laufend sich ahnungsvoll verliert, dieß sind die Wirkungen, worauf es abgesehen ist. -- Was nun endlich die zierlichen Kleinigkeiten der Blu- men- und Fruchtstücke und der Zusammenstellungen von Geräthen und dergl., namentlich aber Erfrischungen, worunter das todte Thier eine Hauptrolle spielt: die sog. Still-Leben, auch Frühstücks-Bilder be- trifft, so gilt es hier zunächst allerdings feine Belauschung und Nachah- mung des Objects, die Kunst trägt ihr Licht in das Kleine und Enge, schleicht den zarten Reizen der Form, Farbe, des Lichts, insbesondere des Durchsichtigen nach, weidet sich an ihrer Macht und List, die in den Stoffen eingefangene Naturseele zu ertappen und zum Leuchten zu brin- gen, und sie ist auch darin nicht zu verachten, denn ein Schimmer von Idealität ist selbst in den anspruchslosesten Gattungen des Daseins; doch für sich würde derselbe wenigstens bei den unorganischen oder todten Kör- pern des sog. Still-Lebens nicht ausreichen, das Ganze einer künstlerischen Darstellung zu bilden, die Zusammenstellung erst gibt diesen Dingen ihre Stütze und zwar in dem Sinn, daß sie auf den Geist des abwesenden Besitzers hinweist (Schnaase Niederl. Briefe S. 153): Wohlstand und Behagen des Menschen ist das mittelbare, aber doch das Grund-Motiv in diesen Bildern, sie sind culturhistorisch zu verstehen, man muß die Neigungen und Sitten des Volkes, wo solche Darstellungen beliebt sind, im Auge haben. Mehr Schönheitsgehalt an sich schon hat die organische Gestalt der Blumen und Früchte, doch auch sie können für sich allein nicht Kunst-Objecte sein (vergl. §. 276, 2.); im Strauße, in schönen Gefäßen gruppirt, wiewohl noch duftig und thauig, breitet ein David de Heem, ein Huysum sie hin, als warteten sie des eintretenden Menschen, der sich ihrer Farbe, ihres Geruchs und Geschmacks erlaben möge.
§. 702.
Im Sittenbild ergreift die auf das allgemein Menschliche gerich- tete Art der Phantasie das weite Gebiet des menschlichen Lebens, sofern die gattungsmäßigen Kräfte desselben nicht zu den großen Entscheidungen sich zu- sammenfassen, welche sich mit Namen und Zahl in die Geschichte einzeichnen. So bedeutend der Inhalt und so stark die innere Bewegung sein mag, erscheint daher der Mensch doch als Naturwesen im engern und weitern Sinne des Worts, gehalten am Bande des Allgemeinen in der Bedeutung des Bedürfnisses, der Arbeit, des natürlichen und geselligen Zustands, der Culturformen, kurz der Gewohnheit, der Sitte überhaupt. Die Belauschung und vorherrschende Be- tonung des Einzelnen, Augenblicklichen, Kleinen fließt eben aus diesem Be- griffe des Allgemeinen. Der bestimmende Standpunct ist der epische.
laufend ſich ahnungsvoll verliert, dieß ſind die Wirkungen, worauf es abgeſehen iſt. — Was nun endlich die zierlichen Kleinigkeiten der Blu- men- und Fruchtſtücke und der Zuſammenſtellungen von Geräthen und dergl., namentlich aber Erfriſchungen, worunter das todte Thier eine Hauptrolle ſpielt: die ſog. Still-Leben, auch Frühſtücks-Bilder be- trifft, ſo gilt es hier zunächſt allerdings feine Belauſchung und Nachah- mung des Objects, die Kunſt trägt ihr Licht in das Kleine und Enge, ſchleicht den zarten Reizen der Form, Farbe, des Lichts, insbeſondere des Durchſichtigen nach, weidet ſich an ihrer Macht und Liſt, die in den Stoffen eingefangene Naturſeele zu ertappen und zum Leuchten zu brin- gen, und ſie iſt auch darin nicht zu verachten, denn ein Schimmer von Idealität iſt ſelbſt in den anſpruchsloſeſten Gattungen des Daſeins; doch für ſich würde derſelbe wenigſtens bei den unorganiſchen oder todten Kör- pern des ſog. Still-Lebens nicht ausreichen, das Ganze einer künſtleriſchen Darſtellung zu bilden, die Zuſammenſtellung erſt gibt dieſen Dingen ihre Stütze und zwar in dem Sinn, daß ſie auf den Geiſt des abweſenden Beſitzers hinweist (Schnaaſe Niederl. Briefe S. 153): Wohlſtand und Behagen des Menſchen iſt das mittelbare, aber doch das Grund-Motiv in dieſen Bildern, ſie ſind culturhiſtoriſch zu verſtehen, man muß die Neigungen und Sitten des Volkes, wo ſolche Darſtellungen beliebt ſind, im Auge haben. Mehr Schönheitsgehalt an ſich ſchon hat die organiſche Geſtalt der Blumen und Früchte, doch auch ſie können für ſich allein nicht Kunſt-Objecte ſein (vergl. §. 276, 2.); im Strauße, in ſchönen Gefäßen gruppirt, wiewohl noch duftig und thauig, breitet ein David de Heem, ein Huyſum ſie hin, als warteten ſie des eintretenden Menſchen, der ſich ihrer Farbe, ihres Geruchs und Geſchmacks erlaben möge.
§. 702.
Im Sittenbild ergreift die auf das allgemein Menſchliche gerich- tete Art der Phantaſie das weite Gebiet des menſchlichen Lebens, ſofern die gattungsmäßigen Kräfte deſſelben nicht zu den großen Entſcheidungen ſich zu- ſammenfaſſen, welche ſich mit Namen und Zahl in die Geſchichte einzeichnen. So bedeutend der Inhalt und ſo ſtark die innere Bewegung ſein mag, erſcheint daher der Menſch doch als Naturweſen im engern und weitern Sinne des Worts, gehalten am Bande des Allgemeinen in der Bedeutung des Bedürfniſſes, der Arbeit, des natürlichen und geſelligen Zuſtands, der Culturformen, kurz der Gewohnheit, der Sitte überhaupt. Die Belauſchung und vorherrſchende Be- tonung des Einzelnen, Augenblicklichen, Kleinen fließt eben aus dieſem Be- griffe des Allgemeinen. Der beſtimmende Standpunct iſt der epiſche.
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dergl., namentlich aber Erfriſchungen, worunter das todte Thier eine
Hauptrolle ſpielt: die ſog. Still-Leben, auch Frühſtücks-Bilder be-
trifft, ſo gilt es hier zunächſt allerdings feine Belauſchung und Nachah-
mung des Objects, die Kunſt trägt ihr Licht in das Kleine und Enge,
ſchleicht den zarten Reizen der Form, Farbe, des Lichts, insbeſondere des
Durchſichtigen nach, weidet ſich an ihrer Macht und Liſt, die in den
Stoffen eingefangene Naturſeele zu ertappen und zum Leuchten zu brin-
gen, und ſie iſt auch darin nicht zu verachten, denn ein Schimmer von
Idealität iſt ſelbſt in den anſpruchsloſeſten Gattungen des Daſeins; doch
für ſich würde derſelbe wenigſtens bei den unorganiſchen oder todten Kör-
pern des ſog. Still-Lebens nicht ausreichen, das Ganze einer künſtleriſchen
Darſtellung zu bilden, die Zuſammenſtellung erſt gibt dieſen Dingen ihre
Stütze und zwar in dem Sinn, daß ſie auf den Geiſt des abweſenden
Beſitzers hinweist (Schnaaſe Niederl. Briefe S. 153): Wohlſtand und
Behagen des Menſchen iſt das mittelbare, aber doch das Grund-Motiv
in dieſen Bildern, ſie ſind culturhiſtoriſch zu verſtehen, man muß die
Neigungen und Sitten des Volkes, wo ſolche Darſtellungen beliebt ſind,
im Auge haben. Mehr Schönheitsgehalt an ſich ſchon hat die organiſche
Geſtalt der Blumen und Früchte, doch auch ſie können für ſich allein nicht
Kunſt-Objecte ſein (vergl. §. 276, 2.); im Strauße, in ſchönen Gefäßen
gruppirt, wiewohl noch duftig und thauig, breitet ein David de Heem,
ein Huyſum ſie hin, als warteten ſie des eintretenden Menſchen, der ſich
ihrer Farbe, ihres Geruchs und Geſchmacks erlaben möge.
§. 702.
Im Sittenbild ergreift die auf das allgemein Menſchliche gerich-
tete Art der Phantaſie das weite Gebiet des menſchlichen Lebens, ſofern die
gattungsmäßigen Kräfte deſſelben nicht zu den großen Entſcheidungen ſich zu-
ſammenfaſſen, welche ſich mit Namen und Zahl in die Geſchichte einzeichnen.
So bedeutend der Inhalt und ſo ſtark die innere Bewegung ſein mag, erſcheint
daher der Menſch doch als Naturweſen im engern und weitern Sinne des Worts,
gehalten am Bande des Allgemeinen in der Bedeutung des Bedürfniſſes, der
Arbeit, des natürlichen und geſelligen Zuſtands, der Culturformen, kurz der
Gewohnheit, der Sitte überhaupt. Die Belauſchung und vorherrſchende Be-
tonung des Einzelnen, Augenblicklichen, Kleinen fließt eben aus dieſem Be-
griffe des Allgemeinen. Der beſtimmende Standpunct iſt der epiſche.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 661. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/169>, abgerufen am 05.07.2024.
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