Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
Erscheinung leibhaft ausdrückt durch Bewegung und bleibendes Gepräge. §. 599. 1. Dieser Fortgang der Kunst gibt sich jedoch nothwendig die Beschränkung 1. Die erste der Kunstformen, welche das organische und persönliche
Erſcheinung leibhaft ausdrückt durch Bewegung und bleibendes Gepräge. §. 599. 1. Dieſer Fortgang der Kunſt gibt ſich jedoch nothwendig die Beſchränkung 1. Die erſte der Kunſtformen, welche das organiſche und perſönliche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0018" n="344"/> Erſcheinung leibhaft ausdrückt durch Bewegung und bleibendes Gepräge.<lb/> Auch dieſer Ausdruck iſt direct; es bedarf auch hier keines Umwegs einer<lb/> Ueberſetzung in den förmlich gedachten Begriff, der Begriff iſt real in<lb/> ſeiner Erſcheinung da, iſt in ihr Leben geworden und erklärt ſich ſelbſt.<lb/> Auch die Bildnerkunſt, indem ſie dieß mit ſich ſelbſt eine, runde, ſich ſelbſt<lb/> verkündende Ganze wiedergibt, ſpricht noch nicht eigentlich, aber ihre un-<lb/> eigentliche Sprache iſt, verglichen mit der Sprache der Baukunſt, beſtimmte<lb/> Sprache.</hi> </p> </div><lb/> <div n="7"> <head>§. 599.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#fr">1.</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Dieſer Fortgang der Kunſt gibt ſich jedoch nothwendig die Beſchränkung<lb/> eines <hi rendition="#g">erſten</hi> Schritts, worin ſich die unmittelbare Herkunft aus der Baukunſt<lb/> verräth. Er nimmt ſich von der Erſcheinung der Perſönlichkeit nur die feſte<lb/> räumliche Form als Object des <hi rendition="#g">taſtenden</hi>, das Greifliche umſpannenden, eben-<lb/> daher auf einer Grundlage eigentlicher Meſſung ſich bewegenden und dadurch<lb/> auf die Wiſſenſchaft bezogenen Sehens (§. 404) zu ſeinem Gegenſtand, und die<lb/> Kunſtthätigkeit, in welcher die ſo organiſirte Phantaſie ſich niederlegt, ſtellt dieſer<lb/> Auffaſſung gemäß ihr inneres Bild im harten und ſchweren Materiale dar; die<lb/> Bewegung des organiſchen Gebildes, welche in der Erfaſſung durch das taſtende<lb/> Sehen mitbegriffen war, fällt in dieſer Nachbildung weg, es wird alſo ein<lb/><note place="left">2.</note><hi rendition="#g">Zeitleben</hi> im <hi rendition="#g">Raume gefeſſelt</hi>. Das Gebiet des landſchaftlichen Schönen<lb/> wird demgemäß nothwendig überſprungen und dem Bildwerk überhaupt der Raum<lb/> nicht mitgegeben: die Baukunſt gab den Raum und kein Subject für ihn, die<lb/> Bildnerkunſt läßt ſich den Raum für ihr Subject wie das aufzeigende Licht von<lb/> außen durch die Natur oder die Baukunſt geben.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Die erſte der Kunſtformen, welche das organiſche und perſönliche<lb/> Leben darſtellen, iſt bei allem abſoluten Fortſchritt noch architekturartig.<lb/> Es kann mit dieſem erſten Schritte noch nicht diejenige Art der bildenden<lb/> Phantaſie in Thätigkeit treten, welche auf das eigentliche, d. h. die Ge-<lb/> ſammtwirkung der Oberfläche in Licht und Farbe erfaſſende Sehen geſtellt<lb/> iſt, ſondern erſt diejenige, welche auf jenem taſtenden Sehen ruht, d. h.<lb/> auf dem Auge, das durch ein verhülltes Taſten organiſche Formen in ihrer<lb/> greiflichen Raumerfüllung umſpannt. Es gibt Leute, welche bei allen<lb/> Dingen auf Farbe, Bewegung, Ausdruck ſehen; ſie geben bei einer menſch-<lb/> lichen Geſtalt unvollkommen entwickelten, ſelbſt unregelmäßigen, ſchiefen<lb/> Wuchs, unedel gebildete Hand, Geſichtszüge von geringer Schönheit der<lb/> Linie gegen ſchönen Teint, charaktervollen Blick und Zug, Grazie im Mie-<lb/> nenſpiel gern in den Kauf, ja ſie bemerken wohl jene Mängel überhaupt<lb/> nicht. Dieſe Naturen ſind für die Sculptur, ſelbſt für ihr Verſtändniß<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [344/0018]
Erſcheinung leibhaft ausdrückt durch Bewegung und bleibendes Gepräge.
