Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851.
Skizzen zu den Nibelungen und zu Göthes Faust recht schlagend gezeigt, §. 528. 1 An den äußern Grenzen der Kunstschöpfung kann der Styl gegen den 1. Nur zu dem Zwecke wird der Begriff des Geschmacks aus §. 509
Skizzen zu den Nibelungen und zu Göthes Fauſt recht ſchlagend gezeigt, §. 528. 1 An den äußern Grenzen der Kunſtſchöpfung kann der Styl gegen den 1. Nur zu dem Zwecke wird der Begriff des Geſchmacks aus §. 509 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0138" n="126"/> Skizzen zu den Nibelungen und zu Göthes Fauſt recht ſchlagend gezeigt,<lb/> was Styl heißt. Es hat aber einen tiefern Sinn, wenn man das<lb/> Weſentliche des Styls ein Architektoniſches nennt: die feſten Maaße, das<lb/> Gewaltige und Große der Architektur, ihr in mächtigen Maſſen ſprechen-<lb/> der Rhythmus, der ganze objective Charakter dieſer Urkunſt dringt auch<lb/> in der Muſik und Poeſie hindurch, wo wahrer Styl hervortritt.</hi> </p> </div><lb/> <div n="7"> <head>§. 528.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#fr">1</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">An den äußern Grenzen der Kunſtſchöpfung kann der Styl gegen den<lb/><hi rendition="#g">Geſchmach</hi> (§. 509) und das negative Geſetz der <hi rendition="#g">Correctheit</hi> verſtoßen.<lb/><note place="left">2</note>Da aber der Genius ſeine Grenze (vergl. §. 527) nicht immer einhält und da<lb/> ein nicht überwundener Reſt der bloßen Subjectivität auch in der objectiven<lb/> Auffaſſung zurückbleibt, ſo gibt es <hi rendition="#g">Manier am Style</hi>. Ferner wird der<lb/> Meiſter des Styls, wie er ſeine Höhe auf dem in §. 411 bezeichneten Wege<lb/> erſtiegen hat, auch an einem Punct ankommen, wo er ſtehen bleibt und dann<lb/> abwärts geht; dann wird ſein Styl in Manier verſtaken. Ebendieß wird durch<lb/> Schüler geſchehen, welche ſeine Formen ohne den inwohnenden Geiſt ſich aneig-<lb/> nen, während andere ſeinen Styl lebendig fortbilden, den reiferen eines fortge-<lb/> ſchrittenen Meiſters aufnehmen und dann einen eigenen entwickeln.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Nur zu dem Zwecke wird der Begriff des Geſchmacks aus §. 509<lb/> noch einmal aufgenommen, um zu zeigen, wie eben das Große, was im<lb/> Style liegt, über die Tact-Rückſichten des Geſchmacks mit ſeinen mächtigen<lb/> Schritten gelegentlich rückſichtslos hinüberſchreiten kann. Shakespeare iſt<lb/> dort ſchon angeführt und man hat mit Recht von ihm geſagt, daß, wer<lb/> eine grandioſe Toga um einen gewaltig bewegten Heldenkörper wirft,<lb/> nicht nach jeder kleinen Falte ſehen kann, ob ſie geſchmackvoll gelegt ſei.<lb/> Phantaſie, „das Rieſenweib, das unter Donnerſturm den Mund aufthut,<lb/> nach der purpurnen Wolke die Hand ſtreckt und ſie als Gewand umwirft“,<lb/> hat keine Zeit, darnach zu fragen, wie ſie im Salon aufgenommen würde.<lb/> Es iſt wahr, daß auch Geſchmacksverletzungen in Begleitung des Styls<lb/> vorkommen, welche nicht aus einem erhabenen Ueberſehen, ſondern aus<lb/> einer kleinen Abſichtlichkeit kommen, die ſich ſeltſam mit der wahren Größe<lb/> verbinden kann. Es iſt dieß zu §. 509 von Shakespeare ſchon zugegeben;<lb/> ſeine Geſchmackloſigkeiten kommen meiſt in der Converſationsſphäre vor<lb/> und wenn er darin allerdings der Mode ſeiner Zeit huldigt, alſo dem,<lb/> was damals für Geſchmack galt, uns aber als Ungeſchmack gilt, ſo nimmt<lb/> er doch Theil an der gemeinſamen Schuld einer falſchen conventionellen<lb/> Bindung und ſeine Anbequemung an einen falſchen Geſchmack iſt ein Ver-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [126/0138]
Skizzen zu den Nibelungen und zu Göthes Fauſt recht ſchlagend gezeigt,
was Styl heißt. Es hat aber einen tiefern Sinn, wenn man das
Weſentliche des Styls ein Architektoniſches nennt: die feſten Maaße, das
Gewaltige und Große der Architektur, ihr in mächtigen Maſſen ſprechen-
der Rhythmus, der ganze objective Charakter dieſer Urkunſt dringt auch
in der Muſik und Poeſie hindurch, wo wahrer Styl hervortritt.
