Sinnliches und Geistiges in hundert Prismen hinter- und nebeneinander, der beide zu vereinigen weiß. Die rohen Gemüther verstehen es nicht anders. Die großen Päpste haben in ihrer Zeit ihr Recht und mächtig ragt ein Gregor VII., ein Innozenz III., Gregor IX., Innozenz IV., Bonifaz VIII. Was für antike, markige, mächtig gefurchte Züge zeigt der Kopf Innozenz IV.! Papstthum und Kaiserthum sind die zwei Schwerter am Horizonte des Mittelalters. Von Heinrichs IV. Büßerscene in Canossa bis zum Untergang der Hohenstaufen liegt hier eine Welt von Stoffen. Die edeln Gestalten der Hohenstaufen und ihr tragischer Untergang sind allerdings kein national deutscher Stoff; es ist erhebend, daß deutsche Männer so groß waren, aber ihre Bedeutung ist allgemein weltgeschichtlich; für Deutschland als solches dagegen zeigt sich das traurige Schauspiel einer Vergeudung von Kräften nach außen.
§. 361.
1
Dieser Kampf wäre nicht tragisch, wenn nicht beide Seiten Recht und Unrecht hätten. Die Kirche, selbst Welt, bedarf der Welt, und die Welt, obwohl sie ihre Anmaßung zurückweist, ist innerlich an sie gebunden. Wirklich gehen Welt und Kirche in Eins zusammen in den Krenzzügen, dieser großen phantastischen That des Mittelalters, worin zugleich der Muhame- danismus als glänzendes Schauspiel einer neuen Form orientalischen Lebens dem abendländischen entgegentritt. Mit der Gluth des inneren Lebens, die nun entzündet ist, mit der innigen Weichheit, die nun mitten durch die Rohheit geht, mit dem Geiste der Liebe und Ehre verändern sich zugleich die äußeren 2Formen; die gegenseitige Mischung bildet die abendländischen Völker, griechische und orientalische Pracht mit den mancherlei Resten der objectiven Lebensform bei den romanischen Völkern schmücken das ritterliche Leben.
1. Die Kreuzzüge sind das Symptom, daß der neue Geist der Welt die Gemüther der Menschen durchdrungen hat. Daß diese Durchdringung selbst wieder mit der ganzen Aeußerlichkeit und Verwechslung behaftet ist, welche das Mittelalter bezeichnet, ist darum nicht zu übersehen, denn auch hier tritt neben glühenden Schwung der Andacht die roheste Metzelei und Ausschweifung, ja die ganze Unternehmung ist die abentheuerlichste Verwechslung einer Idee mit einer Seche, eines Geistes mit einem Orte, die Spitze des Reliquiendienstes (vergl. Hegel, Philos. der Gesch. S. 397. 398). Indem aber nun die Cardinal-Leidenschaft und Tugend des Heroenlebens der Völker und namentlich des deutschen aus der geraden Linie gebogen ist, worin sie für reale Güter als ein Instinct thätig war, indem sie auf einen transscendenten Zweck sich wirft, ist das
Sinnliches und Geiſtiges in hundert Priſmen hinter- und nebeneinander, der beide zu vereinigen weiß. Die rohen Gemüther verſtehen es nicht anders. Die großen Päpſte haben in ihrer Zeit ihr Recht und mächtig ragt ein Gregor VII., ein Innozenz III., Gregor IX., Innozenz IV., Bonifaz VIII. Was für antike, markige, mächtig gefurchte Züge zeigt der Kopf Innozenz IV.! Papſtthum und Kaiſerthum ſind die zwei Schwerter am Horizonte des Mittelalters. Von Heinrichs IV. Büßerſcene in Canoſſa bis zum Untergang der Hohenſtaufen liegt hier eine Welt von Stoffen. Die edeln Geſtalten der Hohenſtaufen und ihr tragiſcher Untergang ſind allerdings kein national deutſcher Stoff; es iſt erhebend, daß deutſche Männer ſo groß waren, aber ihre Bedeutung iſt allgemein weltgeſchichtlich; für Deutſchland als ſolches dagegen zeigt ſich das traurige Schauſpiel einer Vergeudung von Kräften nach außen.
§. 361.
