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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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§. 248.

Theils wirken jedoch anderweitige Ursachen ein, daß Körper eine andere
Farbe entwickeln, als diejenige, welche sonst mit einer Beschaffenheit wie die
ihrige vereinigt zu sein pflegt, theils lassen sich Farben äußerlich übertragen und
an Körper binden, welche ursprünglich farblos oder anders gefärbt sind. Dann
kommt es darauf an, ob jene Abweichung einer inneren Veränderung entspricht
und ob diese Verbindung eine glückliche ist; ist beides nicht der Fall, so kann
unter Umständen das Schöne durch Eintritt seiner gegensätzlichen Formen den
Widerspruch ausgleichen.

Es wirkt in der Erscheinung der Gattungen und Individuen so Vieles
mit, daß man an keine Durchführung der Farbe in abstracter Gemäßheit
mit dem Ausdrucke, den wir ihr zuschreiben, denken darf. Phlegmatische
Thiere zeigen brennende, sehr lebhafte Thiere lichtarme Farben u. s. w.
Wir sind gewohnt, rothe Gesichtsfarbe als Ausdruck von Jähzorn anzu-
sehen, allein apriorische Schlüße sind hier so verkehrt als in der Physiognomik.
Ferner laßen sich Farben auf Stoffe äußerlich übertragen und können nun
mit dem Charakter der Individuen, die von solchen Stoffen umgeben,
darein gekleidet sind, stimmen oder nicht. Verkehrter Geschmack kommt hier,
wo vom Naturschönen die Rede ist, nur im Sinne eines Zufalls in Betracht,
und zudem ist hier der eigentliche Zufall überall im Spiele: meine Lage,
Laune wechselt, während die Wände meines Zimmers bleiben und in
ihrer Farbe bald zu ihr stimmen bald nicht. Ein ehrwürdiger Mann
kann sich zufällig in gelbem, ein unwürdiger in purpurrothem, ein Trauriger
in orangegelbem, ein Lustiger in schwarzem Gewande zeigen u. s. w. In
diesen Fällen nun kann, wenn die Farben zum Gegenstande nicht zu
stimmen scheinen, das Schöne leicht und von selbst die Wendung zum
Erhabenen und Komischen nehmen und in diesem Sinne auch das Verkehrte
sich aneignen. Es bethätigt sich dann der Satz §. 18, 2., daß das Schöne
durch die verschiedenen Wendungen seiner eigenen Momente auch das auf
den ersten Anblick widersprechend Gebildete in sein Bereich ziehen kann.
Der grimmige Eisbär ist nur um so furchtbarer, weil das reine Weiß
seines Fells die wilde Natur nicht anzeigt, das im Zorn erbleichende
Angesicht drohender als das, welches durch Röthe den Zorn verräth;
brennende Farben an bedeutungslosen Individuen wirken komisch, an
gefährlichen wie eine höhnische, täuschende Maske u. s. w. Ein andermal
kann anspruchlose Farbe den Eindruck machen, daß hier die Natur, um
Edleres auszubilden, nicht viel auf diese Seite verwenden wollte; doch
muß man sich hüten, die feinen Mischungen der organisch verkochten

§. 248.

Theils wirken jedoch anderweitige Urſachen ein, daß Körper eine andere
Farbe entwickeln, als diejenige, welche ſonſt mit einer Beſchaffenheit wie die
ihrige vereinigt zu ſein pflegt, theils laſſen ſich Farben äußerlich übertragen und
an Körper binden, welche urſprünglich farblos oder anders gefärbt ſind. Dann
kommt es darauf an, ob jene Abweichung einer inneren Veränderung entſpricht
und ob dieſe Verbindung eine glückliche iſt; iſt beides nicht der Fall, ſo kann
unter Umſtänden das Schöne durch Eintritt ſeiner gegenſätzlichen Formen den
Widerſpruch ausgleichen.