§. 528.
An den äußern Grenzen der Kunſtſchöpfung kann der Styl gegen den
Geſchmach (§. 509) und das negative Geſetz der Correctheit verſtoßen.
Da aber der Genius ſeine Grenze (vergl. §. 527) nicht immer einhält und da
ein nicht überwundener Reſt der bloßen Subjectivität auch in der objectiven
Auffaſſung zurückbleibt, ſo gibt es Manier am Style. Ferner wird der
Meiſter des Styls, wie er ſeine Höhe auf dem in §. 411 bezeichneten Wege
erſtiegen hat, auch an einem Punct ankommen, wo er ſtehen bleibt und dann
abwärts geht; dann wird ſein Styl in Manier verſtaken. Ebendieß wird durch
Schüler geſchehen, welche ſeine Formen ohne den inwohnenden Geiſt ſich aneig-
nen, während andere ſeinen Styl lebendig fortbilden, den reiferen eines fortge-
ſchrittenen Meiſters aufnehmen und dann einen eigenen entwickeln.
1. Nur zu dem Zwecke wird der Begriff des Geſchmacks aus §. 509
noch einmal aufgenommen, um zu zeigen, wie eben das Große, was im
Style liegt, über die Tact-Rückſichten des Geſchmacks mit ſeinen mächtigen
Schritten gelegentlich rückſichtslos hinüberſchreiten kann. Shakespeare iſt
dort ſchon angeführt und man hat mit Recht von ihm geſagt, daß, wer
eine grandioſe Toga um einen gewaltig bewegten Heldenkörper wirft,
nicht nach jeder kleinen Falte ſehen kann, ob ſie geſchmackvoll gelegt ſei.
Phantaſie, „das Rieſenweib, das unter Donnerſturm den Mund aufthut,
nach der purpurnen Wolke die Hand ſtreckt und ſie als Gewand umwirft“,
hat keine Zeit, darnach zu fragen, wie ſie im Salon aufgenommen würde.
Es iſt wahr, daß auch Geſchmacksverletzungen in Begleitung des Styls
vorkommen, welche nicht aus einem erhabenen Ueberſehen, ſondern aus
einer kleinen Abſichtlichkeit kommen, die ſich ſeltſam mit der wahren Größe
verbinden kann. Es iſt dieß zu §. 509 von Shakespeare ſchon zugegeben;
ſeine Geſchmackloſigkeiten kommen meiſt in der Converſationsſphäre vor
und wenn er darin allerdings der Mode ſeiner Zeit huldigt, alſo dem,
was damals für Geſchmack galt, uns aber als Ungeſchmack gilt, ſo nimmt
er doch Theil an der gemeinſamen Schuld einer falſchen conventionellen
Bindung und ſeine Anbequemung an einen falſchen Geſchmack iſt ein Ver-
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