lich. -- Was die Religion betrifft, so darf ebenfalls nur §. 61--67 subjec- tiv gewendet werden, um zu begreifen, daß spezifisch auf Frömmigkeit gestelltes Pathos die ächte Phantasie ausschließt, daß ein Fiesole seine schönen Anschauungen nicht seinen Gebeten und Thränen verdankte, daß es sehr begreiflich ist, wenn uns ausgezeichnete Maler christlicher Mythen, wie Giotto, als sehr lustige und witzige Patrone geschildert werden, und daß der moderne Kunstpietismus, der den Künstler zum Mönch machen möchte, eine schwere Verirrung ist. Auch Schleiermacher spricht sich bestimmt genug über diesen Punkt aus (Aesth. S. 214 ff.); er nennt die religiöse Haltung der Meister in religiösen Stoffen eine bloße Wirkung des Ge- sammtlebens auf sie. -- Endlich ist nur §. 68 und 69 subjectiv zu wenden, um die Richtung auf das reine Denken ganz von der Phantasie auszu- schließen. Nichts ist hierüber belehrender, als die vielen Aussprüche Schillers, worin er selbst klagt, wie der Philosoph in ihm den Dichter und umgekehrt störe, seine Betheurung, daß er all sein speculatives Wissen und Denken als Dichter gern um den gemeinsten technischen Handgriff eintauschen würde, sein Gefühl des Fortschrittes, als er an Göthe's ungetheilter Natur die Speculation, welche dieser in ihrem Verhältniß zur Aufgabe des Dichters ganz mit Recht (aus anderweitigen Gründen frei- lich mit Unrecht) eine unselige nannte, in die Phantasie sich wieder aufheben fühlte. Ein Bruch blieb ihm aber immer. In der Lehre von der Besonnenheit in der Phantasie ist auf diesen Punkt noch einmal zurück- zusehen.
§. 393.
1
Dieses Subject findet zufällig irgend ein Naturschönes, dessen Gehalt durch die Mitte der Anschauung die in seinem Gemüth lebendige Idee als eine 2verwandte berührt und erfaßt. Die Wirkung wird (vergl. §. 381, 1.) zunächst mehr oder minder, kann aber auch im vollen Sinne stoffartig sein; dann muß aber, ehe der wahrhaft Schönes erzeugende Prozeß beginnen kann, die Leiden- schaft ihren Verlauf bis zur Nähe der Abkühlung genommen haben.
1. Wir haben das Naturschöne seit §. 385 zur Seite gelassen; jetzt ist der Moment, wo es wieder aufgenommen werden muß und für die ganze Entwicklung liegt die größte Wichtigkeit darin, daß dieß gerade hier geschieht. Wir haben als Forderung oder Voraussetzung ein mit der Idee erfülltes Subject aufgestellt. Jetzt entsteht die schwierige Grundfrage: wie dieses mit einem Objecte so zusammenbringen, daß es seine Idee so, wie wir in §. 391 verlangten, unmittelbar und in völliger objectiver Ge- genüberstellung in jenes legt? Hier ist es, wo sich erledigt, was in §. 383,
lich. — Was die Religion betrifft, ſo darf ebenfalls nur §. 61—67 ſubjec- tiv gewendet werden, um zu begreifen, daß ſpezifiſch auf Frömmigkeit geſtelltes Pathos die ächte Phantaſie ausſchließt, daß ein Fieſole ſeine ſchönen Anſchauungen nicht ſeinen Gebeten und Thränen verdankte, daß es ſehr begreiflich iſt, wenn uns ausgezeichnete Maler chriſtlicher Mythen, wie Giotto, als ſehr luſtige und witzige Patrone geſchildert werden, und daß der moderne Kunſtpietiſmus, der den Künſtler zum Mönch machen möchte, eine ſchwere Verirrung iſt. Auch Schleiermacher ſpricht ſich beſtimmt genug über dieſen Punkt aus (Aeſth. S. 214 ff.); er nennt die religiöſe Haltung der Meiſter in religiöſen Stoffen eine bloße Wirkung des Ge- ſammtlebens auf ſie. — Endlich iſt nur §. 68 und 69 ſubjectiv zu wenden, um die Richtung auf das reine Denken ganz von der Phantaſie auszu- ſchließen. Nichts iſt hierüber belehrender, als die vielen Ausſprüche Schillers, worin er ſelbſt klagt, wie der Philoſoph in ihm den Dichter und umgekehrt ſtöre, ſeine Betheurung, daß er all ſein ſpeculatives Wiſſen und Denken als Dichter gern um den gemeinſten techniſchen Handgriff eintauſchen würde, ſein Gefühl des Fortſchrittes, als er an Göthe’s ungetheilter Natur die Speculation, welche dieſer in ihrem Verhältniß zur Aufgabe des Dichters ganz mit Recht (aus anderweitigen Gründen frei- lich mit Unrecht) eine unſelige nannte, in die Phantaſie ſich wieder aufheben fühlte. Ein Bruch blieb ihm aber immer. In der Lehre von der Beſonnenheit in der Phantaſie iſt auf dieſen Punkt noch einmal zurück- zuſehen.
