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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

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noch weiter, nämlich auf die Momente der Phantasie (§. 385 -- 399),
worauf diese Eintheilung gegründet ist, zurück. In welchem Sinne die
Poesie subjectiv-objectiv ist, konnte für jetzt nur angedeutet werden; die
Kunstlehre wird diese Andeutung zur klaren Ausführung erheben. Eine
Ahnung, Spur von unserer nunmehr tiefer begründeten Eintheilung zieht
sich durch die ganze Literatur der Aesthetik; Kant ist ihr mit seiner Unter-
scheidung von drei Formen, deren eine in Worten, die andere in Gebär-
dung, die dritte in Tönen darstellt, auf der Spur (Kr. d. ästh. Urthlskr.
§. 51); selbst Krug (Aesth. §. 68) sucht zu seiner Zweitheilung in
plastische und tonische Künste ein vereinigendes Drittes, das er aber,
nachdem er die Dichtkunst zu den tonischen Künsten geworfen, in den
(nicht rein ästhetischen) mimischen sucht; Ast hätte unsere Eintheilung,
wenn er nicht durch Zwischen-Einfügung der Orchestik als realer Einheit
des Idealen und Realen seine Entwicklung trüben würde (vergl. zu §. 535).
Gewonnen ist nun zu der festen Begründung der Eintheilung der Künste
die Abrundung des ganzen Systems: es geht in sich zurück als erfüllter
Kreis, verdichtet sein Grundgesetz, sich in sich wiederholend, zur immer
concreteren Wirklichkeit, und diese Bewegung werden wir noch tiefer
dringen sehen.

§. 538.

Diese Dreitheilung erweitert sich, ohne darum ihre grundgesetzliche Geltung
zu verlieren, zu einer Fünftheilung durch die reichgegliederte Organisation der
bildenden Phantasie, deren Unterschiede (§. 404) durch die im Wesen der
objectiven Kunstform gegründete Nothwendigkeit, in verschiedenem Materiale
darzustellen, in drei selbstständigen Künsten sich niederlegen: der Kunst des mes-
senden Sehens oder der Baukunst, der Kunst des tastenden Sehens oder der
Bildnerkunst, der Kunst des eigentlichen Sehens oder der Malerei; das
Grundgesetz wiederholt sich in dieser Theilung so, daß die subjectiv-objective
Form in die Mitte, die objective jenseits, die subjective diesseits fällt. Die
Dichtkunst aber wird als die absolut subjectiv-objective Kunst auch die Totalität
der Kunst sein, also das System der Künste in sich wiederholen, aber die drei
Formen, welche aus dieser Theilung entstehen, können sich im Gebiete der ideal-
gesetzten Sinnlichkeit nicht zu selbständigen Künsten verdichten, sondern erschei-
nen nur als Zweige.

Vor der weiteren Ausführung, welche der Kunstlehre vorbehalten ist,
kann vorläufig soviel ausgesprochen werden: die Theilung der objectiven
Kunstform in drei selbständige Künste ist zunächst darin begründet, daß
in dem Gebiete, wo der wirkliche Körper das Material abgibt, eine

noch weiter, nämlich auf die Momente der Phantaſie (§. 385 — 399),
worauf dieſe Eintheilung gegründet iſt, zurück. In welchem Sinne die
Poeſie ſubjectiv-objectiv iſt, konnte für jetzt nur angedeutet werden; die
Kunſtlehre wird dieſe Andeutung zur klaren Ausführung erheben. Eine
Ahnung, Spur von unſerer nunmehr tiefer begründeten Eintheilung zieht
ſich durch die ganze Literatur der Aeſthetik; Kant iſt ihr mit ſeiner Unter-
ſcheidung von drei Formen, deren eine in Worten, die andere in Gebär-
dung, die dritte in Tönen darſtellt, auf der Spur (Kr. d. äſth. Urthlskr.
§. 51); ſelbſt Krug (Aeſth. §. 68) ſucht zu ſeiner Zweitheilung in
plaſtiſche und toniſche Künſte ein vereinigendes Drittes, das er aber,
nachdem er die Dichtkunſt zu den toniſchen Künſten geworfen, in den
(nicht rein äſthetiſchen) mimiſchen ſucht; Aſt hätte unſere Eintheilung,
wenn er nicht durch Zwiſchen-Einfügung der Orcheſtik als realer Einheit
des Idealen und Realen ſeine Entwicklung trüben würde (vergl. zu §. 535).
Gewonnen iſt nun zu der feſten Begründung der Eintheilung der Künſte
die Abrundung des ganzen Syſtems: es geht in ſich zurück als erfüllter
Kreis, verdichtet ſein Grundgeſetz, ſich in ſich wiederholend, zur immer
concreteren Wirklichkeit, und dieſe Bewegung werden wir noch tiefer
dringen ſehen.

§. 538.

