Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
3. Die römische Baukunst.
§. 586.

1.

Die römische Baukunst nimmt gemäß dem Geiste der Nation (vergl.
§. 442 ff.) von den Griechen den reichen korinthischen Styl auf, erhöht im
Sinne des Colossalen und Pompösen seine Verhältnisse und steigert seine Pracht.
2.Eigen ist ihr und bezeichnet ebensosehr die umspannende Macht des erobernden
Volks, als seinen praktischen Charakter, die Wölbung: ein fruchtbares Prinzip,
das auch nach verschiedenen Seiten, insbesondere als kuppelbedeckter Rundbau
(vergl. §. 565), ausgebildet wird, ohne daß doch die wahren Ergebnisse desselben
zur Entwicklung gelangen; vielmehr wird die Wölbung unorganisch mit den
3.griechischen Formen zusammengestellt. Der praktische Beruf äußert sich zugleich
durch reiche und großartige Schöpfungen im Gebiete der Einzelzwecke des per-
sönlichen und öffentlichen Lebens (vergl. §. 575. 576).

1. Wir übergehen den etrurisch-römischen Architravbau mit der soge-
nannten toscanischen Säule und führen den zur Kaiserzeit aus Griechenland
aufgenommenen korinthischen Styl als das eine Moment der römischen
Baukunst auf. Neigte dieser Styl an sich schon zu orientalischer Pracht,
so liegt nun in der römischen Richtung auf das Colossale und Pompöse
ursprünglich auch etwas an den Orient Gemahnendes, das eben darum
jene Ausbildungsstufe des Griechischen sich vor allen andern aneignete.
Die römische Prachtliebe ist aber mit dem schon an sich Prächtigen dieses
Styls nicht zufrieden; das korinthische Kapitell erhält zu den Akanthus-
blättern die jonischen Voluten in ihrer ganzen Größe, ja Adler- und Genien-
Gestalten treten aus jenen hervor, der Stamm bedeckt sich mit Ornament
oder bleibt mit Abwerfung der Cannelen ganz glatt, um Granit und
farbigen Marmor in seinem Glanze zu zeigen. Die Verhältnisse werden
namentlich in der Höherichtung in's Colossale getrieben, so daß zwischen
der Höhe der Säule und der Tiefe der Halle, der Länge der Architrave
in den Zwischenweiten ein Widerspruch entsteht, da die Marmorblöcke in
solcher Größe nicht beizuschaffen waren, um Ueberspannungen von ent-
sprechender Breite und Länge auszuführen. Die weitere Häufung der
Formen zeigt sich erst in der Verbindung des griechischen Styls mit dem
Gewölbe.

2. Die Kunst, durch Fügung von Steinen, die im Keilschnitte be-
arbeitet sind, zu wölben, tritt in vereinzelten Erscheinungen schon im
Orient hervor, selbst die Griechen scheinen von den entfernteren Ansätzen

3. Die römiſche Baukunſt.
§. 586.

1.

Die römiſche Baukunſt nimmt gemäß dem Geiſte der Nation (vergl.
§. 442 ff.) von den Griechen den reichen korinthiſchen Styl auf, erhöht im
Sinne des Coloſſalen und Pompöſen ſeine Verhältniſſe und ſteigert ſeine Pracht.
2.Eigen iſt ihr und bezeichnet ebenſoſehr die umſpannende Macht des erobernden
Volks, als ſeinen praktiſchen Charakter, die Wölbung: ein fruchtbares Prinzip,
das auch nach verſchiedenen Seiten, insbeſondere als kuppelbedeckter Rundbau
(vergl. §. 565), ausgebildet wird, ohne daß doch die wahren Ergebniſſe deſſelben
zur Entwicklung gelangen; vielmehr wird die Wölbung unorganiſch mit den
3.griechiſchen Formen zuſammengeſtellt. Der praktiſche Beruf äußert ſich zugleich
durch reiche und großartige Schöpfungen im Gebiete der Einzelzwecke des per-
ſönlichen und öffentlichen Lebens (vergl. §. 575. 576).

