Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
gensatz in der Poesie als concreter Einheit aufgehoben darzustellen; dieß §. 543. Vermöge ihrer lebendigen Einheit treten die Künste auch in das praktische "In gewissen Grenzen" und diese können so bezeichnet werden: die 11*
genſatz in der Poeſie als concreter Einheit aufgehoben darzuſtellen; dieß §. 543. Vermöge ihrer lebendigen Einheit treten die Künſte auch in das praktiſche „In gewiſſen Grenzen“ und dieſe können ſo bezeichnet werden: die 11*
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genſatz in der Poeſie als concreter Einheit aufgehoben darzuſtellen; dieß
iſt die Anordnung Weißes (Syſt. d. Aeſth. §. 42). Die Gründe für
alle dieſe Eintheilungen ſind nicht ſo ſtark, um die oben feſtgeſtellte um-
zuſtoßen, aber ſie ſind ſtark genug, um zu zeigen, welches intereſſante
wechſelſeitige Wandern und Stellenwechſeln, welche ſich kreuzende Polaritäten
unter den Künſten herrſchen: der lebendigſte Beweis ihrer innern Einheit.
§. 543.
Vermöge ihrer lebendigen Einheit treten die Künſte auch in das praktiſche
Wechſelverhältniß zu einander, daß (in gewiſſen Grenzen) die eine ihren Stoff
aus der andern abbildend oder umbildend entlehnen kann; ein Verhältniß, das
ſich innerhalb der Hauptzweige der Dichtkunſt wiederholt. Dadurch erweitert
ſich die Stoffwelt der Kunſt, denn das benützte Werk der einen Kunſt verhält
ſich zu der Formgebung durch die andere wie das Naturſchöne zur Phantaſie
und Kunſt überhaupt.
„In gewiſſen Grenzen“ und dieſe können ſo bezeichnet werden: die
Künſte, welche dem äußern oder nur dem innern Auge eine ſichtbare Ge-
ſtalt vorführen, können keinen Stoff entlehnen aus derjenigen, welche nur
die Empfindung ertönen läßt, alſo die bildenden und die Poeſie nichts
aus der Muſik; nur in ſehr eingeſchränktem Sinne vermag die Dichtkunſt ein
Ganzes von Tönen in vorgeſtellte Bilder und ausgeſprochene Gefühle
umzuſetzen. Umgekehrt kann die Muſik die objectiven Kunſtgeſtaltungen
nicht wohl in ihre Empfindungsſprache überſetzen, denn in ihnen iſt für
ſie zu wenig vorgefühlt; von Werken der bildenden Kunſt gilt dieß ohne
Einſchränkung, denn ein entferntes Entlehnen von Motiven iſt nicht genug;
ebenſo verhält ſie ſich zur epiſchen Dichtungsform als der vorzugsweiſe
objectiven. Aehnlich wie zur Muſik verhält ſich die bildende Kunſt zu
denjenigen Zweigen der Dichtkunſt, in welchen das Subjective herrſcht
oder gleich ſtark mit dem Objectiven wirkt: aus der lyriſchen Poeſie iſt
für ſie nicht viel zu holen, aus demſelben Grunde, warum ihr die Muſik
keine Quelle von Stoff ſein kann; in der Skizze geht es eher, aber das Aus-
ſpinnen eines lyriſchen Tons in der Breite der Ausführung wie in Leſſings
trauerndem Königspaar thut nicht gut; reichen Stoff ſcheint ihr das Drama
zu bieten, in der That aber iſt dieſe Form zu geiſtig reif und durchgearbei-
tet, geht zu ſehr auf eine beſtimmte ſtarke Wirkung, als daß die bildende
Kunſt, wenn ſie ihr nachbildet, nicht ihre objective Unſchuld verlieren und
einem theatraliſchen Ausdruck verfallen müßte. Innerhalb der Gruppe
der bildenden Künſte verhält es ſich mit der Architektur wie im ganzen
Syſteme mit der Muſik: die Plaſtik und die Malerei kann keinen Stoff
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