§. 393.
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Dieſes Subject findet zufällig irgend ein Naturſchönes, deſſen Gehalt durch die Mitte der Anſchauung die in ſeinem Gemüth lebendige Idee als eine 2verwandte berührt und erfaßt. Die Wirkung wird (vergl. §. 381, 1.) zunächſt mehr oder minder, kann aber auch im vollen Sinne ſtoffartig ſein; dann muß aber, ehe der wahrhaft Schönes erzeugende Prozeß beginnen kann, die Leiden- ſchaft ihren Verlauf bis zur Nähe der Abkühlung genommen haben.
1. Wir haben das Naturſchöne ſeit §. 385 zur Seite gelaſſen; jetzt iſt der Moment, wo es wieder aufgenommen werden muß und für die ganze Entwicklung liegt die größte Wichtigkeit darin, daß dieß gerade hier geſchieht. Wir haben als Forderung oder Vorausſetzung ein mit der Idee erfülltes Subject aufgeſtellt. Jetzt entſteht die ſchwierige Grundfrage: wie dieſes mit einem Objecte ſo zuſammenbringen, daß es ſeine Idee ſo, wie wir in §. 391 verlangten, unmittelbar und in völliger objectiver Ge- genüberſtellung in jenes legt? Hier iſt es, wo ſich erledigt, was in §. 383,
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geſtelltes Pathos die ächte Phantaſie ausſchließt, daß ein Fieſole ſeine
ſchönen Anſchauungen nicht ſeinen Gebeten und Thränen verdankte, daß
es ſehr begreiflich iſt, wenn uns ausgezeichnete Maler chriſtlicher Mythen,
wie Giotto, als ſehr luſtige und witzige Patrone geſchildert werden, und
daß der moderne Kunſtpietiſmus, der den Künſtler zum Mönch machen
möchte, eine ſchwere Verirrung iſt. Auch Schleiermacher ſpricht ſich beſtimmt
genug über dieſen Punkt aus (Aeſth. S. 214 ff.); er nennt die religiöſe
Haltung der Meiſter in religiöſen Stoffen eine bloße Wirkung des Ge-
ſammtlebens auf ſie. — Endlich iſt nur §. 68 und 69 ſubjectiv zu wenden,
um die Richtung auf das reine Denken ganz von der Phantaſie auszu-
ſchließen. Nichts iſt hierüber belehrender, als die vielen Ausſprüche
Schillers, worin er ſelbſt klagt, wie der Philoſoph in ihm den Dichter
und umgekehrt ſtöre, ſeine Betheurung, daß er all ſein ſpeculatives Wiſſen
und Denken als Dichter gern um den gemeinſten techniſchen Handgriff
eintauſchen würde, ſein Gefühl des Fortſchrittes, als er an Göthe’s
ungetheilter Natur die Speculation, welche dieſer in ihrem Verhältniß zur
Aufgabe des Dichters ganz mit Recht (aus anderweitigen Gründen frei-
lich mit Unrecht) eine unſelige nannte, in die Phantaſie ſich wieder aufheben
fühlte. Ein Bruch blieb ihm aber immer. In der Lehre von der
Beſonnenheit in der Phantaſie iſt auf dieſen Punkt noch einmal zurück-
zuſehen.
§. 393.
Dieſes Subject findet zufällig irgend ein Naturſchönes, deſſen Gehalt
durch die Mitte der Anſchauung die in ſeinem Gemüth lebendige Idee als eine
verwandte berührt und erfaßt. Die Wirkung wird (vergl. §. 381, 1.) zunächſt
mehr oder minder, kann aber auch im vollen Sinne ſtoffartig ſein; dann muß
aber, ehe der wahrhaft Schönes erzeugende Prozeß beginnen kann, die Leiden-
ſchaft ihren Verlauf bis zur Nähe der Abkühlung genommen haben.
1. Wir haben das Naturſchöne ſeit §. 385 zur Seite gelaſſen; jetzt
iſt der Moment, wo es wieder aufgenommen werden muß und für die
ganze Entwicklung liegt die größte Wichtigkeit darin, daß dieß gerade
hier geſchieht. Wir haben als Forderung oder Vorausſetzung ein mit der
Idee erfülltes Subject aufgeſtellt. Jetzt entſteht die ſchwierige Grundfrage:
wie dieſes mit einem Objecte ſo zuſammenbringen, daß es ſeine Idee ſo,
wie wir in §. 391 verlangten, unmittelbar und in völliger objectiver Ge-
genüberſtellung in jenes legt? Hier iſt es, wo ſich erledigt, was in §. 383,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/52>, abgerufen am 22.02.2025.
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