1. Wir übergehen den etruriſch-römiſchen Architravbau mit der ſoge-
nannten toſcaniſchen Säule und führen den zur Kaiſerzeit aus Griechenland
aufgenommenen korinthiſchen Styl als das eine Moment der römiſchen
Baukunſt auf. Neigte dieſer Styl an ſich ſchon zu orientaliſcher Pracht,
ſo liegt nun in der römiſchen Richtung auf das Coloſſale und Pompöſe
urſprünglich auch etwas an den Orient Gemahnendes, das eben darum
jene Ausbildungsſtufe des Griechiſchen ſich vor allen andern aneignete.
Die römiſche Prachtliebe iſt aber mit dem ſchon an ſich Prächtigen dieſes
Styls nicht zufrieden; das korinthiſche Kapitell erhält zu den Akanthus-
blättern die joniſchen Voluten in ihrer ganzen Größe, ja Adler- und Genien-
Geſtalten treten aus jenen hervor, der Stamm bedeckt ſich mit Ornament
oder bleibt mit Abwerfung der Cannelen ganz glatt, um Granit und
farbigen Marmor in ſeinem Glanze zu zeigen. Die Verhältniſſe werden
namentlich in der Höherichtung in’s Coloſſale getrieben, ſo daß zwiſchen
der Höhe der Säule und der Tiefe der Halle, der Länge der Architrave
in den Zwiſchenweiten ein Widerſpruch entſteht, da die Marmorblöcke in
ſolcher Größe nicht beizuſchaffen waren, um Ueberſpannungen von ent-
ſprechender Breite und Länge auszuführen. Die weitere Häufung der
Formen zeigt ſich erſt in der Verbindung des griechiſchen Styls mit dem
Gewölbe.

2. Die Kunſt, durch Fügung von Steinen, die im Keilſchnitte be-
arbeitet ſind, zu wölben, tritt in vereinzelten Erſcheinungen ſchon im
Orient hervor, ſelbſt die Griechen ſcheinen von den entfernteren Anſätzen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <pb facs="#f0134" n="294"/>
                  <div n="7">
                    <head>3. <hi rendition="#g">Die römi&#x017F;che Baukun&#x017F;t</hi>.</head><lb/>
                    <div n="8">
                      <head>§. 586.</head><lb/>
                      <note place="left"> <hi rendition="#fr">1.</hi> </note>
                      <p> <hi rendition="#fr">Die römi&#x017F;che Baukun&#x017F;t nimmt gemäß dem Gei&#x017F;te der Nation (vergl.<lb/>
§. 442 ff.) von den Griechen den reichen korinthi&#x017F;chen Styl auf, erhöht im<lb/>
Sinne des Colo&#x017F;&#x017F;alen und Pompö&#x017F;en &#x017F;eine Verhältni&#x017F;&#x017F;e und &#x017F;teigert &#x017F;eine Pracht.<lb/><note place="left">2.</note>Eigen i&#x017F;t ihr und bezeichnet eben&#x017F;o&#x017F;ehr die um&#x017F;pannende Macht des erobernden<lb/>
Volks, als &#x017F;einen prakti&#x017F;chen Charakter, die <hi rendition="#g">Wölbung</hi>: ein fruchtbares Prinzip,<lb/>
das auch nach ver&#x017F;chiedenen Seiten, insbe&#x017F;ondere als kuppelbedeckter <hi rendition="#g">Rundbau</hi><lb/>
(vergl. §. 565), ausgebildet wird, ohne daß doch die wahren Ergebni&#x017F;&#x017F;e de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
zur Entwicklung gelangen; vielmehr wird die Wölbung unorgani&#x017F;ch mit den<lb/><note place="left">3.</note>griechi&#x017F;chen Formen zu&#x017F;ammenge&#x017F;tellt. Der prakti&#x017F;che Beruf äußert &#x017F;ich zugleich<lb/>
durch reiche und großartige Schöpfungen im Gebiete der Einzelzwecke des per-<lb/>
&#x017F;önlichen und öffentlichen Lebens (vergl. §. 575. 576).</hi> </p><lb/>
                      <p> <hi rendition="#et">1. Wir übergehen den etruri&#x017F;ch-römi&#x017F;chen Architravbau mit der &#x017F;oge-<lb/>
nannten to&#x017F;cani&#x017F;chen Säule und führen den zur Kai&#x017F;erzeit aus Griechenland<lb/>
aufgenommenen korinthi&#x017F;chen Styl als das eine Moment der römi&#x017F;chen<lb/>
Baukun&#x017F;t auf. Neigte die&#x017F;er Styl an &#x017F;ich &#x017F;chon zu orientali&#x017F;cher Pracht,<lb/>
&#x017F;o liegt nun in der römi&#x017F;chen Richtung auf das Colo&#x017F;&#x017F;ale und Pompö&#x017F;e<lb/>
ur&#x017F;prünglich auch etwas an den Orient Gemahnendes, das eben darum<lb/>
jene Ausbildungs&#x017F;tufe des Griechi&#x017F;chen &#x017F;ich vor allen andern aneignete.<lb/>
Die römi&#x017F;che Prachtliebe i&#x017F;t aber mit dem &#x017F;chon an &#x017F;ich Prächtigen die&#x017F;es<lb/>
Styls nicht zufrieden; das korinthi&#x017F;che Kapitell erhält zu den Akanthus-<lb/>
blättern die joni&#x017F;chen Voluten in ihrer ganzen Größe, ja Adler- und Genien-<lb/>
Ge&#x017F;talten treten aus jenen hervor, der Stamm bedeckt &#x017F;ich mit Ornament<lb/>
oder bleibt mit Abwerfung der Cannelen ganz glatt, um Granit und<lb/>
farbigen Marmor in &#x017F;einem Glanze zu zeigen. Die Verhältni&#x017F;&#x017F;e werden<lb/>
namentlich in der Höherichtung in&#x2019;s Colo&#x017F;&#x017F;ale getrieben, &#x017F;o daß zwi&#x017F;chen<lb/>
der Höhe der Säule und der Tiefe der Halle, der Länge der Architrave<lb/>
in den Zwi&#x017F;chenweiten ein Wider&#x017F;pruch ent&#x017F;teht, da die Marmorblöcke in<lb/>
&#x017F;olcher Größe nicht beizu&#x017F;chaffen waren, um Ueber&#x017F;pannungen von ent-<lb/>
&#x017F;prechender Breite und Länge auszuführen. Die weitere Häufung der<lb/>
Formen zeigt &#x017F;ich er&#x017F;t in der Verbindung des griechi&#x017F;chen Styls mit dem<lb/>
Gewölbe.</hi> </p><lb/>
                      <p> <hi rendition="#et">2. Die Kun&#x017F;t, durch Fügung von Steinen, die im Keil&#x017F;chnitte be-<lb/>
arbeitet &#x017F;ind, zu wölben, tritt in vereinzelten Er&#x017F;cheinungen &#x017F;chon im<lb/>
Orient hervor, &#x017F;elb&#x017F;t die Griechen &#x017F;cheinen von den entfernteren An&#x017F;ätzen<lb/></hi> </p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0134] 3. Die römiſche Baukunſt. §. 586. Die römiſche Baukunſt nimmt gemäß dem Geiſte der Nation (vergl. §. 442 ff.) von den Griechen den reichen korinthiſchen Styl auf, erhöht im Sinne des Coloſſalen und Pompöſen ſeine Verhältniſſe und ſteigert ſeine Pracht. Eigen iſt ihr und bezeichnet ebenſoſehr die umſpannende Macht des erobernden Volks, als ſeinen praktiſchen Charakter, die Wölbung: ein fruchtbares Prinzip, das auch nach verſchiedenen Seiten, insbeſondere als kuppelbedeckter Rundbau (vergl. §. 565), ausgebildet wird, ohne daß doch die wahren Ergebniſſe deſſelben zur Entwicklung gelangen; vielmehr wird die Wölbung unorganiſch mit den griechiſchen Formen zuſammengeſtellt. Der praktiſche Beruf äußert ſich zugleich durch reiche und großartige Schöpfungen im Gebiete der Einzelzwecke des per- ſönlichen und öffentlichen Lebens (vergl. §. 575. 576). 1. Wir übergehen den etruriſch-römiſchen Architravbau mit der ſoge- nannten toſcaniſchen Säule und führen den zur Kaiſerzeit aus Griechenland aufgenommenen korinthiſchen Styl als das eine Moment der römiſchen Baukunſt auf. Neigte dieſer Styl an ſich ſchon zu orientaliſcher Pracht, ſo liegt nun in der römiſchen Richtung auf das Coloſſale und Pompöſe urſprünglich auch etwas an den Orient Gemahnendes, das eben darum jene Ausbildungsſtufe des Griechiſchen ſich vor allen andern aneignete. Die römiſche Prachtliebe iſt aber mit dem ſchon an ſich Prächtigen dieſes Styls nicht zufrieden; das korinthiſche Kapitell erhält zu den Akanthus- blättern die joniſchen Voluten in ihrer ganzen Größe, ja Adler- und Genien- Geſtalten treten aus jenen hervor, der Stamm bedeckt ſich mit Ornament oder bleibt mit Abwerfung der Cannelen ganz glatt, um Granit und farbigen Marmor in ſeinem Glanze zu zeigen. Die Verhältniſſe werden namentlich in der Höherichtung in’s Coloſſale getrieben, ſo daß zwiſchen der Höhe der Säule und der Tiefe der Halle, der Länge der Architrave in den Zwiſchenweiten ein Widerſpruch entſteht, da die Marmorblöcke in ſolcher Größe nicht beizuſchaffen waren, um Ueberſpannungen von ent- ſprechender Breite und Länge auszuführen. Die weitere Häufung der Formen zeigt ſich erſt in der Verbindung des griechiſchen Styls mit dem Gewölbe. 2. Die Kunſt, durch Fügung von Steinen, die im Keilſchnitte be- arbeitet ſind, zu wölben, tritt in vereinzelten Erſcheinungen ſchon im Orient hervor, ſelbſt die Griechen ſcheinen von den entfernteren Anſätzen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/134
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/134>, abgerufen am 21.11.2024.