pflichtung ist und ihre Vernachläßigung sich peinlich zu fühlen gibt, das betont man dadurch, daß man einen Namen, der zwar auch der Dishar- monie der Farbe gilt, mit besonderem Nachdruck auf sie anwendet. Beide Seiten hängen aber ja innerlich auch zusammen: die Farbe soll ja mit der Bedeutung, also auch der Ordnung der Gegenstände im Einklang sein und schwerlich wird, wer in der Linear-Composition unruhig wirkt, in der Farbe ruhig wirken. Der Ausdruck ist übrigens so treffend, daß er verständlich ist, noch ehe wir die Gesetze deutlicher zu bestimmen suchen, deren Verletzung er bezeichnet: Auge und Geist muß beunruhigt werden, wenn die Gegenstände in loser Zerstreuung herumtaumeln oder in allzu- engem Knäuel sich verwickeln, wenn man das Einzelne zu Gruppen zu- sammenlesen, wenn man in der Gruppe Theile, Gestalten, Arme und Füße auseinanderlesen muß, wenn die Linien der Haupt-Umrisse sich fliehen und nicht wiederfinden, oder in chaotischem Wirrsal, in zerrissenem Zickzack zusammenstoßen. Die speziellere Ursache solcher Verwirrung muß nicht, aber kann liegen in einer Verletzung derjenigen Aufgabe, die wir unter den Compositions-Gesetzen zuerst aufgeführt haben (§. 495. 496): der Einhaltung des Maaßes im Umfang. Der Maler ist so frei in der Vereinigung vieler Gegenstände zu Einem Bilde, daß er im Uebermuth leicht allzuviele hereinnimmt, müßige Figuren, allzu locker verbundene, störende Episoden einführt, und wie dieß den idealen Eindruck nicht zur Einheit gelangen läßt, so muß es sich auch dem Auge als ein in Linien Unvereinigtes aufdrängen. Die Oekonomie in diesem Sinne setzt ein klares und volles Gefühl des geistigen Einheitspunctes der Aufgabe vor- aus, das mit einem Gefühle räumlicher Wohlordnung im Künstler innerlich zusammenfallen muß; dieß führt aber unmittelbar zur Oekonomie über- haupt, auch abgesehen von dem Zuwenig oder Zuviel im Maaße des Umfangs, das völlig eingehalten sein kann, ohne daß doch das Ganze harmonisch componirt ist. Indem wir nun zu dieser übergehen, wird sich zeigen, daß in der reicheren und verschlungeneren Summe künstlerischer Mittel, die sich in der ausgebildeten Malerei darstellt, doch die einfachen Anhaltspuncte, die uns eine auf dem Boden mythischer Anschauung ihre Stoffe schlicht anordnende Kunst an die Hand gegeben hat, nicht schlecht- hin verloren sind.
§. 690.
Das Gesetz der Vertheilung fordert, daß sich die Vielheit in der ein- zelnen Gruppe nicht unklar verschlinge und ebenso im Ganzen das mehr Ver- einzelte und das Gruppirte deutlich auseinandertrete, damit die verschiedenen Formen des Contrasts wirken können. Im Wesentlichen wird dadurch auch
pflichtung iſt und ihre Vernachläßigung ſich peinlich zu fühlen gibt, das betont man dadurch, daß man einen Namen, der zwar auch der Dishar- monie der Farbe gilt, mit beſonderem Nachdruck auf ſie anwendet. Beide Seiten hängen aber ja innerlich auch zuſammen: die Farbe ſoll ja mit der Bedeutung, alſo auch der Ordnung der Gegenſtände im Einklang ſein und ſchwerlich wird, wer in der Linear-Compoſition unruhig wirkt, in der Farbe ruhig wirken. Der Ausdruck iſt übrigens ſo treffend, daß er verſtändlich iſt, noch ehe wir die Geſetze deutlicher zu beſtimmen ſuchen, deren Verletzung er bezeichnet: Auge und Geiſt muß beunruhigt werden, wenn die Gegenſtände in loſer Zerſtreuung herumtaumeln oder in allzu- engem Knäuel ſich verwickeln, wenn man das Einzelne zu Gruppen zu- ſammenleſen, wenn man in der Gruppe Theile, Geſtalten, Arme und Füße auseinanderleſen muß, wenn die Linien der Haupt-Umriſſe ſich fliehen und nicht wiederfinden, oder in chaotiſchem Wirrſal, in zerriſſenem Zickzack zuſammenſtoßen. Die ſpeziellere Urſache ſolcher Verwirrung muß nicht, aber kann liegen in einer Verletzung derjenigen Aufgabe, die wir unter den Compoſitions-Geſetzen zuerſt aufgeführt haben (§. 495. 496): der Einhaltung des Maaßes im Umfang. Der Maler iſt ſo frei in der Vereinigung vieler Gegenſtände zu Einem Bilde, daß er im Uebermuth leicht allzuviele hereinnimmt, müßige Figuren, allzu locker verbundene, ſtörende Epiſoden einführt, und wie dieß den idealen Eindruck nicht zur Einheit gelangen läßt, ſo muß es ſich auch dem Auge als ein in Linien Unvereinigtes aufdrängen. Die Oekonomie in dieſem Sinne ſetzt ein klares und volles Gefühl des geiſtigen Einheitspunctes der Aufgabe vor- aus, das mit einem Gefühle räumlicher Wohlordnung im Künſtler innerlich zuſammenfallen muß; dieß führt aber unmittelbar zur Oekonomie über- haupt, auch abgeſehen von dem Zuwenig oder Zuviel im Maaße des Umfangs, das völlig eingehalten ſein kann, ohne daß doch das Ganze harmoniſch componirt iſt. Indem wir nun zu dieſer übergehen, wird ſich zeigen, daß in der reicheren und verſchlungeneren Summe künſtleriſcher Mittel, die ſich in der ausgebildeten Malerei darſtellt, doch die einfachen Anhaltspuncte, die uns eine auf dem Boden mythiſcher Anſchauung ihre Stoffe ſchlicht anordnende Kunſt an die Hand gegeben hat, nicht ſchlecht- hin verloren ſind.
