Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
Behandlung darum nicht unwerth, weil sie noch nicht adäquate Erschei- §. 238. Die Gebilde der verschiedenen Gattungen im Reiche des Naturschönen Es geht aus diesem §. hervor, daß auch die Nothwendigkeit der Begren-
Behandlung darum nicht unwerth, weil ſie noch nicht adäquate Erſchei- §. 238. Die Gebilde der verſchiedenen Gattungen im Reiche des Naturſchönen Es geht aus dieſem §. hervor, daß auch die Nothwendigkeit der Begren- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0033" n="21"/> Behandlung darum nicht unwerth, weil ſie noch nicht adäquate Erſchei-<lb/> nung iſt. Die Naturſchönheit erſtreckt ſich über die ganze Welt und das<lb/> Ideal ebenfalls.</hi> </p> </div><lb/> <div n="3"> <head>§. 238.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die Gebilde der verſchiedenen Gattungen im Reiche des Naturſchönen<lb/> ziehen ſich in unbeſtimmter Menge durch Raum und Zeit und finden ſich auf<lb/> einzelnen Räumen häufig in verworrenem Gedränge des Verſchiedenartigen gleich-<lb/> zeitig zuſammen. Durch jenes iſt die Begrenzung, durch dieſes die Einheit der<lb/> Idee aufgehoben, welche zum Schönen erfordert wird (§. 36.). Allein für die Begren-<lb/> zung ſorgen die Sinne des Betrachtenden, welche je nur einen Ausſchnitt des<lb/> unendlich Ausgedehnten faſſen können, und daſſelbe Glück des Zufalls, wodurch<lb/> einzelne Individuen aus allen dieſen Sphären als reine Bilder ihrer Gattung<lb/> erſcheinen, kann ebenſogut auch auf einem einzelnen Raum in einer über-<lb/> ſehbaren Zeitdauer ſolche Erſcheinungen zuſammenführen, welche durch den Mittel-<lb/> punkt einer beſtimmten Idee ſich zur Einheit verbinden.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Es geht aus dieſem §. hervor, daß auch die Nothwendigkeit der Begren-<lb/> zung und der Gruppirung um einen geiſtigen Mittelpunkt keineswegs unmittel-<lb/> bar zum Ideale führt. Das Planetenſyſtem iſt kein Gegenſtand der Schön-<lb/> heit, weil es unüberſehlich iſt, die unendliche Zeit auch nicht. Ueberſehlichkeit<lb/> nämlich forderte nach §. 87. auch das Erhabene. Aber dafür ſorgt, den<lb/> glücklichen Zufall der Stellung, des Standpunkts natürlich vorausgeſetzt, ſchon<lb/> der Namen, den unſere Sinne ziehen, daß wir eben nur ein Begrenztes, einen<lb/> Ausſchnitt des unendlich Ergoſſenen ſehen, der uns dasſelbe vergegenwärtigt:<lb/> Sternenhimmel u. dgl. Für die Einheit aber ſcheint, und auch dieſer Schein<lb/> iſt vorerſt noch ſtreng feſtzuhalten, mehr der Zufall ſorgen zu müſſen. Jetzt<lb/> zwar ſehe ich auf Einem Raume ganz Ungleichartiges beieinander, was in<lb/> keine Einheit zuſammengeht, aber ein andermal treffe ich es beſſer: die unpaſſende<lb/> Staffage hat ſich aus der Landſchaft entfernt, die Berge, Bäume, Luft,<lb/> Waſſer, Licht ſind günſtig, paſſend und vereinigen ſich zu einem Ganzen,<lb/> durch welches Eine Stimmung hindurchgeht. Intereſſante Schickſale eines<lb/> Volks, eines Individuums ziehen ſich, unterbrochen von langen, bedeutungs-<lb/> loſen Zwiſchenräumen, in läſtige Länge hinaus; aber ein andermal bricht<lb/> ein Silberblick der Geſchichte hervor und drängt das Schickſal eines Volks,<lb/> eines Einzelnen zu einem Drama von wenigen Tagen, ja Stunden<lb/> zuſammen, in denen ich mit der Gegenwart die ganze Vergangenheit<lb/> durchſchaue. Der Zufall ſcheint der erſte componirende Künſtler; er ſcheint<lb/> es zu ſein, der mir ein Ganzes ſo hinſtellt, daß ein Hauptſubject darin<lb/> wirkt, das mir in ſeiner Vollkommenheit die ganze Gattung vertritt, wie<lb/> dieß zum Schönen erfordert wird. Uebrigens wirkt natürlich auch hier<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0033]
Behandlung darum nicht unwerth, weil ſie noch nicht adäquate Erſchei-
nung iſt. Die Naturſchönheit erſtreckt ſich über die ganze Welt und das
Ideal ebenfalls.
§. 238.
Die Gebilde der verſchiedenen Gattungen im Reiche des Naturſchönen
ziehen ſich in unbeſtimmter Menge durch Raum und Zeit und finden ſich auf
einzelnen Räumen häufig in verworrenem Gedränge des Verſchiedenartigen gleich-
zeitig zuſammen. Durch jenes iſt die Begrenzung, durch dieſes die Einheit der
Idee aufgehoben, welche zum Schönen erfordert wird (§. 36.). Allein für die Begren-
zung ſorgen die Sinne des Betrachtenden, welche je nur einen Ausſchnitt des
unendlich Ausgedehnten faſſen können, und daſſelbe Glück des Zufalls, wodurch
einzelne Individuen aus allen dieſen Sphären als reine Bilder ihrer Gattung
erſcheinen, kann ebenſogut auch auf einem einzelnen Raum in einer über-
ſehbaren Zeitdauer ſolche Erſcheinungen zuſammenführen, welche durch den Mittel-
punkt einer beſtimmten Idee ſich zur Einheit verbinden.
Es geht aus dieſem §. hervor, daß auch die Nothwendigkeit der Begren-
zung und der Gruppirung um einen geiſtigen Mittelpunkt keineswegs unmittel-
bar zum Ideale führt. Das Planetenſyſtem iſt kein Gegenſtand der Schön-
heit, weil es unüberſehlich iſt, die unendliche Zeit auch nicht. Ueberſehlichkeit
nämlich forderte nach §. 87. auch das Erhabene. Aber dafür ſorgt, den
glücklichen Zufall der Stellung, des Standpunkts natürlich vorausgeſetzt, ſchon
der Namen, den unſere Sinne ziehen, daß wir eben nur ein Begrenztes, einen
Ausſchnitt des unendlich Ergoſſenen ſehen, der uns dasſelbe vergegenwärtigt:
Sternenhimmel u. dgl. Für die Einheit aber ſcheint, und auch dieſer Schein
iſt vorerſt noch ſtreng feſtzuhalten, mehr der Zufall ſorgen zu müſſen. Jetzt
zwar ſehe ich auf Einem Raume ganz Ungleichartiges beieinander, was in
keine Einheit zuſammengeht, aber ein andermal treffe ich es beſſer: die unpaſſende
Staffage hat ſich aus der Landſchaft entfernt, die Berge, Bäume, Luft,
Waſſer, Licht ſind günſtig, paſſend und vereinigen ſich zu einem Ganzen,
durch welches Eine Stimmung hindurchgeht. Intereſſante Schickſale eines
Volks, eines Individuums ziehen ſich, unterbrochen von langen, bedeutungs-
loſen Zwiſchenräumen, in läſtige Länge hinaus; aber ein andermal bricht
ein Silberblick der Geſchichte hervor und drängt das Schickſal eines Volks,
eines Einzelnen zu einem Drama von wenigen Tagen, ja Stunden
zuſammen, in denen ich mit der Gegenwart die ganze Vergangenheit
durchſchaue. Der Zufall ſcheint der erſte componirende Künſtler; er ſcheint
es zu ſein, der mir ein Ganzes ſo hinſtellt, daß ein Hauptſubject darin
wirkt, das mir in ſeiner Vollkommenheit die ganze Gattung vertritt, wie
dieß zum Schönen erfordert wird. Uebrigens wirkt natürlich auch hier
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |