Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.

Bild:
<< vorherige Seite
B.
Die Theilung der Kunst in Künste.
a.
Das Prinzip der Theilung.
a.
Die Haupteintheilung.
§. 533.

Der Grund der innern Nothwendigkeit jener Theilung der Kunst (§. 532)1
liegt zunächst in der sinnlichen Ausschließlichkeit des Materials (§. 517).
Jedes Material kann nur gewisse Erscheinungsseiten des Naturschönen und einen
gewissen Inhalt der Idee in sich aufnehmen. Als das Organ des ganzen
Schönen muß die Phantasie diese Schranke zu überwinden streben und daher je
das beengendere Material mit dem vertauschen, in welchem das Leben der
Erscheinung umfassender und tiefer zur Darstellung gebracht werden kann, und
dieses Suchen so lange fortsetzen, bis sie in einem gewissen Sinn alles Material
abwirft und zugleich mit dem reinen Schein den vollen Schein zu geben
vermag. Die überstiegenen Stufen sind aber darum nicht aufgehoben, denn die2
Beschränkung bedingt die Vollkommenheit und der Gewinn im Fortgang ist
nach der andern Seite ein Verlust.

1. Zuerst eine Bemerkung zu den Ueberschriften. Unter den "Künsten"
in der Haupt-Aufschrift sind auch die Zweige jeder einzelnen Kunst ver-
standen, was wohl keinem Widerspruch unterliegt, da auch im einzelnen
Zweige das ganze Wesen einer besondern Kunst sich niederlegt. Statt
"das Prinzip der Theilung" wäre genauer zu setzen: das Prinzip und

B.
Die Theilung der Kunſt in Künſte.
a.
Das Prinzip der Theilung.
α.
Die Haupteintheilung.
§. 533.

Der Grund der innern Nothwendigkeit jener Theilung der Kunſt (§. 532)1
liegt zunächſt in der ſinnlichen Ausſchließlichkeit des Materials (§. 517).
Jedes Material kann nur gewiſſe Erſcheinungsſeiten des Naturſchönen und einen
gewiſſen Inhalt der Idee in ſich aufnehmen. Als das Organ des ganzen
Schönen muß die Phantaſie dieſe Schranke zu überwinden ſtreben und daher je
das beengendere Material mit dem vertauſchen, in welchem das Leben der
Erſcheinung umfaſſender und tiefer zur Darſtellung gebracht werden kann, und
dieſes Suchen ſo lange fortſetzen, bis ſie in einem gewiſſen Sinn alles Material
abwirft und zugleich mit dem reinen Schein den vollen Schein zu geben
vermag. Die überſtiegenen Stufen ſind aber darum nicht aufgehoben, denn die2
Beſchränkung bedingt die Vollkommenheit und der Gewinn im Fortgang iſt
nach der andern Seite ein Verluſt.

