Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
der Individualität fällt, desto weniger sichtbar und kräftig wird das Ge- §. 691. Die Einheit ist es, von welcher bereits auch die Klarheit in der Einheit in der Vielheit, Vielheit in der Einheit: beides läßt sich
der Individualität fällt, deſto weniger ſichtbar und kräftig wird das Ge- §. 691. Die Einheit iſt es, von welcher bereits auch die Klarheit in der Einheit in der Vielheit, Vielheit in der Einheit: beides läßt ſich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0134" n="626"/> der Individualität fällt, deſto weniger ſichtbar und kräftig wird das Ge-<lb/> ſetz jener einfachen Gegenüberſtellungen wirken; es wird nicht ganz ver-<lb/> ſchwinden, aber es wird ihm leichter und häufiger dadurch genügt werden,<lb/> daß Körpern aus irgend einer Sphäre Körper aus einer andern, niedri-<lb/> geren, aber jetzt zur Geltung gelangten, oder daß Körpern überhaupt die<lb/> Intenſität von Lichtwirkungen als Gegengewicht ſymmetriſch gegenübertritt.<lb/> Haus, Geräthe, Baum, glühender Himmel, glänzende Wolken u. ſ. w.<lb/> ſtellt das Gleichgewicht her. Man ſieht hier, daß Solches, was wir in<lb/> §. 686 im negativen Sinne, als Grund der Erſchwerung feſter Beſtim-<lb/> mungen über die lineare Compoſition geltend gemacht haben, nämlich<lb/> Licht und Farbe, nun doch auch in die poſitive Beziehung zu jener tritt,<lb/> daß es mit ihr in Eine Berechnung gezogen gemeinſchaftlich dem nur<lb/> freier ſich wendenden Geſetze dient. Es iſt natürlich insbeſondere die<lb/> Landſchaft, von welcher das Letztere gilt: die Wirkung der allgemeinen<lb/> Medien tritt mit der Wirkung der durch ſie beleuchteten Körper in dieſen<lb/> Compromiß der gegenſeitigen Ergänzung. Doch iſt auch im Genre und<lb/> in der Landſchaft der Unterſchied der Style wieder wichtig. Das höhere,<lb/> plaſtiſch behandelte Genre componirt mit ſtrengerer Symmetrie, als das<lb/> niedrige; man ſehe zu, wie rein und klar ſich die Gruppen auf L. Roberts<lb/> Bildern: die pontiniſchen Schnitter und die Fiſcher von Chioggia bauen,<lb/> und vergleiche damit einen Teniers; von Claude Lorrain haben wir zu<lb/> §. 686 eine Landſchaft angeführt, wo das Gegenüber rechts Gebirge,<lb/> links Meeresfläche mit intenſivem Licht iſt, aber wie architektoniſch klar<lb/> pflegt er ſonſt den feſten, körperlichen Theil ſeiner Landſchaft an ſich<lb/> ſchon zu bauen, verglichen mit einem Ruysdael!</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 691.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die <hi rendition="#g">Einheit</hi> iſt es, von welcher bereits auch die Klarheit in der<lb/> Auseinanderhaltung des Vielen ausgeht, welche zugleich poſitiv als Bindung<lb/> wirkt und die Scheidung nicht bis zur Zerreißung fortgehen läßt. Dieſelbe<lb/> tritt aber auch leibhaft entweder als bedeutendſter Gegenſtand überhaupt oder<lb/> als bedeutenderer in der einzelnen Gruppe auf und dieß Werthverhältniß der<lb/> Ueberordnung kann zwar auch durch Stellung in der Mitte oder an einer der<lb/> Seiten, wird aber doch irgendwie, wo nicht in der Anordnung des Ganzen,<lb/> doch der Theile ſeinen Ausdruck zugleich weſentlich in der überragenden Höhe<lb/><choice><sic>ſinden</sic><corr>finden</corr></choice>, ſo daß ein Anklang an die <hi rendition="#g">Pyramide</hi> auch durch die Werke der<lb/> ausgebildeten Malerei ſich hindurchzieht.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Einheit in der Vielheit, Vielheit in der Einheit: beides läßt ſich<lb/> nicht trennen, Vertheilung iſt Bindung, Diſpoſition Compoſition und um-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [626/0134]
der Individualität fällt, deſto weniger ſichtbar und kräftig wird das Ge-
ſetz jener einfachen Gegenüberſtellungen wirken; es wird nicht ganz ver-
ſchwinden, aber es wird ihm leichter und häufiger dadurch genügt werden,
daß Körpern aus irgend einer Sphäre Körper aus einer andern, niedri-
geren, aber jetzt zur Geltung gelangten, oder daß Körpern überhaupt die
Intenſität von Lichtwirkungen als Gegengewicht ſymmetriſch gegenübertritt.
Haus, Geräthe, Baum, glühender Himmel, glänzende Wolken u. ſ. w.
ſtellt das Gleichgewicht her. Man ſieht hier, daß Solches, was wir in
§. 686 im negativen Sinne, als Grund der Erſchwerung feſter Beſtim-
mungen über die lineare Compoſition geltend gemacht haben, nämlich
Licht und Farbe, nun doch auch in die poſitive Beziehung zu jener tritt,
daß es mit ihr in Eine Berechnung gezogen gemeinſchaftlich dem nur
freier ſich wendenden Geſetze dient. Es iſt natürlich insbeſondere die
Landſchaft, von welcher das Letztere gilt: die Wirkung der allgemeinen
Medien tritt mit der Wirkung der durch ſie beleuchteten Körper in dieſen
Compromiß der gegenſeitigen Ergänzung. Doch iſt auch im Genre und
in der Landſchaft der Unterſchied der Style wieder wichtig. Das höhere,
plaſtiſch behandelte Genre componirt mit ſtrengerer Symmetrie, als das
niedrige; man ſehe zu, wie rein und klar ſich die Gruppen auf L. Roberts
Bildern: die pontiniſchen Schnitter und die Fiſcher von Chioggia bauen,
und vergleiche damit einen Teniers; von Claude Lorrain haben wir zu
§. 686 eine Landſchaft angeführt, wo das Gegenüber rechts Gebirge,
links Meeresfläche mit intenſivem Licht iſt, aber wie architektoniſch klar
pflegt er ſonſt den feſten, körperlichen Theil ſeiner Landſchaft an ſich
ſchon zu bauen, verglichen mit einem Ruysdael!
§. 691.
Die Einheit iſt es, von welcher bereits auch die Klarheit in der
Auseinanderhaltung des Vielen ausgeht, welche zugleich poſitiv als Bindung
wirkt und die Scheidung nicht bis zur Zerreißung fortgehen läßt. Dieſelbe
tritt aber auch leibhaft entweder als bedeutendſter Gegenſtand überhaupt oder
als bedeutenderer in der einzelnen Gruppe auf und dieß Werthverhältniß der
Ueberordnung kann zwar auch durch Stellung in der Mitte oder an einer der
Seiten, wird aber doch irgendwie, wo nicht in der Anordnung des Ganzen,
doch der Theile ſeinen Ausdruck zugleich weſentlich in der überragenden Höhe
finden, ſo daß ein Anklang an die Pyramide auch durch die Werke der
ausgebildeten Malerei ſich hindurchzieht.
Einheit in der Vielheit, Vielheit in der Einheit: beides läßt ſich
nicht trennen, Vertheilung iſt Bindung, Diſpoſition Compoſition und um-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |