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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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spülungen durch Wasser verwandeln die horizontale Linie in die gebogene
und bedingen die Wellenzüge der gewölbten Sättel und der vertieft ein-
gebogenen Mulden, die sanftgerundeten Kuppen der Berge. Das Schwemm-
land (diluvium und alluvium) wird im weiteren Zusammenhang erwähnt
werden, ebenso die jüngeren Bildungen des Feuers.

3. Wo das Flache vorherrscht, entstehen die eintönigen und traurigen
Sargformen, welche z. B. die schwäbische Alb zeigt; wo das Gerundete vor-
herrscht, die hinschleichenden Wellenzüge, die sanften Hügelreihen, welche
zwar mild, aber zugleich elegisch, in die Länge niederschlagend stimmen
und an Ketten von Maulwurfshügeln erinnern. Beide Charactere treten
zwar gewöhnlich in Verbindung auf, doch mehr nebeneinander, als so,
daß an einem und demselben, dem Auge sich darbietenden Gebirgstheile
diejenige Wechselergänzung gerade laufender mit geschwungenen Linien
aufträte, welche wir als die schönste Form suchen und von welcher nun
die Rede sein wird.

§. 263.

1

Die höchste Form wird immer entstehen, wenn Wildes, Schroffes, Eckiges,
Flaches und sanfter oder kühner Gebogenes in unmittelbaren Zusammen-
hang tritt, durch seine Wechselverhältnisse Auge und Sinn zugleich erregt,
beruhigt und sättigt. Solche Bildungen entstehen aber vornämlich erst durch
den Zutritt weiterer Bedingungen zu dem ursprünglichen Gepräge der Forma-
2tionen. Das Urgebirge erscheint verschieden, je nachdem das Feuer die Massen
gewaltsamer oder langsamer emporgetrieben hat, und so verbindet sich auch hier
die sanftere Form mit der härteren und wilderen; daher zeigen auch die jüngeren
3vulcanischen Gebilde zartere Formen. Umgekehrt zerreißt der stärkere Durch-
bruch der Wasser, der vulcanischen Kräfte und Massen gewaltsam die Schichten
der an sich sanfter gebildeten Gebirgsarten, zerklüftet sie in Risse, verschiebt
sie, bildet das Profil aus den Schichtenköpfen verschiedener Gebirgsarten und
führt so die jäheren und zerrissenen Formen zwischen die weicheren ein. Alle
Massen verwittern mehr oder minder durch Luft und Regen, werden von Wellen
angenagt, stürzen zusammen und verändern so ihre Umrisse. Das Schwemmland
endlich vermittelt als letzte und weichste Ueberkleidung die schrofferen Formen
durch sanfte Verbindungslinien.

1. Die verschiedenen Bedingungen, welche als ebensoviele Ursachen
der Veränderung des allgemeinen Charakters der Gebirgsphysiognomie
hier aufgeführt sind, werden bei dem Anblick der Formen deutlicher oder
dunkler erschlossen und bestimmen so allerdings den ästhetischen Eindruck
mit. Natürlich bewirken sie nicht immer und nothwendig die Form, welche
nunmehr als die schönste zu bezeichnen ist, nämlich jenes Gleichgewicht,

ſpülungen durch Waſſer verwandeln die horizontale Linie in die gebogene
und bedingen die Wellenzüge der gewölbten Sättel und der vertieft ein-
gebogenen Mulden, die ſanftgerundeten Kuppen der Berge. Das Schwemm-
land (diluvium und alluvium) wird im weiteren Zuſammenhang erwähnt
werden, ebenſo die jüngeren Bildungen des Feuers.

3. Wo das Flache vorherrſcht, entſtehen die eintönigen und traurigen
Sargformen, welche z. B. die ſchwäbiſche Alb zeigt; wo das Gerundete vor-
herrſcht, die hinſchleichenden Wellenzüge, die ſanften Hügelreihen, welche
zwar mild, aber zugleich elegiſch, in die Länge niederſchlagend ſtimmen
und an Ketten von Maulwurfshügeln erinnern. Beide Charactere treten
zwar gewöhnlich in Verbindung auf, doch mehr nebeneinander, als ſo,
daß an einem und demſelben, dem Auge ſich darbietenden Gebirgstheile
diejenige Wechſelergänzung gerade laufender mit geſchwungenen Linien
aufträte, welche wir als die ſchönſte Form ſuchen und von welcher nun
die Rede ſein wird.

§. 263.

1

Die höchſte Form wird immer entſtehen, wenn Wildes, Schroffes, Eckiges,
Flaches und ſanfter oder kühner Gebogenes in unmittelbaren Zuſammen-
hang tritt, durch ſeine Wechſelverhältniſſe Auge und Sinn zugleich erregt,
beruhigt und ſättigt. Solche Bildungen entſtehen aber vornämlich erſt durch
den Zutritt weiterer Bedingungen zu dem urſprünglichen Gepräge der Forma-
2tionen. Das Urgebirge erſcheint verſchieden, je nachdem das Feuer die Maſſen
gewaltſamer oder langſamer emporgetrieben hat, und ſo verbindet ſich auch hier
die ſanftere Form mit der härteren und wilderen; daher zeigen auch die jüngeren
3vulcaniſchen Gebilde zartere Formen. Umgekehrt zerreißt der ſtärkere Durch-
bruch der Waſſer, der vulcaniſchen Kräfte und Maſſen gewaltſam die Schichten
der an ſich ſanfter gebildeten Gebirgsarten, zerklüftet ſie in Riſſe, verſchiebt
ſie, bildet das Profil aus den Schichtenköpfen verſchiedener Gebirgsarten und
führt ſo die jäheren und zerriſſenen Formen zwiſchen die weicheren ein. Alle
Maſſen verwittern mehr oder minder durch Luft und Regen, werden von Wellen
angenagt, ſtürzen zuſammen und verändern ſo ihre Umriſſe. Das Schwemmland
endlich vermittelt als letzte und weichſte Ueberkleidung die ſchrofferen Formen
durch ſanfte Verbindungslinien.

1. Die verſchiedenen Bedingungen, welche als ebenſoviele Urſachen
der Veränderung des allgemeinen Charakters der Gebirgsphyſiognomie
hier aufgeführt ſind, werden bei dem Anblick der Formen deutlicher oder
dunkler erſchloſſen und beſtimmen ſo allerdings den äſthetiſchen Eindruck
mit. Natürlich bewirken ſie nicht immer und nothwendig die Form, welche
nunmehr als die ſchönſte zu bezeichnen iſt, nämlich jenes Gleichgewicht,

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[68/0080] ſpülungen durch Waſſer verwandeln die horizontale Linie in die gebogene und bedingen die Wellenzüge der gewölbten Sättel und der vertieft ein- gebogenen Mulden, die ſanftgerundeten Kuppen der Berge. Das Schwemm- land (diluvium und alluvium) wird im weiteren Zuſammenhang erwähnt werden, ebenſo die jüngeren Bildungen des Feuers. 3. Wo das Flache vorherrſcht, entſtehen die eintönigen und traurigen Sargformen, welche z. B. die ſchwäbiſche Alb zeigt; wo das Gerundete vor- herrſcht, die hinſchleichenden Wellenzüge, die ſanften Hügelreihen, welche zwar mild, aber zugleich elegiſch, in die Länge niederſchlagend ſtimmen und an Ketten von Maulwurfshügeln erinnern. Beide Charactere treten zwar gewöhnlich in Verbindung auf, doch mehr nebeneinander, als ſo, daß an einem und demſelben, dem Auge ſich darbietenden Gebirgstheile diejenige Wechſelergänzung gerade laufender mit geſchwungenen Linien aufträte, welche wir als die ſchönſte Form ſuchen und von welcher nun die Rede ſein wird. §. 263. Die höchſte Form wird immer entſtehen, wenn Wildes, Schroffes, Eckiges, Flaches und ſanfter oder kühner Gebogenes in unmittelbaren Zuſammen- hang tritt, durch ſeine Wechſelverhältniſſe Auge und Sinn zugleich erregt, beruhigt und ſättigt. Solche Bildungen entſtehen aber vornämlich erſt durch den Zutritt weiterer Bedingungen zu dem urſprünglichen Gepräge der Forma- tionen. Das Urgebirge erſcheint verſchieden, je nachdem das Feuer die Maſſen gewaltſamer oder langſamer emporgetrieben hat, und ſo verbindet ſich auch hier die ſanftere Form mit der härteren und wilderen; daher zeigen auch die jüngeren vulcaniſchen Gebilde zartere Formen. Umgekehrt zerreißt der ſtärkere Durch- bruch der Waſſer, der vulcaniſchen Kräfte und Maſſen gewaltſam die Schichten der an ſich ſanfter gebildeten Gebirgsarten, zerklüftet ſie in Riſſe, verſchiebt ſie, bildet das Profil aus den Schichtenköpfen verſchiedener Gebirgsarten und führt ſo die jäheren und zerriſſenen Formen zwiſchen die weicheren ein. Alle Maſſen verwittern mehr oder minder durch Luft und Regen, werden von Wellen angenagt, ſtürzen zuſammen und verändern ſo ihre Umriſſe. Das Schwemmland endlich vermittelt als letzte und weichſte Ueberkleidung die ſchrofferen Formen durch ſanfte Verbindungslinien. 1. Die verſchiedenen Bedingungen, welche als ebenſoviele Urſachen der Veränderung des allgemeinen Charakters der Gebirgsphyſiognomie hier aufgeführt ſind, werden bei dem Anblick der Formen deutlicher oder dunkler erſchloſſen und beſtimmen ſo allerdings den äſthetiſchen Eindruck mit. Natürlich bewirken ſie nicht immer und nothwendig die Form, welche nunmehr als die ſchönſte zu bezeichnen iſt, nämlich jenes Gleichgewicht,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/80>, abgerufen am 21.11.2024.