Die Eintheilung, wie sie sich rein aus der Natur der Sache ergibt, grün- det sich auch hier auf die Stoff-Unterschiede der Phantasie (vergl. §. 403). Diese ordnen sich nun so, daß einfach drei Gebiete sich gegenübertreten: das der Landschaft, der Sitte und der Geschichte. Die Einheit der drei Hauptzweige, die hienach entstehen, liegt darin, daß das Sittenbild den Men- schen unter dem Standpunct auffaßt, welcher der Landschaftmalerei zu Grunde liegt. Diese drei Zweige verbinden sich mannigfach, sollen sich aber nicht unklar vermischen.
Das durchgreifende Prinzip für die Eintheilung liegt hier wie bei der Sculptur im Stoffe, also nach Abzug der zweiten, mythischen, in der ursprünglichen Stoffwelt nach ihren Hauptgebieten, oder vielmehr in den Unterschieden der Phantasie, wie solche auf das eine oder andere dieser Gebiete gewiesen und bezogen ist. Es ist der trennende, ausschließende Charakter des Räumlichen, das die Grundform aller bildenden Kunst ist, welcher diese Eintheilung begründet: da kann nicht die Auffassung, son- dern muß die Erfassung (des einen oder andern Stoffes) das Entschei- dende für den Unterschied der Zweige sein. Daß die Genre- und die Historien-Malerei gemeinschaftlich den Menschen zum Gegenstand haben, dieß verändert nichts an der Sache, denn es ist in beiden eine ganz andere Seite des menschlichen Lebens, die den Inhalt bildet, und daher auch die Ausdehnung, in welcher eine gewisse Sphäre von Stoffen (Geräthe und dergl., überhaupt Gegenstände aus dem Gebiete der äußeren Culturformen) in die Darstellung aufgenommen werden, eine sehr verschiedene. Man kann sogar sagen, in allen Hauptzweigen sei es doch auch in der Ma- lerei nur der Mensch, der zur Darstellung komme, denn die Landschaft- malerei zeigt uns in der äußern Natur einen Widerschein menschlicher Stimmung und das Thierstück schließt sich an das Genre wie eine Art analoger Vorbildung menschlicher Zustände. Alles Schöne ist ja in ge- wissem Sinn Erscheinung der Persönlichkeit (vergl. §. 19, 2.). Allein auch diese Wahrheit stößt jenen Eintheilungsgrund nicht um, denn man würde alle Begriffe verwirren, wenn man den tiefsten Beziehungen aller Dinge, welche zuletzt überall zur höchsten Einheit führen, die Folge gäbe, daß dadurch die Strenge der Unterscheidung zerworfen würde. Erst in der Poesie, wo in jedem Gebiete wirklich und eigentlich vom Menschen ausgegangen wird, hört die Unterscheidung, die auf dem Stoffe ruht, auf die maaßgebende zu sein und macht sich dafür eine andere geltend.
Wir nehmen nur drei Hauptzweige an: Landschaftbild, Sittenbild (diesen Namen für Genre behalten wir bei und rechtfertigen ihn an seinem
§. 696.
Die Eintheilung, wie ſie ſich rein aus der Natur der Sache ergibt, grün- det ſich auch hier auf die Stoff-Unterſchiede der Phantaſie (vergl. §. 403). Dieſe ordnen ſich nun ſo, daß einfach drei Gebiete ſich gegenübertreten: das der Landſchaft, der Sitte und der Geſchichte. Die Einheit der drei Hauptzweige, die hienach entſtehen, liegt darin, daß das Sittenbild den Men- ſchen unter dem Standpunct auffaßt, welcher der Landſchaftmalerei zu Grunde liegt. Dieſe drei Zweige verbinden ſich mannigfach, ſollen ſich aber nicht unklar vermiſchen.