Auch dieſer Ausdruck iſt direct; es bedarf auch hier keines Umwegs einer
Ueberſetzung in den förmlich gedachten Begriff, der Begriff iſt real in
ſeiner Erſcheinung da, iſt in ihr Leben geworden und erklärt ſich ſelbſt.
Auch die Bildnerkunſt, indem ſie dieß mit ſich ſelbſt eine, runde, ſich ſelbſt
verkündende Ganze wiedergibt, ſpricht noch nicht eigentlich, aber ihre un-
eigentliche Sprache iſt, verglichen mit der Sprache der Baukunſt, beſtimmte
Sprache.
§. 599.
Dieſer Fortgang der Kunſt gibt ſich jedoch nothwendig die Beſchränkung
eines erſten Schritts, worin ſich die unmittelbare Herkunft aus der Baukunſt
verräth. Er nimmt ſich von der Erſcheinung der Perſönlichkeit nur die feſte
räumliche Form als Object des taſtenden, das Greifliche umſpannenden, eben-
daher auf einer Grundlage eigentlicher Meſſung ſich bewegenden und dadurch
auf die Wiſſenſchaft bezogenen Sehens (§. 404) zu ſeinem Gegenſtand, und die
Kunſtthätigkeit, in welcher die ſo organiſirte Phantaſie ſich niederlegt, ſtellt dieſer
Auffaſſung gemäß ihr inneres Bild im harten und ſchweren Materiale dar; die
Bewegung des organiſchen Gebildes, welche in der Erfaſſung durch das taſtende
Sehen mitbegriffen war, fällt in dieſer Nachbildung weg, es wird alſo ein
Zeitleben im Raume gefeſſelt. Das Gebiet des landſchaftlichen Schönen
wird demgemäß nothwendig überſprungen und dem Bildwerk überhaupt der Raum
nicht mitgegeben: die Baukunſt gab den Raum und kein Subject für ihn, die
Bildnerkunſt läßt ſich den Raum für ihr Subject wie das aufzeigende Licht von
außen durch die Natur oder die Baukunſt geben.
1. Die erſte der Kunſtformen, welche das organiſche und perſönliche
Leben darſtellen, iſt bei allem abſoluten Fortſchritt noch architekturartig.
Es kann mit dieſem erſten Schritte noch nicht diejenige Art der bildenden
Phantaſie in Thätigkeit treten, welche auf das eigentliche, d. h. die Ge-
ſammtwirkung der Oberfläche in Licht und Farbe erfaſſende Sehen geſtellt
iſt, ſondern erſt diejenige, welche auf jenem taſtenden Sehen ruht, d. h.
auf dem Auge, das durch ein verhülltes Taſten organiſche Formen in ihrer
greiflichen Raumerfüllung umſpannt. Es gibt Leute, welche bei allen
Dingen auf Farbe, Bewegung, Ausdruck ſehen; ſie geben bei einer menſch-
lichen Geſtalt unvollkommen entwickelten, ſelbſt unregelmäßigen, ſchiefen
Wuchs, unedel gebildete Hand, Geſichtszüge von geringer Schönheit der
Linie gegen ſchönen Teint, charaktervollen Blick und Zug, Grazie im Mie-
nenſpiel gern in den Kauf, ja ſie bemerken wohl jene Mängel überhaupt
nicht. Dieſe Naturen ſind für die Sculptur, ſelbſt für ihr Verſtändniß
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