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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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Ormuzd für jenes gegen dieses, das Reich Arimans kämpfen. Allein
umgekehrt ist dieß auch eine Grundlage, woran sich das eigentlich Ethische,
soweit es in dieser Naturform des Willens zum Bewußtsein kommen
kann, von selber ansetzt und baut. Die Völker umspannen wie die
Sonne und segensreich beherrschen ist Ziel dieses handelnden Volkes, das
ebendaher mehr objectiv Stoff für die Aesthetik ist, als daß es subjectiv
solchen schafft. Soweit es nun dennoch auch im letzteren Sinne thätig
ist, wird es die Idealwelt seiner Phantasie wesentlich durch das Medium
der objectiven Stoffwelt darstellen: der König, sein Hof, seine Siege,
sein Wirken, die Ceremonien, worin sich seine Größe repräsentirt, sind
das rechte Bild für das Reich des Ormuzd, Städtebau in der Zahl seiner
Ringmauern u. s. w. Symbol des Planetensystems. Eine reiche Helden-
sage bildet sich aus. Man sieht, wie die gesunde Einfalt dieses Volks
sich zur ursprünglichen Stoffwelt hindrängt. Daher ist sein Formgefühl
gemessener, als das indische, ruhig, würdig, edel, repräsentativ und feier-
lich, Pracht und Majestät sein Grundcharakter.

§. 432.

1

Aehnlich verhalten sich die semitischen Völker Vorderastens (die Ju-
den ausgenommen) zu den Aegyptiern (vergl. §. 347). Jene sind zu thätig,
um in der ästhetischen Formbildung bedeutend zu sein; ihre kargen, übrigens
zugleich wild ausschweifenden und melancholischen Religionsvorstellungen arbeiten
2den ägyptischen vor. In der Phantasie der Aegyptier legt sich der indische
Taumel und im Ungemessenen herrscht das Gemessene als beruhigendes Gesetz.
Der wahre Grund des Erhabenen, die Negativität des Sinnlichen, tritt als
die Vorstellung eines sterbenden Gottes, und zugleich die wahre Idee des
Sittlichen als Vorstellung seines Todtengerichts ein, doch hat die letztere nicht
die Kraft, den Geist über die abstracte Festhaltung des Todes zu erheben
Diese Phantasie wird daher wesentlich todtenhaft. Je näher nun der Auf-
gang der Persönlichkeit und daher der menschlichen Schönheit liegt, desto stär-
ker äußert sich die Stockung an dieser Schwelle durch das Bedürfniß der Erfin-
dung, aber auch durch die bedachtsame Wahl ineinandergeschobener, besonders
im Thiere das Geheimniß des Geistes suchender Symbole, deren bunte und
doch streng gefesselte Welt in räthselhaftem Schweigen den Charakter
des Todtenhaften vollendet.

1. Wir stellen hier die semitischen Völker außer den Juden, Ba-
bylonier, Phönizier, Syrer voran, denn was an ihnen allein wichtig ist,
das leitet zur ägyptischen Religion hinüber; übrigens verhalten sie sich

Ormuzd für jenes gegen dieſes, das Reich Arimans kämpfen. Allein
umgekehrt iſt dieß auch eine Grundlage, woran ſich das eigentlich Ethiſche,
ſoweit es in dieſer Naturform des Willens zum Bewußtſein kommen
kann, von ſelber anſetzt und baut. Die Völker umſpannen wie die
Sonne und ſegensreich beherrſchen iſt Ziel dieſes handelnden Volkes, das
ebendaher mehr objectiv Stoff für die Aeſthetik iſt, als daß es ſubjectiv
ſolchen ſchafft. Soweit es nun dennoch auch im letzteren Sinne thätig
iſt, wird es die Idealwelt ſeiner Phantaſie weſentlich durch das Medium
der objectiven Stoffwelt darſtellen: der König, ſein Hof, ſeine Siege,
ſein Wirken, die Ceremonien, worin ſich ſeine Größe repräſentirt, ſind
das rechte Bild für das Reich des Ormuzd, Städtebau in der Zahl ſeiner
Ringmauern u. ſ. w. Symbol des Planetenſyſtems. Eine reiche Helden-
ſage bildet ſich aus. Man ſieht, wie die geſunde Einfalt dieſes Volks
ſich zur urſprünglichen Stoffwelt hindrängt. Daher iſt ſein Formgefühl
gemeſſener, als das indiſche, ruhig, würdig, edel, repräſentativ und feier-
lich, Pracht und Majeſtät ſein Grundcharakter.

§. 432.

1

Aehnlich verhalten ſich die ſemitiſchen Völker Vorderaſtens (die Ju-
den ausgenommen) zu den Aegyptiern (vergl. §. 347). Jene ſind zu thätig,
um in der äſthetiſchen Formbildung bedeutend zu ſein; ihre kargen, übrigens
zugleich wild ausſchweifenden und melancholiſchen Religionsvorſtellungen arbeiten
2den ägyptiſchen vor. In der Phantaſie der Aegyptier legt ſich der indiſche
Taumel und im Ungemeſſenen herrſcht das Gemeſſene als beruhigendes Geſetz.
Der wahre Grund des Erhabenen, die Negativität des Sinnlichen, tritt als
die Vorſtellung eines ſterbenden Gottes, und zugleich die wahre Idee des
Sittlichen als Vorſtellung ſeines Todtengerichts ein, doch hat die letztere nicht
die Kraft, den Geiſt über die abſtracte Feſthaltung des Todes zu erheben
Dieſe Phantaſie wird daher weſentlich todtenhaft. Je näher nun der Auf-
gang der Perſönlichkeit und daher der menſchlichen Schönheit liegt, deſto ſtär-
ker äußert ſich die Stockung an dieſer Schwelle durch das Bedürfniß der Erfin-
dung, aber auch durch die bedachtſame Wahl ineinandergeſchobener, beſonders
im Thiere das Geheimniß des Geiſtes ſuchender Symbole, deren bunte und
doch ſtreng gefeſſelte Welt in räthſelhaftem Schweigen den Charakter
des Todtenhaften vollendet.

1. Wir ſtellen hier die ſemitiſchen Völker außer den Juden, Ba-
bylonier, Phönizier, Syrer voran, denn was an ihnen allein wichtig iſt,
das leitet zur ägyptiſchen Religion hinüber; übrigens verhalten ſie ſich

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[436/0150] Ormuzd für jenes gegen dieſes, das Reich Arimans kämpfen. Allein umgekehrt iſt dieß auch eine Grundlage, woran ſich das eigentlich Ethiſche, ſoweit es in dieſer Naturform des Willens zum Bewußtſein kommen kann, von ſelber anſetzt und baut. Die Völker umſpannen wie die Sonne und ſegensreich beherrſchen iſt Ziel dieſes handelnden Volkes, das ebendaher mehr objectiv Stoff für die Aeſthetik iſt, als daß es ſubjectiv ſolchen ſchafft. Soweit es nun dennoch auch im letzteren Sinne thätig iſt, wird es die Idealwelt ſeiner Phantaſie weſentlich durch das Medium der objectiven Stoffwelt darſtellen: der König, ſein Hof, ſeine Siege, ſein Wirken, die Ceremonien, worin ſich ſeine Größe repräſentirt, ſind das rechte Bild für das Reich des Ormuzd, Städtebau in der Zahl ſeiner Ringmauern u. ſ. w. Symbol des Planetenſyſtems. Eine reiche Helden- ſage bildet ſich aus. Man ſieht, wie die geſunde Einfalt dieſes Volks ſich zur urſprünglichen Stoffwelt hindrängt. Daher iſt ſein Formgefühl gemeſſener, als das indiſche, ruhig, würdig, edel, repräſentativ und feier- lich, Pracht und Majeſtät ſein Grundcharakter. §. 432. Aehnlich verhalten ſich die ſemitiſchen Völker Vorderaſtens (die Ju- den ausgenommen) zu den Aegyptiern (vergl. §. 347). Jene ſind zu thätig, um in der äſthetiſchen Formbildung bedeutend zu ſein; ihre kargen, übrigens zugleich wild ausſchweifenden und melancholiſchen Religionsvorſtellungen arbeiten den ägyptiſchen vor. In der Phantaſie der Aegyptier legt ſich der indiſche Taumel und im Ungemeſſenen herrſcht das Gemeſſene als beruhigendes Geſetz. Der wahre Grund des Erhabenen, die Negativität des Sinnlichen, tritt als die Vorſtellung eines ſterbenden Gottes, und zugleich die wahre Idee des Sittlichen als Vorſtellung ſeines Todtengerichts ein, doch hat die letztere nicht die Kraft, den Geiſt über die abſtracte Feſthaltung des Todes zu erheben Dieſe Phantaſie wird daher weſentlich todtenhaft. Je näher nun der Auf- gang der Perſönlichkeit und daher der menſchlichen Schönheit liegt, deſto ſtär- ker äußert ſich die Stockung an dieſer Schwelle durch das Bedürfniß der Erfin- dung, aber auch durch die bedachtſame Wahl ineinandergeſchobener, beſonders im Thiere das Geheimniß des Geiſtes ſuchender Symbole, deren bunte und doch ſtreng gefeſſelte Welt in räthſelhaftem Schweigen den Charakter des Todtenhaften vollendet. 1. Wir ſtellen hier die ſemitiſchen Völker außer den Juden, Ba- bylonier, Phönizier, Syrer voran, denn was an ihnen allein wichtig iſt, das leitet zur ägyptiſchen Religion hinüber; übrigens verhalten ſie ſich

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/150>, abgerufen am 30.12.2024.