Das durchgreifende Prinzip für die Eintheilung liegt hier wie bei der Sculptur im Stoffe, alſo nach Abzug der zweiten, mythiſchen, in der urſprünglichen Stoffwelt nach ihren Hauptgebieten, oder vielmehr in den Unterſchieden der Phantaſie, wie ſolche auf das eine oder andere dieſer Gebiete gewieſen und bezogen iſt. Es iſt der trennende, ausſchließende Charakter des Räumlichen, das die Grundform aller bildenden Kunſt iſt, welcher dieſe Eintheilung begründet: da kann nicht die Auffaſſung, ſon- dern muß die Erfaſſung (des einen oder andern Stoffes) das Entſchei- dende für den Unterſchied der Zweige ſein. Daß die Genre- und die Hiſtorien-Malerei gemeinſchaftlich den Menſchen zum Gegenſtand haben, dieß verändert nichts an der Sache, denn es iſt in beiden eine ganz andere Seite des menſchlichen Lebens, die den Inhalt bildet, und daher auch die Ausdehnung, in welcher eine gewiſſe Sphäre von Stoffen (Geräthe und dergl., überhaupt Gegenſtände aus dem Gebiete der äußeren Culturformen) in die Darſtellung aufgenommen werden, eine ſehr verſchiedene. Man kann ſogar ſagen, in allen Hauptzweigen ſei es doch auch in der Ma- lerei nur der Menſch, der zur Darſtellung komme, denn die Landſchaft- malerei zeigt uns in der äußern Natur einen Widerſchein menſchlicher Stimmung und das Thierſtück ſchließt ſich an das Genre wie eine Art analoger Vorbildung menſchlicher Zuſtände. Alles Schöne iſt ja in ge- wiſſem Sinn Erſcheinung der Perſönlichkeit (vergl. §. 19, 2.). Allein auch dieſe Wahrheit ſtößt jenen Eintheilungsgrund nicht um, denn man würde alle Begriffe verwirren, wenn man den tiefſten Beziehungen aller Dinge, welche zuletzt überall zur höchſten Einheit führen, die Folge gäbe, daß dadurch die Strenge der Unterſcheidung zerworfen würde. Erſt in der Poeſie, wo in jedem Gebiete wirklich und eigentlich vom Menſchen ausgegangen wird, hört die Unterſcheidung, die auf dem Stoffe ruht, auf die maaßgebende zu ſein und macht ſich dafür eine andere geltend.
Wir nehmen nur drei Hauptzweige an: Landſchaftbild, Sittenbild (dieſen Namen für Genre behalten wir bei und rechtfertigen ihn an ſeinem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0153"n="645"/><divn="3"><head>§. 696.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Die Eintheilung, wie ſie ſich rein aus der Natur der Sache ergibt, grün-<lb/>
det ſich auch hier auf die <hirendition="#g">Stoff-Unterſchiede</hi> der Phantaſie (vergl. §. 403).<lb/>
Dieſe ordnen ſich nun ſo, daß einfach drei Gebiete ſich gegenübertreten: das<lb/>
der <hirendition="#g">Landſchaft</hi>, der <hirendition="#g">Sitte</hi> und der <hirendition="#g">Geſchichte</hi>. Die Einheit der drei<lb/>
Hauptzweige, die hienach entſtehen, liegt darin, daß das Sittenbild den Men-<lb/>ſchen unter dem Standpunct auffaßt, welcher der Landſchaftmalerei zu Grunde<lb/>
liegt. Dieſe drei Zweige verbinden ſich mannigfach, ſollen ſich aber nicht unklar<lb/>
vermiſchen.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Das durchgreifende Prinzip für die Eintheilung liegt hier wie bei<lb/>
der Sculptur im Stoffe, alſo nach Abzug der zweiten, mythiſchen, in der<lb/>
urſprünglichen Stoffwelt nach ihren Hauptgebieten, oder vielmehr in den<lb/>
Unterſchieden der Phantaſie, wie ſolche auf das eine oder andere dieſer<lb/>
Gebiete gewieſen und bezogen iſt. Es iſt der trennende, ausſchließende<lb/>
Charakter des Räumlichen, das die Grundform aller bildenden Kunſt iſt,<lb/>
welcher dieſe Eintheilung begründet: da kann nicht die <hirendition="#g">Auff</hi>aſſung, ſon-<lb/>
dern muß die <hirendition="#g">Erf</hi>aſſung (des einen oder andern Stoffes) das Entſchei-<lb/>
dende für den Unterſchied der Zweige ſein. Daß die Genre- und die<lb/>
Hiſtorien-Malerei gemeinſchaftlich den Menſchen zum Gegenſtand haben,<lb/>
dieß verändert nichts an der Sache, denn es iſt in beiden eine ganz andere<lb/>
Seite des menſchlichen Lebens, die den Inhalt bildet, und daher auch die<lb/>
Ausdehnung, in welcher eine gewiſſe Sphäre von Stoffen (Geräthe und<lb/>
dergl., überhaupt Gegenſtände aus dem Gebiete der äußeren Culturformen)<lb/>
in die Darſtellung aufgenommen werden, eine ſehr verſchiedene. Man<lb/>
kann ſogar ſagen, in <hirendition="#g">allen</hi> Hauptzweigen ſei es doch auch in der Ma-<lb/>
lerei nur der <hirendition="#g">Menſch</hi>, der zur Darſtellung komme, denn die Landſchaft-<lb/>
malerei zeigt uns in der äußern Natur einen Widerſchein menſchlicher<lb/>
Stimmung und das Thierſtück ſchließt ſich an das Genre wie eine Art<lb/>
analoger Vorbildung menſchlicher Zuſtände. Alles Schöne iſt ja in ge-<lb/>
wiſſem Sinn Erſcheinung der Perſönlichkeit (vergl. §. 19, <hirendition="#sub">2.</hi>). Allein<lb/>
auch dieſe Wahrheit ſtößt jenen Eintheilungsgrund nicht um, denn man<lb/>
würde alle Begriffe verwirren, wenn man den tiefſten Beziehungen aller<lb/>
Dinge, welche zuletzt überall zur höchſten Einheit führen, die Folge gäbe,<lb/>
daß dadurch die Strenge der Unterſcheidung zerworfen würde. Erſt in<lb/>
der Poeſie, wo in jedem Gebiete wirklich und eigentlich vom Menſchen<lb/>
ausgegangen wird, hört die Unterſcheidung, die auf dem Stoffe ruht, auf<lb/>
die maaßgebende zu ſein und macht ſich dafür eine andere geltend.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">Wir nehmen nur drei Hauptzweige an: Landſchaftbild, Sittenbild<lb/>
(dieſen Namen für Genre behalten wir bei und rechtfertigen ihn an ſeinem<lb/></hi></p></div></div></div></body></text></TEI>
[645/0153]
§. 696.