Es wirkt in der Erſcheinung der Gattungen und Individuen ſo Vieles
mit, daß man an keine Durchführung der Farbe in abſtracter Gemäßheit
mit dem Ausdrucke, den wir ihr zuſchreiben, denken darf. Phlegmatiſche
Thiere zeigen brennende, ſehr lebhafte Thiere lichtarme Farben u. ſ. w.
Wir ſind gewohnt, rothe Geſichtsfarbe als Ausdruck von Jähzorn anzu-
ſehen, allein aprioriſche Schlüße ſind hier ſo verkehrt als in der Phyſiognomik.
Ferner laßen ſich Farben auf Stoffe äußerlich übertragen und können nun
mit dem Charakter der Individuen, die von ſolchen Stoffen umgeben,
darein gekleidet ſind, ſtimmen oder nicht. Verkehrter Geſchmack kommt hier,
wo vom Naturſchönen die Rede iſt, nur im Sinne eines Zufalls in Betracht,
und zudem iſt hier der eigentliche Zufall überall im Spiele: meine Lage,
Laune wechſelt, während die Wände meines Zimmers bleiben und in
ihrer Farbe bald zu ihr ſtimmen bald nicht. Ein ehrwürdiger Mann
kann ſich zufällig in gelbem, ein unwürdiger in purpurrothem, ein Trauriger
in orangegelbem, ein Luſtiger in ſchwarzem Gewande zeigen u. ſ. w. In
dieſen Fällen nun kann, wenn die Farben zum Gegenſtande nicht zu
ſtimmen ſcheinen, das Schöne leicht und von ſelbſt die Wendung zum
Erhabenen und Komiſchen nehmen und in dieſem Sinne auch das Verkehrte
ſich aneignen. Es bethätigt ſich dann der Satz §. 18, 2., daß das Schöne
durch die verſchiedenen Wendungen ſeiner eigenen Momente auch das auf
den erſten Anblick widerſprechend Gebildete in ſein Bereich ziehen kann.
Der grimmige Eisbär iſt nur um ſo furchtbarer, weil das reine Weiß
ſeines Fells die wilde Natur nicht anzeigt, das im Zorn erbleichende
Angeſicht drohender als das, welches durch Röthe den Zorn verräth;
brennende Farben an bedeutungsloſen Individuen wirken komiſch, an
gefährlichen wie eine höhniſche, täuſchende Maske u. ſ. w. Ein andermal
kann anſpruchloſe Farbe den Eindruck machen, daß hier die Natur, um
Edleres auszubilden, nicht viel auf dieſe Seite verwenden wollte; doch
muß man ſich hüten, die feinen Miſchungen der organiſch verkochten

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[41/0053] §. 248. Theils wirken jedoch anderweitige Urſachen ein, daß Körper eine andere Farbe entwickeln, als diejenige, welche ſonſt mit einer Beſchaffenheit wie die ihrige vereinigt zu ſein pflegt, theils laſſen ſich Farben äußerlich übertragen und an Körper binden, welche urſprünglich farblos oder anders gefärbt ſind. Dann kommt es darauf an, ob jene Abweichung einer inneren Veränderung entſpricht und ob dieſe Verbindung eine glückliche iſt; iſt beides nicht der Fall, ſo kann unter Umſtänden das Schöne durch Eintritt ſeiner gegenſätzlichen Formen den Widerſpruch ausgleichen. Es wirkt in der Erſcheinung der Gattungen und Individuen ſo Vieles mit, daß man an keine Durchführung der Farbe in abſtracter Gemäßheit mit dem Ausdrucke, den wir ihr zuſchreiben, denken darf. Phlegmatiſche Thiere zeigen brennende, ſehr lebhafte Thiere lichtarme Farben u. ſ. w. Wir ſind gewohnt, rothe Geſichtsfarbe als Ausdruck von Jähzorn anzu- ſehen, allein aprioriſche Schlüße ſind hier ſo verkehrt als in der Phyſiognomik. Ferner laßen ſich Farben auf Stoffe äußerlich übertragen und können nun mit dem Charakter der Individuen, die von ſolchen Stoffen umgeben, darein gekleidet ſind, ſtimmen oder nicht. Verkehrter Geſchmack kommt hier, wo vom Naturſchönen die Rede iſt, nur im Sinne eines Zufalls in Betracht, und zudem iſt hier der eigentliche Zufall überall im Spiele: meine Lage, Laune wechſelt, während die Wände meines Zimmers bleiben und in ihrer Farbe bald zu ihr ſtimmen bald nicht. Ein ehrwürdiger Mann kann ſich zufällig in gelbem, ein unwürdiger in purpurrothem, ein Trauriger in orangegelbem, ein Luſtiger in ſchwarzem Gewande zeigen u. ſ. w. In dieſen Fällen nun kann, wenn die Farben zum Gegenſtande nicht zu ſtimmen ſcheinen, das Schöne leicht und von ſelbſt die Wendung zum Erhabenen und Komiſchen nehmen und in dieſem Sinne auch das Verkehrte ſich aneignen. Es bethätigt ſich dann der Satz §. 18, 2., daß das Schöne durch die verſchiedenen Wendungen ſeiner eigenen Momente auch das auf den erſten Anblick widerſprechend Gebildete in ſein Bereich ziehen kann. Der grimmige Eisbär iſt nur um ſo furchtbarer, weil das reine Weiß ſeines Fells die wilde Natur nicht anzeigt, das im Zorn erbleichende Angeſicht drohender als das, welches durch Röthe den Zorn verräth; brennende Farben an bedeutungsloſen Individuen wirken komiſch, an gefährlichen wie eine höhniſche, täuſchende Maske u. ſ. w. Ein andermal kann anſpruchloſe Farbe den Eindruck machen, daß hier die Natur, um Edleres auszubilden, nicht viel auf dieſe Seite verwenden wollte; doch muß man ſich hüten, die feinen Miſchungen der organiſch verkochten

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/53>, abgerufen am 21.11.2024.