Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
dem Volke in demselben Elemente allgemeiner Unbefangenheit, er will ihnen §. 504. Das einzelne Kunstwerk entsteht auch in diesem organischen Lebenszustande Schon zu §. 393 (B. II. S. 341) ist auseinandergesetzt, wie die Bestellung
dem Volke in demſelben Elemente allgemeiner Unbefangenheit, er will ihnen §. 504. Das einzelne Kunſtwerk entſteht auch in dieſem organiſchen Lebenszuſtande Schon zu §. 393 (B. II. S. 341) iſt auseinandergeſetzt, wie die Beſtellung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0070" n="58"/> dem Volke in demſelben Elemente allgemeiner Unbefangenheit, er will ihnen<lb/> Freude machen und macht ihnen Freude; die relativ größere Beſtimmt-<lb/> heit ihrer Forderungen kann ihn daher nur heben und fördern. Auf dieſer<lb/> allgemeinen Grundlage lebendiger Einheit der Kunſt mit dem Volksgeiſte<lb/> war das in Griechenland von der Gymnaſtik aus durch alle Künſte ver-<lb/> breitete Prinzip der <hi rendition="#g">Agoniſtik</hi> etwas ganz Anderes, als die modernen<lb/> Concurſe. Das Urtheil über den Kunſtwerth der Wettſtreiter war der<lb/> Ausdruck des im Volke lebenden Kunſtſinns, der Preis war Ehre und<lb/> Ruhm des Siegers und ſeiner Vaterſtadt, das Geſchenk nur das Zeichen<lb/> davon. In ſo naturvollen Verhältnißen iſt der Ehrgeiz ein durchaus<lb/> edler und großartiger Sporn der Kunſt, der fruchtbare Reiz der allge-<lb/> meinen Oeffentlichkeit des Lebens für die künſtleriſche Phantaſie; der<lb/> Feſtjubel eines Volkes ſchwebt weckend und begeiſternd bei der Er-<lb/> findung und Entwerfung des Kunſtwerks vor dem innern Auge und<lb/> feuert zur höchſten Entfaltung aller Kräfte an.</hi> </p> </div><lb/> <div n="7"> <head>§. 504.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Das einzelne Kunſtwerk entſteht auch in dieſem organiſchen Lebenszuſtande<lb/> der Kunſt ſeltener durch den unmittelbar zufälligen Anſtoß des Naturſchönen<lb/> (§. 393), als durch Beſtellung. Vorausgeſetzt aber, daß der Künſtler keine<lb/> Beſtellung annimmt, deren Gegenſtand er nicht ſofort zum innern Motiv erheben<lb/> kann, ſo iſt dadurch die Zufälligkeit, wie ihrer das künſtleriſche Schaffen bedarf,<lb/> keineswegs aufgehoben, ſondern nur auf eine andere Stelle gelegt und daher<lb/> die Freiheit deſſelben keineswegs gehemmt. Jene Beſtellungen gehen meiſt von<lb/> Gemeinſchaften aus und in ihnen ſteht ſich der Künſtler eine von hemmender<lb/> kritiſcher Einrede noch freie volksthümliche Oeffentlichkeit gegenüber.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Schon zu §. 393 (B. <hi rendition="#aq">II.</hi> S. 341) iſt auseinandergeſetzt, wie die Beſtellung<lb/> keineswegs unſerer Forderung eines zufälligen Anſtoßes durch einen vor-<lb/> gefundenen naturſchönen Stoff widerſpricht. Nur in der Dichtkunſt verhält<lb/> ſich dieß anders, ſelbſt die Muſik läßt ſich eher einen Stoff geben, als ſie;<lb/> wir können aber die allgemeine Betrachtung durch Eingehen auf dieſe be-<lb/> ſondere Natur der geiſtigſten Kunſt hier nicht unterbrechen. Es darf<lb/> nun hier vor Allem nicht vergeſſen werden, daß der Künſtler nicht von der<lb/> Luft lebt; er iſt abhängig und dieſe Abhängigkeit, weil ſeine Thä-<lb/> tigkeit nicht zu denen gehört, die, weil ſie einem täglichen Bedürfniſſe<lb/> dienen, ihren immer gleichen Gang geſichert gehen, doppelt fühlbar und<lb/> in dem bittern Wort <hi rendition="#aq">ars mendicat</hi> ausgeſprochen. Das Gefühl der Ab-<lb/> hängigkeit bei der Höhe des innern Berufs der Kunſt wird dem ächten<lb/> Künſtler zum Stachel eines um ſo edleren, wiewohl von Reizbarkeit nicht<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0070]
dem Volke in demſelben Elemente allgemeiner Unbefangenheit, er will ihnen
Freude machen und macht ihnen Freude; die relativ größere Beſtimmt-
heit ihrer Forderungen kann ihn daher nur heben und fördern. Auf dieſer
allgemeinen Grundlage lebendiger Einheit der Kunſt mit dem Volksgeiſte
war das in Griechenland von der Gymnaſtik aus durch alle Künſte ver-
breitete Prinzip der Agoniſtik etwas ganz Anderes, als die modernen
Concurſe. Das Urtheil über den Kunſtwerth der Wettſtreiter war der
Ausdruck des im Volke lebenden Kunſtſinns, der Preis war Ehre und
Ruhm des Siegers und ſeiner Vaterſtadt, das Geſchenk nur das Zeichen
davon. In ſo naturvollen Verhältnißen iſt der Ehrgeiz ein durchaus
edler und großartiger Sporn der Kunſt, der fruchtbare Reiz der allge-
meinen Oeffentlichkeit des Lebens für die künſtleriſche Phantaſie; der
Feſtjubel eines Volkes ſchwebt weckend und begeiſternd bei der Er-
findung und Entwerfung des Kunſtwerks vor dem innern Auge und
feuert zur höchſten Entfaltung aller Kräfte an.
§. 504.
Das einzelne Kunſtwerk entſteht auch in dieſem organiſchen Lebenszuſtande
der Kunſt ſeltener durch den unmittelbar zufälligen Anſtoß des Naturſchönen
(§. 393), als durch Beſtellung. Vorausgeſetzt aber, daß der Künſtler keine
Beſtellung annimmt, deren Gegenſtand er nicht ſofort zum innern Motiv erheben
kann, ſo iſt dadurch die Zufälligkeit, wie ihrer das künſtleriſche Schaffen bedarf,
keineswegs aufgehoben, ſondern nur auf eine andere Stelle gelegt und daher
die Freiheit deſſelben keineswegs gehemmt. Jene Beſtellungen gehen meiſt von
Gemeinſchaften aus und in ihnen ſteht ſich der Künſtler eine von hemmender
kritiſcher Einrede noch freie volksthümliche Oeffentlichkeit gegenüber.
Schon zu §. 393 (B. II. S. 341) iſt auseinandergeſetzt, wie die Beſtellung
keineswegs unſerer Forderung eines zufälligen Anſtoßes durch einen vor-
gefundenen naturſchönen Stoff widerſpricht. Nur in der Dichtkunſt verhält
ſich dieß anders, ſelbſt die Muſik läßt ſich eher einen Stoff geben, als ſie;
wir können aber die allgemeine Betrachtung durch Eingehen auf dieſe be-
ſondere Natur der geiſtigſten Kunſt hier nicht unterbrechen. Es darf
nun hier vor Allem nicht vergeſſen werden, daß der Künſtler nicht von der
Luft lebt; er iſt abhängig und dieſe Abhängigkeit, weil ſeine Thä-
tigkeit nicht zu denen gehört, die, weil ſie einem täglichen Bedürfniſſe
dienen, ihren immer gleichen Gang geſichert gehen, doppelt fühlbar und
in dem bittern Wort ars mendicat ausgeſprochen. Das Gefühl der Ab-
hängigkeit bei der Höhe des innern Berufs der Kunſt wird dem ächten
Künſtler zum Stachel eines um ſo edleren, wiewohl von Reizbarkeit nicht
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