Die Eintheilung, wie ſie ſich rein aus der Natur der Sache ergibt, grün-
det ſich auch hier auf die Stoff-Unterſchiede der Phantaſie (vergl. §. 403).
Dieſe ordnen ſich nun ſo, daß einfach drei Gebiete ſich gegenübertreten: das
der Landſchaft, der Sitte und der Geſchichte. Die Einheit der drei
Hauptzweige, die hienach entſtehen, liegt darin, daß das Sittenbild den Men-
ſchen unter dem Standpunct auffaßt, welcher der Landſchaftmalerei zu Grunde
liegt. Dieſe drei Zweige verbinden ſich mannigfach, ſollen ſich aber nicht unklar
vermiſchen.
Das durchgreifende Prinzip für die Eintheilung liegt hier wie bei
der Sculptur im Stoffe, alſo nach Abzug der zweiten, mythiſchen, in der
urſprünglichen Stoffwelt nach ihren Hauptgebieten, oder vielmehr in den
Unterſchieden der Phantaſie, wie ſolche auf das eine oder andere dieſer
Gebiete gewieſen und bezogen iſt. Es iſt der trennende, ausſchließende
Charakter des Räumlichen, das die Grundform aller bildenden Kunſt iſt,
welcher dieſe Eintheilung begründet: da kann nicht die Auffaſſung, ſon-
dern muß die Erfaſſung (des einen oder andern Stoffes) das Entſchei-
dende für den Unterſchied der Zweige ſein. Daß die Genre- und die
Hiſtorien-Malerei gemeinſchaftlich den Menſchen zum Gegenſtand haben,
dieß verändert nichts an der Sache, denn es iſt in beiden eine ganz andere
Seite des menſchlichen Lebens, die den Inhalt bildet, und daher auch die
Ausdehnung, in welcher eine gewiſſe Sphäre von Stoffen (Geräthe und
dergl., überhaupt Gegenſtände aus dem Gebiete der äußeren Culturformen)
in die Darſtellung aufgenommen werden, eine ſehr verſchiedene. Man
kann ſogar ſagen, in allen Hauptzweigen ſei es doch auch in der Ma-
lerei nur der Menſch, der zur Darſtellung komme, denn die Landſchaft-
malerei zeigt uns in der äußern Natur einen Widerſchein menſchlicher
Stimmung und das Thierſtück ſchließt ſich an das Genre wie eine Art
analoger Vorbildung menſchlicher Zuſtände. Alles Schöne iſt ja in ge-
wiſſem Sinn Erſcheinung der Perſönlichkeit (vergl. §. 19, 2.). Allein
auch dieſe Wahrheit ſtößt jenen Eintheilungsgrund nicht um, denn man
würde alle Begriffe verwirren, wenn man den tiefſten Beziehungen aller
Dinge, welche zuletzt überall zur höchſten Einheit führen, die Folge gäbe,
daß dadurch die Strenge der Unterſcheidung zerworfen würde. Erſt in
der Poeſie, wo in jedem Gebiete wirklich und eigentlich vom Menſchen
ausgegangen wird, hört die Unterſcheidung, die auf dem Stoffe ruht, auf
die maaßgebende zu ſein und macht ſich dafür eine andere geltend.
Wir nehmen nur drei Hauptzweige an: Landſchaftbild, Sittenbild
(dieſen Namen für Genre behalten wir bei und rechtfertigen ihn an ſeinem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/153>, abgerufen am 05.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.