Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
einer bestimmten Situation die rechte Stimmung geben. Das Diamanten- d. Das Wasser. §. 257. Die zu Wasser verdichtete Luft kommt nach ihren Ansammlungen zu Schritt für Schritt ergänzt sich nun positiv das, was über abstracte
einer beſtimmten Situation die rechte Stimmung geben. Das Diamanten- d. Das Waſſer. §. 257. Die zu Waſſer verdichtete Luft kommt nach ihren Anſammlungen zu Schritt für Schritt ergänzt ſich nun poſitiv das, was über abſtracte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0071" n="59"/> einer beſtimmten Situation die rechte Stimmung geben. Das Diamanten-<lb/> geſchmeide des morgentlich erfriſchenden Thaues durfte nicht unerwähnt<lb/> bleiben. Die kalte, einförmig weiße Schneedecke ſollte man für ganz<lb/> unäſthetiſch halten; allein man muß mehrere gegenſätzliche Bedingungen<lb/> erwägen: einmal, daß die ohnedieß erſtorbene Natur ſtatt des ſchmutzigen<lb/> und fahlen Braun der Regenzeit nun doch das lichtvolle Weiß zeigt,<lb/> ferner, daß nach den trüben Regen des Frühwinters der Schnee mit der<lb/> Kälte, die er bringt, anſpannend auf alle Geſchöpfe wirkt. Erſcheint hier<lb/> der Schnee mit ſeiner Kälte als eine Energie, ſo mag er ein andermal<lb/> ſelbſt als Uebel äſthetiſch wirken, ſofern der unbequeme Puder, der auf<lb/> Alles fällt, etwas Komiſches hat, oder ſofern der warme Raum, das<lb/> behagliche Feuer, an das ſich der Menſch zurückzieht, mit der beſchneiten<lb/> Landſchaft in eine contraſtirende Anſchauung zuſammengefaßt wird und ſo<lb/> mit der ſtarren, aber abſtoßenden Erhabenheit der äußern Natur zugleich<lb/> das Gemüthliche des Zuſammenwohnens und Zuſammenrückens der Menſchen<lb/> in Wirkung tritt.</hi> </p> </div> </div><lb/> <div n="4"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">d.</hi><lb/><hi rendition="#g">Das Waſſer</hi>.</hi> </head><lb/> <div n="5"> <head>§. 257.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die zu <hi rendition="#g">Waſſer</hi> verdichtete Luft kommt nach ihren Anſammlungen zu<lb/> größeren Maſſen in beſonderen Betracht. Beſtimmter tritt nun in dieſem dich-<lb/> teren Stoffe die Schönheit der <hi rendition="#g">Linie</hi> hervor; Sinn und Gemüth führt fort und<lb/> erweitert die gerade in wagrechter Richtung als die Form des ruhig ſeinen<lb/> Behälter füllenden Waſſers, unruhiger wirkt ſie in der ſenkrechten des freien<lb/> Abſturzes und Aufſprungs (vergl. §. 91, <hi rendition="#sub">3.</hi>). Vollkommener iſt die runde<lb/> Linie, weil ſie als die in ſich zurückkehrende die concrete Einheit des organiſchen<lb/> Lebens anzukündigen ſcheint; wie ſie als Kreis und in den verſchiedenſten<lb/> Kreis-Ausſchnitten, fortgeleitet zum reinſten Schwunge der Wellenlinie in<lb/> Wogen und Stürzen erſcheint, erinnert ſie daher auf das Anziehendſte an das<lb/> höhere Reich der Formen.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Schritt für Schritt ergänzt ſich nun poſitiv das, was über abſtracte<lb/> Beſtimmungen des Schönen durch gewiſſe Eigenſchaften der Körper §. 35<lb/> und 36 negativ geſagt iſt. Vom Lichte, von den Farben iſt ſchon gezeigt,<lb/> wie ſie immer Gegenſtände vorausſetzen, an denen ſie erſcheinen, aber in<lb/> dieſer Verbindung allerdings im Vordergrunde der äſthetiſchen Wirkung<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59/0071]
einer beſtimmten Situation die rechte Stimmung geben. Das Diamanten-
geſchmeide des morgentlich erfriſchenden Thaues durfte nicht unerwähnt
bleiben. Die kalte, einförmig weiße Schneedecke ſollte man für ganz
unäſthetiſch halten; allein man muß mehrere gegenſätzliche Bedingungen
erwägen: einmal, daß die ohnedieß erſtorbene Natur ſtatt des ſchmutzigen
und fahlen Braun der Regenzeit nun doch das lichtvolle Weiß zeigt,
ferner, daß nach den trüben Regen des Frühwinters der Schnee mit der
Kälte, die er bringt, anſpannend auf alle Geſchöpfe wirkt. Erſcheint hier
der Schnee mit ſeiner Kälte als eine Energie, ſo mag er ein andermal
ſelbſt als Uebel äſthetiſch wirken, ſofern der unbequeme Puder, der auf
Alles fällt, etwas Komiſches hat, oder ſofern der warme Raum, das
behagliche Feuer, an das ſich der Menſch zurückzieht, mit der beſchneiten
Landſchaft in eine contraſtirende Anſchauung zuſammengefaßt wird und ſo
mit der ſtarren, aber abſtoßenden Erhabenheit der äußern Natur zugleich
das Gemüthliche des Zuſammenwohnens und Zuſammenrückens der Menſchen
in Wirkung tritt.
d.
Das Waſſer.
§. 257.
Die zu Waſſer verdichtete Luft kommt nach ihren Anſammlungen zu
größeren Maſſen in beſonderen Betracht. Beſtimmter tritt nun in dieſem dich-
teren Stoffe die Schönheit der Linie hervor; Sinn und Gemüth führt fort und
erweitert die gerade in wagrechter Richtung als die Form des ruhig ſeinen
Behälter füllenden Waſſers, unruhiger wirkt ſie in der ſenkrechten des freien
Abſturzes und Aufſprungs (vergl. §. 91, 3.). Vollkommener iſt die runde
Linie, weil ſie als die in ſich zurückkehrende die concrete Einheit des organiſchen
Lebens anzukündigen ſcheint; wie ſie als Kreis und in den verſchiedenſten
Kreis-Ausſchnitten, fortgeleitet zum reinſten Schwunge der Wellenlinie in
Wogen und Stürzen erſcheint, erinnert ſie daher auf das Anziehendſte an das
höhere Reich der Formen.
Schritt für Schritt ergänzt ſich nun poſitiv das, was über abſtracte
Beſtimmungen des Schönen durch gewiſſe Eigenſchaften der Körper §. 35
und 36 negativ geſagt iſt. Vom Lichte, von den Farben iſt ſchon gezeigt,
wie ſie immer Gegenſtände vorausſetzen, an denen ſie erſcheinen, aber in
dieſer Verbindung allerdings im Vordergrunde der äſthetiſchen Wirkung
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