§. 690.
Das Geſetz der Vertheilung fordert, daß ſich die Vielheit in der ein- zelnen Gruppe nicht unklar verſchlinge und ebenſo im Ganzen das mehr Ver- einzelte und das Gruppirte deutlich auseinandertrete, damit die verſchiedenen Formen des Contraſts wirken können. Im Weſentlichen wird dadurch auch
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monie der Farbe gilt, mit beſonderem Nachdruck auf ſie anwendet. Beide
Seiten hängen aber ja innerlich auch zuſammen: die Farbe ſoll ja mit
der Bedeutung, alſo auch der Ordnung der Gegenſtände im Einklang
ſein und ſchwerlich wird, wer in der Linear-Compoſition unruhig wirkt,
in der Farbe ruhig wirken. Der Ausdruck iſt übrigens ſo treffend, daß
er verſtändlich iſt, noch ehe wir die Geſetze deutlicher zu beſtimmen ſuchen,
deren Verletzung er bezeichnet: Auge und Geiſt muß beunruhigt werden,
wenn die Gegenſtände in loſer Zerſtreuung herumtaumeln oder in allzu-
engem Knäuel ſich verwickeln, wenn man das Einzelne zu Gruppen zu-
ſammenleſen, wenn man in der Gruppe Theile, Geſtalten, Arme und
Füße auseinanderleſen muß, wenn die Linien der Haupt-Umriſſe ſich
fliehen und nicht wiederfinden, oder in chaotiſchem Wirrſal, in zerriſſenem
Zickzack zuſammenſtoßen. Die ſpeziellere Urſache ſolcher Verwirrung muß
nicht, aber kann liegen in einer Verletzung derjenigen Aufgabe, die wir
unter den Compoſitions-Geſetzen zuerſt aufgeführt haben (§. 495. 496):
der Einhaltung des Maaßes im Umfang. Der Maler iſt ſo frei in der
Vereinigung vieler Gegenſtände zu Einem Bilde, daß er im Uebermuth
leicht allzuviele hereinnimmt, müßige Figuren, allzu locker verbundene,
ſtörende Epiſoden einführt, und wie dieß den idealen Eindruck nicht zur
Einheit gelangen läßt, ſo muß es ſich auch dem Auge als ein in Linien
Unvereinigtes aufdrängen. Die Oekonomie in dieſem Sinne ſetzt ein
klares und volles Gefühl des geiſtigen Einheitspunctes der Aufgabe vor-
aus, das mit einem Gefühle räumlicher Wohlordnung im Künſtler innerlich
zuſammenfallen muß; dieß führt aber unmittelbar zur Oekonomie über-
haupt, auch abgeſehen von dem Zuwenig oder Zuviel im Maaße des
Umfangs, das völlig eingehalten ſein kann, ohne daß doch das Ganze
harmoniſch componirt iſt. Indem wir nun zu dieſer übergehen, wird ſich
zeigen, daß in der reicheren und verſchlungeneren Summe künſtleriſcher
Mittel, die ſich in der ausgebildeten Malerei darſtellt, doch die einfachen
Anhaltspuncte, die uns eine auf dem Boden mythiſcher Anſchauung ihre
Stoffe ſchlicht anordnende Kunſt an die Hand gegeben hat, nicht ſchlecht-
hin verloren ſind.
§. 690.
Das Geſetz der Vertheilung fordert, daß ſich die Vielheit in der ein-
zelnen Gruppe nicht unklar verſchlinge und ebenſo im Ganzen das mehr Ver-
einzelte und das Gruppirte deutlich auseinandertrete, damit die verſchiedenen
Formen des Contraſts wirken können. Im Weſentlichen wird dadurch auch
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/129>, abgerufen am 21.02.2025.
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