Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.Ausgang. §. 442. Das römische Volk, mehr objectiv als subjectiv ästhetisch, gibt dem Reiche Es ist schon zu §. 352 ausgeführt, wie die Römer zu den Völkern Ausgang. §. 442. Das römiſche Volk, mehr objectiv als ſubjectiv äſthetiſch, gibt dem Reiche Es iſt ſchon zu §. 352 ausgeführt, wie die Römer zu den Völkern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0180" n="466"/> <div n="6"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Ausgang</hi>.</hi> </head><lb/> <div n="7"> <head>§. 442.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Das <hi rendition="#g">römiſche</hi> Volk, mehr objectiv als ſubjectiv äſthetiſch, gibt dem Reiche<lb/> der Phantaſie, das es mit den Griechen theilt oder von ihnen übernimmt, keinen<lb/> oder nur geringen, durch einen Zug des Geiſterhaften unterſchiedenen Zuwachs,<lb/> behandelt aber das Gemeinſame und Ueberkommene ſeinem Charakter gemäß<lb/> in einem Geiſte der Mächtigkeit und Feierlichkeit, worin ſich die ernſte prak-<lb/> tiſch politiſche Bedeutung ſeiner Religion ausſpricht. Doch erzeugt es eine eigene,<lb/> zwar ſparſamere Heldenſage und ſein Dualiſmus (§. 352, <hi rendition="#sub">1</hi>) bedingt neben der<lb/> erhabenen Stimmung ein ſelbſtändiges Talent zum Komiſchen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Es iſt ſchon zu §. 352 ausgeführt, wie die Römer zu den Völkern<lb/> gehören, welche Stoff des Schönen mehr ſind, als machen. So ſind auch<lb/> an ihrer Religion die Sacra, der Gottesdienſt, wie er erſcheint, als ein<lb/> Alles durchdringender politiſch religiöſer und ſehr ſuperſtitiöſer Cultus wich-<lb/> tiger, als ihr Götterglaube. Jene wurden zu §. 352 erwähnt, ihre Re-<lb/> ligion iſt durch dieſen praktiſchen Charakter mehr Stoff für einen Dritten,<lb/> als er es für ſie ſelbſt ſein konnte. Die meiſten Götter theilen ſie be-<lb/> kanntlich durch die urſprünglich pelaſgiſche Bevölkerung Italiens und den<lb/> frühen Verkehr zwiſchen den Etruskern und Griechen mit dieſen; was<lb/> eigenthümlicher iſt, hat theils noch eine mehr ſymboliſche Geſtalt, wie<lb/> Janus mit ſeinem Doppelgeſichte, theils muß etwas Geſpenſtiſches, Gei-<lb/> ſterhaftes in der Phantaſie eines Volkes auftreten, das eine zwar große,<lb/> aber düſtere Welt ſich baut, in welche das Innere nicht mit freier Heiter-<lb/> keit ſich ergießt; da tritt ſchon ein Zug der Ahnung ein, die hinter den<lb/> Dingen helldunkle Schattenbilder ſchweben ſieht; man denke namentlich<lb/> an die Lemuren, Larven, Lamien, an jene mit Hämmern bewaffneten<lb/> Todtengenien der Etruſker. Aeſthetiſch wichtig iſt aber namentlich dieß, daß<lb/> die Römer weit weniger Mythen hatten, als die Griechen. Der Gott<lb/> iſt zwar perſönlich, aber die Phantaſie erwartet mehr Handlungen von<lb/> ihm in ſeinem Verhältniß zum Staate, als ſie ſich in heiterer Dichtung<lb/> vergangener abſoluter Handlungen des Gottes an ſich ergeht. Dieß iſt<lb/> es, wodurch ſich vornämlich die praktiſch politiſche Natur dieſes Volks<lb/> äußert, das ebendaher wenig äſthetiſche Phantaſie hatte, weil ſein Kunſtwerk<lb/> der Staat war. Dagegen begreift ſich, daß es ſeine eigene Heldenſage<lb/> hatte, die, mit Aeneas an die griechiſche anknüpfend, die Geſchichte der<lb/> ewigen Stadt mit gewaltigen Männergeſtalten eröffnet. Daß nun dieſes<lb/> Volk die überkommene Götterlehre weniger im Sinne des einfach Schönen,<lb/> als des Erhabenen, und zwar im geſchichtlich politiſchen Sinne feierlicher<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [466/0180]
Ausgang.
§. 442.
Das römiſche Volk, mehr objectiv als ſubjectiv äſthetiſch, gibt dem Reiche
der Phantaſie, das es mit den Griechen theilt oder von ihnen übernimmt, keinen
oder nur geringen, durch einen Zug des Geiſterhaften unterſchiedenen Zuwachs,
behandelt aber das Gemeinſame und Ueberkommene ſeinem Charakter gemäß
in einem Geiſte der Mächtigkeit und Feierlichkeit, worin ſich die ernſte prak-
tiſch politiſche Bedeutung ſeiner Religion ausſpricht. Doch erzeugt es eine eigene,
zwar ſparſamere Heldenſage und ſein Dualiſmus (§. 352, 1) bedingt neben der
erhabenen Stimmung ein ſelbſtändiges Talent zum Komiſchen.
Es iſt ſchon zu §. 352 ausgeführt, wie die Römer zu den Völkern
gehören, welche Stoff des Schönen mehr ſind, als machen. So ſind auch
an ihrer Religion die Sacra, der Gottesdienſt, wie er erſcheint, als ein
Alles durchdringender politiſch religiöſer und ſehr ſuperſtitiöſer Cultus wich-
tiger, als ihr Götterglaube. Jene wurden zu §. 352 erwähnt, ihre Re-
ligion iſt durch dieſen praktiſchen Charakter mehr Stoff für einen Dritten,
als er es für ſie ſelbſt ſein konnte. Die meiſten Götter theilen ſie be-
kanntlich durch die urſprünglich pelaſgiſche Bevölkerung Italiens und den
frühen Verkehr zwiſchen den Etruskern und Griechen mit dieſen; was
eigenthümlicher iſt, hat theils noch eine mehr ſymboliſche Geſtalt, wie
Janus mit ſeinem Doppelgeſichte, theils muß etwas Geſpenſtiſches, Gei-
ſterhaftes in der Phantaſie eines Volkes auftreten, das eine zwar große,
aber düſtere Welt ſich baut, in welche das Innere nicht mit freier Heiter-
keit ſich ergießt; da tritt ſchon ein Zug der Ahnung ein, die hinter den
Dingen helldunkle Schattenbilder ſchweben ſieht; man denke namentlich
an die Lemuren, Larven, Lamien, an jene mit Hämmern bewaffneten
Todtengenien der Etruſker. Aeſthetiſch wichtig iſt aber namentlich dieß, daß
die Römer weit weniger Mythen hatten, als die Griechen. Der Gott
iſt zwar perſönlich, aber die Phantaſie erwartet mehr Handlungen von
ihm in ſeinem Verhältniß zum Staate, als ſie ſich in heiterer Dichtung
vergangener abſoluter Handlungen des Gottes an ſich ergeht. Dieß iſt
es, wodurch ſich vornämlich die praktiſch politiſche Natur dieſes Volks
äußert, das ebendaher wenig äſthetiſche Phantaſie hatte, weil ſein Kunſtwerk
der Staat war. Dagegen begreift ſich, daß es ſeine eigene Heldenſage
hatte, die, mit Aeneas an die griechiſche anknüpfend, die Geſchichte der
ewigen Stadt mit gewaltigen Männergeſtalten eröffnet. Daß nun dieſes
Volk die überkommene Götterlehre weniger im Sinne des einfach Schönen,
als des Erhabenen, und zwar im geſchichtlich politiſchen Sinne feierlicher
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