Dieſe Dreitheilung erweitert ſich, ohne darum ihre grundgeſetzliche Geltung
zu verlieren, zu einer Fünftheilung durch die reichgegliederte Organiſation der
bildenden Phantaſie, deren Unterſchiede (§. 404) durch die im Weſen der
objectiven Kunſtform gegründete Nothwendigkeit, in verſchiedenem Materiale
darzuſtellen, in drei ſelbſtſtändigen Künſten ſich niederlegen: der Kunſt des meſ-
ſenden Sehens oder der Baukunſt, der Kunſt des taſtenden Sehens oder der
Bildnerkunſt, der Kunſt des eigentlichen Sehens oder der Malerei; das
Grundgeſetz wiederholt ſich in dieſer Theilung ſo, daß die ſubjectiv-objective
Form in die Mitte, die objective jenſeits, die ſubjective dieſſeits fällt. Die
Dichtkunſt aber wird als die abſolut ſubjectiv-objective Kunſt auch die Totalität
der Kunſt ſein, alſo das Syſtem der Künſte in ſich wiederholen, aber die drei
Formen, welche aus dieſer Theilung entſtehen, können ſich im Gebiete der ideal-
geſetzten Sinnlichkeit nicht zu ſelbſtändigen Künſten verdichten, ſondern erſchei-
nen nur als Zweige.

Vor der weiteren Ausführung, welche der Kunſtlehre vorbehalten iſt,
kann vorläufig ſoviel ausgeſprochen werden: die Theilung der objectiven
Kunſtform in drei ſelbſtändige Künſte iſt zunächſt darin begründet, daß
in dem Gebiete, wo der wirkliche Körper das Material abgibt, eine

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[151/0163] noch weiter, nämlich auf die Momente der Phantaſie (§. 385 — 399), worauf dieſe Eintheilung gegründet iſt, zurück. In welchem Sinne die Poeſie ſubjectiv-objectiv iſt, konnte für jetzt nur angedeutet werden; die Kunſtlehre wird dieſe Andeutung zur klaren Ausführung erheben. Eine Ahnung, Spur von unſerer nunmehr tiefer begründeten Eintheilung zieht ſich durch die ganze Literatur der Aeſthetik; Kant iſt ihr mit ſeiner Unter- ſcheidung von drei Formen, deren eine in Worten, die andere in Gebär- dung, die dritte in Tönen darſtellt, auf der Spur (Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 51); ſelbſt Krug (Aeſth. §. 68) ſucht zu ſeiner Zweitheilung in plaſtiſche und toniſche Künſte ein vereinigendes Drittes, das er aber, nachdem er die Dichtkunſt zu den toniſchen Künſten geworfen, in den (nicht rein äſthetiſchen) mimiſchen ſucht; Aſt hätte unſere Eintheilung, wenn er nicht durch Zwiſchen-Einfügung der Orcheſtik als realer Einheit des Idealen und Realen ſeine Entwicklung trüben würde (vergl. zu §. 535). Gewonnen iſt nun zu der feſten Begründung der Eintheilung der Künſte die Abrundung des ganzen Syſtems: es geht in ſich zurück als erfüllter Kreis, verdichtet ſein Grundgeſetz, ſich in ſich wiederholend, zur immer concreteren Wirklichkeit, und dieſe Bewegung werden wir noch tiefer dringen ſehen. §. 538. Dieſe Dreitheilung erweitert ſich, ohne darum ihre grundgeſetzliche Geltung zu verlieren, zu einer Fünftheilung durch die reichgegliederte Organiſation der bildenden Phantaſie, deren Unterſchiede (§. 404) durch die im Weſen der objectiven Kunſtform gegründete Nothwendigkeit, in verſchiedenem Materiale darzuſtellen, in drei ſelbſtſtändigen Künſten ſich niederlegen: der Kunſt des meſ- ſenden Sehens oder der Baukunſt, der Kunſt des taſtenden Sehens oder der Bildnerkunſt, der Kunſt des eigentlichen Sehens oder der Malerei; das Grundgeſetz wiederholt ſich in dieſer Theilung ſo, daß die ſubjectiv-objective Form in die Mitte, die objective jenſeits, die ſubjective dieſſeits fällt. Die Dichtkunſt aber wird als die abſolut ſubjectiv-objective Kunſt auch die Totalität der Kunſt ſein, alſo das Syſtem der Künſte in ſich wiederholen, aber die drei Formen, welche aus dieſer Theilung entſtehen, können ſich im Gebiete der ideal- geſetzten Sinnlichkeit nicht zu ſelbſtändigen Künſten verdichten, ſondern erſchei- nen nur als Zweige. Vor der weiteren Ausführung, welche der Kunſtlehre vorbehalten iſt, kann vorläufig ſoviel ausgeſprochen werden: die Theilung der objectiven Kunſtform in drei ſelbſtändige Künſte iſt zunächſt darin begründet, daß in dem Gebiete, wo der wirkliche Körper das Material abgibt, eine

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/163>, abgerufen am 21.12.2024.