1. Zuerſt eine Bemerkung zu den Ueberſchriften. Unter den „Künſten“
in der Haupt-Aufſchrift ſind auch die Zweige jeder einzelnen Kunſt ver-
ſtanden, was wohl keinem Widerſpruch unterliegt, da auch im einzelnen
Zweige das ganze Weſen einer beſondern Kunſt ſich niederlegt. Statt
„das Prinzip der Theilung“ wäre genauer zu ſetzen: das Prinzip und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0155" n="[143]"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">B.</hi><lb/>
Die Theilung der Kun&#x017F;t in Kün&#x017F;te.</hi> </head><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">a.</hi><lb/><hi rendition="#g">Das Prinzip der Theilung</hi>.</hi> </head><lb/>
              <div n="5">
                <head><hi rendition="#i">&#x03B1;.</hi><lb/>
Die Haupteintheilung.</head><lb/>
                <div n="6">
                  <head>§. 533.</head><lb/>
                  <p> <hi rendition="#fr">Der Grund der innern Nothwendigkeit jener Theilung der Kun&#x017F;t (§. 532)<note place="right">1</note><lb/>
liegt zunäch&#x017F;t in der &#x017F;innlichen Aus&#x017F;chließlichkeit des Materials (§. 517).<lb/>
Jedes Material kann nur gewi&#x017F;&#x017F;e Er&#x017F;cheinungs&#x017F;eiten des Natur&#x017F;chönen und einen<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Inhalt der Idee in &#x017F;ich aufnehmen. Als das Organ des ganzen<lb/>
Schönen muß die Phanta&#x017F;ie die&#x017F;e Schranke zu überwinden &#x017F;treben und daher je<lb/>
das beengendere Material mit dem vertau&#x017F;chen, in welchem das Leben der<lb/>
Er&#x017F;cheinung umfa&#x017F;&#x017F;ender und tiefer zur Dar&#x017F;tellung gebracht werden kann, und<lb/>
die&#x017F;es Suchen &#x017F;o lange fort&#x017F;etzen, bis &#x017F;ie in einem gewi&#x017F;&#x017F;en Sinn alles Material<lb/>
abwirft und zugleich mit dem <hi rendition="#g">reinen</hi> Schein den <hi rendition="#g">vollen</hi> Schein zu geben<lb/>
vermag. Die über&#x017F;tiegenen Stufen &#x017F;ind aber darum nicht aufgehoben, denn die<note place="right">2</note><lb/>
Be&#x017F;chränkung bedingt die Vollkommenheit und der Gewinn im Fortgang i&#x017F;t<lb/>
nach der andern Seite ein Verlu&#x017F;t.</hi> </p><lb/>
                  <p> <hi rendition="#et">1. Zuer&#x017F;t eine Bemerkung zu den Ueber&#x017F;chriften. Unter den &#x201E;Kün&#x017F;ten&#x201C;<lb/>
in der Haupt-Auf&#x017F;chrift &#x017F;ind auch die Zweige jeder einzelnen Kun&#x017F;t ver-<lb/>
&#x017F;tanden, was wohl keinem Wider&#x017F;pruch unterliegt, da auch im einzelnen<lb/>
Zweige das ganze We&#x017F;en einer be&#x017F;ondern Kun&#x017F;t &#x017F;ich niederlegt. Statt<lb/>
&#x201E;das Prinzip der Theilung&#x201C; wäre genauer zu &#x017F;etzen: das Prinzip und<lb/></hi> </p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[143]/0155] B. Die Theilung der Kunſt in Künſte. a. Das Prinzip der Theilung. α. Die Haupteintheilung. §. 533. Der Grund der innern Nothwendigkeit jener Theilung der Kunſt (§. 532) liegt zunächſt in der ſinnlichen Ausſchließlichkeit des Materials (§. 517). Jedes Material kann nur gewiſſe Erſcheinungsſeiten des Naturſchönen und einen gewiſſen Inhalt der Idee in ſich aufnehmen. Als das Organ des ganzen Schönen muß die Phantaſie dieſe Schranke zu überwinden ſtreben und daher je das beengendere Material mit dem vertauſchen, in welchem das Leben der Erſcheinung umfaſſender und tiefer zur Darſtellung gebracht werden kann, und dieſes Suchen ſo lange fortſetzen, bis ſie in einem gewiſſen Sinn alles Material abwirft und zugleich mit dem reinen Schein den vollen Schein zu geben vermag. Die überſtiegenen Stufen ſind aber darum nicht aufgehoben, denn die Beſchränkung bedingt die Vollkommenheit und der Gewinn im Fortgang iſt nach der andern Seite ein Verluſt. 1. Zuerſt eine Bemerkung zu den Ueberſchriften. Unter den „Künſten“ in der Haupt-Aufſchrift ſind auch die Zweige jeder einzelnen Kunſt ver- ſtanden, was wohl keinem Widerſpruch unterliegt, da auch im einzelnen Zweige das ganze Weſen einer beſondern Kunſt ſich niederlegt. Statt „das Prinzip der Theilung“ wäre genauer zu ſetzen: das Prinzip und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/155
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. [143]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/155>, abgerufen am 13.11.2024.