Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.
vom Geheimniß der Form, in die er das pathologisch Bewegende so ge- §. 390. Diese Synthese verschwindet im Traume, in welchem der Geist ganz Indem wir die Stufe suchen, auf welcher der Geist seine Bilder zur
vom Geheimniß der Form, in die er das pathologiſch Bewegende ſo ge- §. 390. Dieſe Syntheſe verſchwindet im Traume, in welchem der Geiſt ganz Indem wir die Stufe ſuchen, auf welcher der Geiſt ſeine Bilder zur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0044" n="330"/> vom Geheimniß der Form, in die er das pathologiſch Bewegende ſo ge-<lb/> goſſen, daß es zugleich den pathologiſchen Stachel verloren hat. —</hi> </p> </div><lb/> <div n="6"> <head>§. 390.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Dieſe Syntheſe verſchwindet im <hi rendition="#g">Traume</hi>, in welchem der Geiſt ganz<lb/> in ſeine Bilderwelt aufgeht. Der Traum ſteht wegen dieſer vollendeten Auf-<lb/> löſung äſthetiſch höher, als die wache Thätigkeit der Einbildungskraft; allein eben-<lb/> ſoſehr auch niedriger, denn in ihm iſt mit der Freiheit und der ſelbſtbewußten<lb/> Trennung der Subjectivität und Objectivität auch alle Beherrſchung und Durch-<lb/> bildung der ſich drängenden inneren Geſtaltungen unmöglich geworden.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Indem wir die Stufe ſuchen, auf welcher der Geiſt ſeine Bilder zur<lb/> reinen Form erhebt, tritt zugleich eine andere Kategorie von ſelbſt in un-<lb/> ſere Unterſuchung ein, nämlich die der Subjectivität und Objectivität, welche<lb/> im folg. §. erſt ausdrücklich hervorgeſtellt werden ſoll. Dieß verhält ſich<lb/> ſo: der Geiſt, der als Einheit und Allgemeinheit, als theilhaftig der ab-<lb/> ſoluten Idee vorausgeſetzt iſt, ſoll die Gewißheit, daß dieſe wirklich iſt,<lb/> ehe er noch in der Form des Denkens dieſe Wirklichkeit als eine in un-<lb/> endlichem Prozeſſe ſich vollziehende (§. 10. 12. 52, 2.) begreift, in ein<lb/> Einzelnes legen. Dieß kann er nur vermittelſt eines inneren Bildes, das<lb/> er ſich von dieſem Einzelnen macht (§. 381). Dieſes Bild iſt zunächſt<lb/> mit allen Mängeln ſeines Gegenſtands, des empiriſch wirklichen Einzelnen be-<lb/> haftet. Der Geiſt muß es daher mit der Einheit und Allgemeinheit der<lb/> Idee, die in ihm lebt iſt, durchdringen und umbilden; er muß ſich<lb/> in daſſelbe hinübertragen. Dann hat er ein reines Bild vor ſich, aber er<lb/> hat es auch dann erſt <hi rendition="#g">vor</hi> ſich, hat es (innerhalb ſeiner ſelbſt) <hi rendition="#g">ſich ge-<lb/> genüber; denn erſt, wenn ſein Bild ſo viel iſt, als er</hi>, wenn<lb/> auf der anderen Seite daſſelbe Gewicht iſt, wie auf der einen, iſt Gegen-<lb/> überſtellung. Das Bild iſt erſt ein Du, wenn das Ich auf ſeiner Seite<lb/> iſt. Erſt die vollendete Einheit des Geiſtes mit ſeinem Bilde iſt Zweiheit<lb/> beider und umgekehrt; erſt wenn ſich der Geiſt an ſein Bild ganz ent-<lb/> äußert, ſieht er in ihm ſein Spiegelbild ſich gegenübertreten. Die vollen-<lb/> dete Durchleuchtung des Bildes iſt daher zugleich ſeine vollendete <hi rendition="#g">Ob-<lb/> jectivität</hi> (im Sinne einer überhaupt erſt <hi rendition="#g">inneren</hi> Verdopplung des<lb/> Geiſtes). In der Syntheſe der wachen Einbildungskraft nun (§. 389)<lb/> behielt ſich der Geiſt noch zurück; ſeine Bilderwelt blieb daher unrein,<lb/> unſtet, haltlos, bleich und grell zugleich. Man laſſe ſich daran nicht irre<lb/> machen durch die Beobachtung, daß die Bilder ebenſoſehr ſtoffartig den<lb/> Geiſt beherrſchen, als auch frei von ihm verarbeitet werden; denn ſie<lb/> rächen ſich an ihm gerade dafür, daß er ſich nicht ganz in ſie giebt, ſon-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [330/0044]
vom Geheimniß der Form, in die er das pathologiſch Bewegende ſo ge-
goſſen, daß es zugleich den pathologiſchen Stachel verloren hat. —
§. 390.
Dieſe Syntheſe verſchwindet im Traume, in welchem der Geiſt ganz
in ſeine Bilderwelt aufgeht. Der Traum ſteht wegen dieſer vollendeten Auf-
löſung äſthetiſch höher, als die wache Thätigkeit der Einbildungskraft; allein eben-
ſoſehr auch niedriger, denn in ihm iſt mit der Freiheit und der ſelbſtbewußten
Trennung der Subjectivität und Objectivität auch alle Beherrſchung und Durch-
bildung der ſich drängenden inneren Geſtaltungen unmöglich geworden.
Indem wir die Stufe ſuchen, auf welcher der Geiſt ſeine Bilder zur
reinen Form erhebt, tritt zugleich eine andere Kategorie von ſelbſt in un-
ſere Unterſuchung ein, nämlich die der Subjectivität und Objectivität, welche
im folg. §. erſt ausdrücklich hervorgeſtellt werden ſoll. Dieß verhält ſich
ſo: der Geiſt, der als Einheit und Allgemeinheit, als theilhaftig der ab-
ſoluten Idee vorausgeſetzt iſt, ſoll die Gewißheit, daß dieſe wirklich iſt,
ehe er noch in der Form des Denkens dieſe Wirklichkeit als eine in un-
endlichem Prozeſſe ſich vollziehende (§. 10. 12. 52, 2.) begreift, in ein
Einzelnes legen. Dieß kann er nur vermittelſt eines inneren Bildes, das
er ſich von dieſem Einzelnen macht (§. 381). Dieſes Bild iſt zunächſt
mit allen Mängeln ſeines Gegenſtands, des empiriſch wirklichen Einzelnen be-
haftet. Der Geiſt muß es daher mit der Einheit und Allgemeinheit der
Idee, die in ihm lebt iſt, durchdringen und umbilden; er muß ſich
in daſſelbe hinübertragen. Dann hat er ein reines Bild vor ſich, aber er
hat es auch dann erſt vor ſich, hat es (innerhalb ſeiner ſelbſt) ſich ge-
genüber; denn erſt, wenn ſein Bild ſo viel iſt, als er, wenn
auf der anderen Seite daſſelbe Gewicht iſt, wie auf der einen, iſt Gegen-
überſtellung. Das Bild iſt erſt ein Du, wenn das Ich auf ſeiner Seite
iſt. Erſt die vollendete Einheit des Geiſtes mit ſeinem Bilde iſt Zweiheit
beider und umgekehrt; erſt wenn ſich der Geiſt an ſein Bild ganz ent-
äußert, ſieht er in ihm ſein Spiegelbild ſich gegenübertreten. Die vollen-
dete Durchleuchtung des Bildes iſt daher zugleich ſeine vollendete Ob-
jectivität (im Sinne einer überhaupt erſt inneren Verdopplung des
Geiſtes). In der Syntheſe der wachen Einbildungskraft nun (§. 389)
behielt ſich der Geiſt noch zurück; ſeine Bilderwelt blieb daher unrein,
unſtet, haltlos, bleich und grell zugleich. Man laſſe ſich daran nicht irre
machen durch die Beobachtung, daß die Bilder ebenſoſehr ſtoffartig den
Geiſt beherrſchen, als auch frei von ihm verarbeitet werden; denn ſie
rächen ſich an ihm gerade dafür, daß er ſich nicht ganz in ſie giebt, ſon-
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