Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.b. Mitte. §. 461. Die Verschmelzung des Christlichen, also ursprünglich Orientalischen, des1 1. Die Kelten sind ausdrücklich zu nennen, denn die wichtigsten 32*
β. Mitte. §. 461. Die Verſchmelzung des Chriſtlichen, alſo urſprünglich Orientaliſchen, des1 1. Die Kelten ſind ausdrücklich zu nennen, denn die wichtigſten 32*
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β.
Mitte.
§. 461.
Die Verſchmelzung des Chriſtlichen, alſo urſprünglich Orientaliſchen, des
Romaniſchen, des Deutſchen, der allgemeine Austauſch, der insbeſondere auch
Keltiſches aufnimmt, dazu der Einfluß der muhamedaniſchen Phantaſie,
welche die unterſchiedslos reine Einheit und Allgemeinheit ihres Gottes mit
heiterer Beſchaulichkeit als gegenwärtige Weltſeele genießt, mit Gluth und
Kühnheit der Empfindung glänzende Thaten feiert, mit üppigem Spiel der Er-
findung eine Fülle von Pracht ſtreng meſſend um einen geſtaltloſeren Mittel-
punkt verſammelt und vorzüglich dem ſpaniſchen Volke ſich mittheilt: dieſe Mo-
mente treiben ihre Blüthe, das Herz des Mittelalters ſchließt ſeine Schätze auf
und die empfindende Phantaſie kommt zur Reife.
1. Die Kelten ſind ausdrücklich zu nennen, denn die wichtigſten
Sagen des Mittelalters gehen von dieſem träumeriſchen Volke, das von der
neblichten Luſt der brittiſchen Inſeln, wo es ſich am längſten unvermiſcht
erhielt, wie von einem geheimnißvollen Schleier, dahinter Geiſter lauſchen,
umgeben iſt, und deſſen Phantaſie Feen, Elfen, Zauberbrunnen und dergl.
urſprünglich angehören, entweder wirklich aus, um zwiſchen allen abend-
ländiſchen Völkern herüber und hinübergetragen ſich zu erweitern, oder ſie
wandern zu ihm und werden vermehrt von ihm wieder zurückgegeben.
Neben den Kelten ſind die Muhamedaner, d. h. insbeſondere die Per-
ſer mit der durch die arabiſche Eroberung bei ihnen neu geſchaffenen Bil-
dung, und die Araber ſelbſt, wie in §. 361, 1. als Stoff, ſo um deſſen
willen, was ſie ſelbſt an Schönheit produzirt haben, hier zu nennen. Den hei-
teren Pantheiſmus ihrer empfindenden Phantaſie hat Hegel (Aeſth. Th. 1,
S. 473 ff.) trefflich dargeſtellt: indem der Dichter das Göttliche in Allem
zu erblicken ſich ſehnt und es wirklich erblickt, gibt er nun auch ſein eigenes
Selbſt dagegen auf, faßt aber ebenſoſehr die Immanenz des Göttlichen
in ſeinem ſo erweiterten und befreiten Innern auf und dadurch erwächst
ihm „jene heitere Innigkeit, jenes freie Glück, jene ſchwelgeriſche Selig-
keit“ u. ſ. w. Dieſe Innigkeit iſt gewiß das Höchſte, wozu ſich die Phan-
taſie des Muhamedaniſmus erhoben hat, aber keineswegs ihre einzige
Form. Wie ſie hier als ſanft verklärendes Licht wirkt, ſo flackert ſie auch
in poſitiv ſchaffender Thätigkeit als unruhige Flamme, trennt ſich von der
Beſonnenheit und legt ſie nur als meſſenden Verſtand an ihre bunten
Mährchen. Die Araber ſind darin den alten Orientalen gleich, aber der
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