaſtiſch erfundener<lb/> Handlung gleichſam durchſichtiger, unbedingter zur Darſtellung gelangen,<lb/> die Liebe in Amor und Venus oder Feen und Elfen, die Jagdluſt als<lb/> Diana und ihr Gefolge, der Wein nicht in menſchlichem Zechgelage, ſon-<lb/> dern im bacchiſchen Kreiſe oder in einer Gruppe romantiſch erfundener<lb/> Geiſter des Weins, die dunkle, ahnungvolle Beziehung des Menſchen zu<lb/> der Natur in Nymphen, Nereiden, Nixen, Elfen u. ſ. w.: es ſind die<lb/> reinen Geiſter der Sache in zärteren Leibern. Nebenher legt ſich an die-<lb/> ſes Gebiet die toll geſpenſtiſche Welt, wie ſie in den Verſuchungen des<lb/> h. Antonius u. ſ. w. mit traumhaftem Humor dargeſtellt iſt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Dieſe Geſtaltenwelt ſchöpft der Maler großentheils nicht unmittelbar<lb/> aus altem Völkerglauben, ſondern aus dem Munde der Dichter. Die<lb/> Poeſie iſt als weitere Quelle für das Sittenbild gerade hier angeführt,<lb/> weil es namentlich die mythiſchen Stoffe ſind, welche der Maler zunächſt<lb/> aus ihrer Hand empfängt; er kann aber ebenſo gut auch jede andere Art von<lb/> Stoff durch ihre Vermittlung ſich geben laſſen, ſei es irgend ein na-<lb/> menloſes außergeſchichtliches, aber rein reales Motiv, das er z. B.<lb/> aus Romanen ſchöpft, die ſich nicht an die Geſchichte lehnen, wie denn<lb/> eine auf das allgemein Menſchliche in beſonderer Reinheit gerichtete Dichter-<lb/> Phantaſie ihre Stoffe nicht gern genau localiſirt, ſei es auch dichteriſch<lb/> verarbeitete Geſchichte. Es iſt alſo logiſche Verwirrung, wenn man meint,<lb/> die Poeſie ſei eine neue Quelle in dem Sinn, daß ſie eine neue Art von<lb/> Stoffen bringe; es werden dieſelben Stoffe nur aus einem weiteren Me-<lb/> dium entlehnt, durch das ſie vorher gegangen ſind.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 704.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#b">1.</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Nur die erſte dieſer Sphären ſtellt das Sittenbild in ſeiner Reinheit dar.<lb/> Die nähere Eintheilung derſelben gründet ſich zunächſt ebenfalls auf die Unter-<lb/> ſchiede des Stoffs, doch nicht ſowohl nach anthropologiſchen Differenzen und<lb/> nach Völkern, über welche allerdings die Malerei in wachſender Aufſchließung<lb/> der Ferne und Erweiterung des Intereſſes für alles Menſchliche ſich ausdehnt,<lb/><note place="left">2.</note>als vielmehr nach dem verſchiedenen Charakter der <hi rendition="#g">Stände</hi>. Dieſer Unterſchied<lb/> führt unmittelbar zu einer andern Theilung, nämlich derjenigen, welche durch<lb/> die Auffaſſung verſchiedener <hi rendition="#g">Seiten</hi> des Stoffs bedingt iſt, denn je nach der<lb/> geſellſchaftlichen Schichte wendet ſich die künſtleriſche Auffaſſung mehr dem<lb/><hi rendition="#g">innern Seelenleben</hi> oder mehr <hi rendition="#g">den äußern Culturformen</hi> zu; doch<lb/> bringt gerade die Feinheit der pſychologiſchen Belauſchung zugleich die gemüth-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [666/0174]
tern nicht blos mittelalterliche Culturformen ohne jede Beziehung auf das
Mythiſche verſteht). Nun mag denn die Schönheit menſchlicher Geſtalt,
mögen menſchliche Empfindungen, Motive, Genüſſe als Götter, Genien,
Geiſter in mancherlei einfacherer Situation oder phantaſtiſch erfundener
Handlung gleichſam durchſichtiger, unbedingter zur Darſtellung gelangen,
die Liebe in Amor und Venus oder Feen und Elfen, die Jagdluſt als
Diana und ihr Gefolge, der Wein nicht in menſchlichem Zechgelage, ſon-
dern im bacchiſchen Kreiſe oder in einer Gruppe romantiſch erfundener
Geiſter des Weins, die dunkle, ahnungvolle Beziehung des Menſchen zu
der Natur in Nymphen, Nereiden, Nixen, Elfen u. ſ. w.: es ſind die
reinen Geiſter der Sache in zärteren Leibern. Nebenher legt ſich an die-
ſes Gebiet die toll geſpenſtiſche Welt, wie ſie in den Verſuchungen des
h. Antonius u. ſ. w. mit traumhaftem Humor dargeſtellt iſt.
Dieſe Geſtaltenwelt ſchöpft der Maler großentheils nicht unmittelbar
aus altem Völkerglauben, ſondern aus dem Munde der Dichter. Die
Poeſie iſt als weitere Quelle für das Sittenbild gerade hier angeführt,
weil es namentlich die mythiſchen Stoffe ſind, welche der Maler zunächſt
aus ihrer Hand empfängt; er kann aber ebenſo gut auch jede andere Art von
Stoff durch ihre Vermittlung ſich geben laſſen, ſei es irgend ein na-
menloſes außergeſchichtliches, aber rein reales Motiv, das er z. B.
aus Romanen ſchöpft, die ſich nicht an die Geſchichte lehnen, wie denn
eine auf das allgemein Menſchliche in beſonderer Reinheit gerichtete Dichter-
Phantaſie ihre Stoffe nicht gern genau localiſirt, ſei es auch dichteriſch
verarbeitete Geſchichte. Es iſt alſo logiſche Verwirrung, wenn man meint,
die Poeſie ſei eine neue Quelle in dem Sinn, daß ſie eine neue Art von
Stoffen bringe; es werden dieſelben Stoffe nur aus einem weiteren Me-
dium entlehnt, durch das ſie vorher gegangen ſind.
§. 704.
Nur die erſte dieſer Sphären ſtellt das Sittenbild in ſeiner Reinheit dar.
Die nähere Eintheilung derſelben gründet ſich zunächſt ebenfalls auf die Unter-
ſchiede des Stoffs, doch nicht ſowohl nach anthropologiſchen Differenzen und
nach Völkern, über welche allerdings die Malerei in wachſender Aufſchließung
der Ferne und Erweiterung des Intereſſes für alles Menſchliche ſich ausdehnt,
als vielmehr nach dem verſchiedenen Charakter der Stände. Dieſer Unterſchied
führt unmittelbar zu einer andern Theilung, nämlich derjenigen, welche durch
die Auffaſſung verſchiedener Seiten des Stoffs bedingt iſt, denn je nach der
geſellſchaftlichen Schichte wendet ſich die künſtleriſche Auffaſſung mehr dem
innern Seelenleben oder mehr den äußern Culturformen zu; doch
bringt gerade die Feinheit der pſychologiſchen Belauſchung zugleich die gemüth-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |