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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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und dem Dienste der äußern Zweckmäßigkeit auf der andern Seite: das
Gebiet der spielenden Veredlung der Persönlichkeit durch Genuß der
freien Natur, rhythmische Bewegung u. s. w. Näher sollen die verschie-
denen mittelbar ethischen Grundlagen dieser Spielformen auch jetzt noch
nicht auseinandergesetzt, sondern nur ausgesprochen werden, wie die Kunst
die Zwecke der Erholung, Entfesslung vom Drange der Arbeit und von
der Last des Lebens, Unterhaltung, des spielenden Umgangs der Ge-
schlechter, Durchbildung der körperlichen Erscheinung, Ausbildung zum
Krieger u. s. w. zu aufgehobenen Momenten herabsetzt, indem sie das
Darstellende an diesen Thätigkeiten rein als Solches ergreift, ihre reine
Formthätigkeit, ihren leitenden und ordnenden Rhythmus, ihre dichtende
Erfindung hineinwirft und so ein Kunstgebiet herstellt, das rein ästhetisch
wäre, wenn es nicht gegen die Grundregel §. 490 lebendigen Stoffes sich
als seines Materials bediente. Diese Beiziehung eines nicht rein ästhe-
tischen Mediums mußte als Mittelglied, wodurch allein gewisse Verbin-
dungen von Künsten möglich werden, schon §. 544, 1. erwähnt werden.
Das Spiel wird nun durch kunstmäßige Behandlung zwar ästhetisch im
Sinne der zwecklosen Darstellung, aber nicht im Sinne der völligen Til-
gung der Mängel des Naturschönen, was eben zu §. 490 auseinander-
gesetzt ist. Die Orchestik und Mimik führt Schleiermacher unter dem
Namen "begleitende Künste" auf; das werden sie eben dadurch, daß die
Kunst sie an sich nimmt, ihnen zur leitenden, bestimmenden Seele wird;
zugleich erhält dadurch umgekehrt die Musik und die Poesie einen Leib,
sie verkörpert sich in lebendiger Plastik und Malerei. Daß man sie aber
darum nicht als höhere Einheit fassen darf, dieß erhellt nun eben daraus,
daß sie empirisch lebendigen Materials sich bedienen. Krug (Aest. §. 68)
hat dieß dennoch gethan, indem er die mimischen, in Raum und Zeit
zugleich darstellenden Künste als Zusammenfassung der tonischen und
plastischen, als drittes Glied in derselben Reihe aufführt, Ast ist zu
§. 535 in dieser Beziehung schon angeführt. Der Mimik im engeren
Sinne, der Schauspielkunst, ist aber durch den Schlußsatz des §. nun
ausdrücklich der höchste Platz unter allen blos anhängenden Künsten zum
Voraus gerettet.

§. 549.

Endlich zieht sich neben der Kunst eine Linie von Thätigkeiten hin,
welche, nur nachbildend und vervielfältigend, in bloßen Mechanismus
auslaufen, in ihren höheren Formen aber künstlerisches Talent fordern und
selbst von Meistern der selbständigen Kunst neben dieser geübt werden.


und dem Dienſte der äußern Zweckmäßigkeit auf der andern Seite: das
Gebiet der ſpielenden Veredlung der Perſönlichkeit durch Genuß der
freien Natur, rhythmiſche Bewegung u. ſ. w. Näher ſollen die verſchie-
denen mittelbar ethiſchen Grundlagen dieſer Spielformen auch jetzt noch
nicht auseinandergeſetzt, ſondern nur ausgeſprochen werden, wie die Kunſt
die Zwecke der Erholung, Entfeſſlung vom Drange der Arbeit und von
der Laſt des Lebens, Unterhaltung, des ſpielenden Umgangs der Ge-
ſchlechter, Durchbildung der körperlichen Erſcheinung, Ausbildung zum
Krieger u. ſ. w. zu aufgehobenen Momenten herabſetzt, indem ſie das
Darſtellende an dieſen Thätigkeiten rein als Solches ergreift, ihre reine
Formthätigkeit, ihren leitenden und ordnenden Rhythmus, ihre dichtende
Erfindung hineinwirft und ſo ein Kunſtgebiet herſtellt, das rein äſthetiſch
wäre, wenn es nicht gegen die Grundregel §. 490 lebendigen Stoffes ſich
als ſeines Materials bediente. Dieſe Beiziehung eines nicht rein äſthe-
tiſchen Mediums mußte als Mittelglied, wodurch allein gewiſſe Verbin-
dungen von Künſten möglich werden, ſchon §. 544, 1. erwähnt werden.
Das Spiel wird nun durch kunſtmäßige Behandlung zwar äſthetiſch im
Sinne der zweckloſen Darſtellung, aber nicht im Sinne der völligen Til-
gung der Mängel des Naturſchönen, was eben zu §. 490 auseinander-
geſetzt iſt. Die Orcheſtik und Mimik führt Schleiermacher unter dem
Namen „begleitende Künſte“ auf; das werden ſie eben dadurch, daß die
Kunſt ſie an ſich nimmt, ihnen zur leitenden, beſtimmenden Seele wird;
zugleich erhält dadurch umgekehrt die Muſik und die Poeſie einen Leib,
ſie verkörpert ſich in lebendiger Plaſtik und Malerei. Daß man ſie aber
darum nicht als höhere Einheit faſſen darf, dieß erhellt nun eben daraus,
daß ſie empiriſch lebendigen Materials ſich bedienen. Krug (Aeſt. §. 68)
hat dieß dennoch gethan, indem er die mimiſchen, in Raum und Zeit
zugleich darſtellenden Künſte als Zuſammenfaſſung der toniſchen und
plaſtiſchen, als drittes Glied in derſelben Reihe aufführt, Aſt iſt zu
§. 535 in dieſer Beziehung ſchon angeführt. Der Mimik im engeren
Sinne, der Schauſpielkunſt, iſt aber durch den Schlußſatz des §. nun
ausdrücklich der höchſte Platz unter allen blos anhängenden Künſten zum
Voraus gerettet.

§. 549.

Endlich zieht ſich neben der Kunſt eine Linie von Thätigkeiten hin,
welche, nur nachbildend und vervielfältigend, in bloßen Mechanismus
auslaufen, in ihren höheren Formen aber künſtleriſches Talent fordern und
ſelbſt von Meiſtern der ſelbſtändigen Kunſt neben dieſer geübt werden.


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[171/0183] und dem Dienſte der äußern Zweckmäßigkeit auf der andern Seite: das Gebiet der ſpielenden Veredlung der Perſönlichkeit durch Genuß der freien Natur, rhythmiſche Bewegung u. ſ. w. Näher ſollen die verſchie- denen mittelbar ethiſchen Grundlagen dieſer Spielformen auch jetzt noch nicht auseinandergeſetzt, ſondern nur ausgeſprochen werden, wie die Kunſt die Zwecke der Erholung, Entfeſſlung vom Drange der Arbeit und von der Laſt des Lebens, Unterhaltung, des ſpielenden Umgangs der Ge- ſchlechter, Durchbildung der körperlichen Erſcheinung, Ausbildung zum Krieger u. ſ. w. zu aufgehobenen Momenten herabſetzt, indem ſie das Darſtellende an dieſen Thätigkeiten rein als Solches ergreift, ihre reine Formthätigkeit, ihren leitenden und ordnenden Rhythmus, ihre dichtende Erfindung hineinwirft und ſo ein Kunſtgebiet herſtellt, das rein äſthetiſch wäre, wenn es nicht gegen die Grundregel §. 490 lebendigen Stoffes ſich als ſeines Materials bediente. Dieſe Beiziehung eines nicht rein äſthe- tiſchen Mediums mußte als Mittelglied, wodurch allein gewiſſe Verbin- dungen von Künſten möglich werden, ſchon §. 544, 1. erwähnt werden. Das Spiel wird nun durch kunſtmäßige Behandlung zwar äſthetiſch im Sinne der zweckloſen Darſtellung, aber nicht im Sinne der völligen Til- gung der Mängel des Naturſchönen, was eben zu §. 490 auseinander- geſetzt iſt. Die Orcheſtik und Mimik führt Schleiermacher unter dem Namen „begleitende Künſte“ auf; das werden ſie eben dadurch, daß die Kunſt ſie an ſich nimmt, ihnen zur leitenden, beſtimmenden Seele wird; zugleich erhält dadurch umgekehrt die Muſik und die Poeſie einen Leib, ſie verkörpert ſich in lebendiger Plaſtik und Malerei. Daß man ſie aber darum nicht als höhere Einheit faſſen darf, dieß erhellt nun eben daraus, daß ſie empiriſch lebendigen Materials ſich bedienen. Krug (Aeſt. §. 68) hat dieß dennoch gethan, indem er die mimiſchen, in Raum und Zeit zugleich darſtellenden Künſte als Zuſammenfaſſung der toniſchen und plaſtiſchen, als drittes Glied in derſelben Reihe aufführt, Aſt iſt zu §. 535 in dieſer Beziehung ſchon angeführt. Der Mimik im engeren Sinne, der Schauſpielkunſt, iſt aber durch den Schlußſatz des §. nun ausdrücklich der höchſte Platz unter allen blos anhängenden Künſten zum Voraus gerettet. §. 549. Endlich zieht ſich neben der Kunſt eine Linie von Thätigkeiten hin, welche, nur nachbildend und vervielfältigend, in bloßen Mechanismus auslaufen, in ihren höheren Formen aber künſtleriſches Talent fordern und ſelbſt von Meiſtern der ſelbſtändigen Kunſt neben dieſer geübt werden.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/183>, abgerufen am 21.12.2024.