1
Dieſer Kampf wäre nicht tragiſch, wenn nicht beide Seiten Recht und Unrecht hätten. Die Kirche, ſelbſt Welt, bedarf der Welt, und die Welt, obwohl ſie ihre Anmaßung zurückweist, iſt innerlich an ſie gebunden. Wirklich gehen Welt und Kirche in Eins zuſammen in den Krenzzügen, dieſer großen phantaſtiſchen That des Mittelalters, worin zugleich der Muhame- daniſmus als glänzendes Schauſpiel einer neuen Form orientaliſchen Lebens dem abendländiſchen entgegentritt. Mit der Gluth des inneren Lebens, die nun entzündet iſt, mit der innigen Weichheit, die nun mitten durch die Rohheit geht, mit dem Geiſte der Liebe und Ehre verändern ſich zugleich die äußeren 2Formen; die gegenſeitige Miſchung bildet die abendländiſchen Völker, griechiſche und orientaliſche Pracht mit den mancherlei Reſten der objectiven Lebensform bei den romaniſchen Völkern ſchmücken das ritterliche Leben.
1. Die Kreuzzüge ſind das Symptom, daß der neue Geiſt der Welt die Gemüther der Menſchen durchdrungen hat. Daß dieſe Durchdringung ſelbſt wieder mit der ganzen Aeußerlichkeit und Verwechslung behaftet iſt, welche das Mittelalter bezeichnet, iſt darum nicht zu überſehen, denn auch hier tritt neben glühenden Schwung der Andacht die roheſte Metzelei und Ausſchweifung, ja die ganze Unternehmung iſt die abentheuerlichſte Verwechslung einer Idee mit einer Seche, eines Geiſtes mit einem Orte, die Spitze des Reliquiendienſtes (vergl. Hegel, Philoſ. der Geſch. S. 397. 398). Indem aber nun die Cardinal-Leidenſchaft und Tugend des Heroenlebens der Völker und namentlich des deutſchen aus der geraden Linie gebogen iſt, worin ſie für reale Güter als ein Inſtinct thätig war, indem ſie auf einen transſcendenten Zweck ſich wirft, iſt das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><p><pbfacs="#f0270"n="258"/><hirendition="#et">Sinnliches und Geiſtiges in hundert Priſmen hinter- und nebeneinander,<lb/>
der beide zu vereinigen weiß. Die rohen Gemüther verſtehen es nicht<lb/>
anders. Die großen Päpſte haben in ihrer Zeit ihr Recht und mächtig<lb/>
ragt ein Gregor <hirendition="#aq">VII.,</hi> ein Innozenz <hirendition="#aq">III.,</hi> Gregor <hirendition="#aq">IX.,</hi> Innozenz <hirendition="#aq">IV.,</hi><lb/>
Bonifaz <hirendition="#aq">VIII.</hi> Was für antike, markige, mächtig gefurchte Züge zeigt<lb/>
der Kopf Innozenz <hirendition="#aq">IV.!</hi> Papſtthum und Kaiſerthum ſind die zwei<lb/>
Schwerter am Horizonte des Mittelalters. Von Heinrichs <hirendition="#aq">IV.</hi> Büßerſcene<lb/>
in Canoſſa bis zum Untergang der Hohenſtaufen liegt hier eine Welt<lb/>
von Stoffen. Die edeln Geſtalten der Hohenſtaufen und ihr tragiſcher<lb/>
Untergang ſind allerdings kein national deutſcher Stoff; es iſt erhebend,<lb/>
daß deutſche Männer ſo groß waren, aber ihre Bedeutung iſt allgemein<lb/>
weltgeſchichtlich; für Deutſchland als ſolches dagegen zeigt ſich das traurige<lb/>
Schauſpiel einer Vergeudung von Kräften nach außen.</hi></p></div><lb/><divn="7"><head>§. 361.</head><lb/><noteplace="left"><hirendition="#fr">1</hi></note><p><hirendition="#fr">Dieſer Kampf wäre nicht tragiſch, wenn nicht beide Seiten Recht und<lb/>
Unrecht hätten. Die Kirche, ſelbſt Welt, bedarf der Welt, und die Welt,<lb/>
obwohl ſie ihre Anmaßung zurückweist, iſt innerlich an ſie gebunden. Wirklich<lb/>
gehen Welt und Kirche in Eins zuſammen in den <hirendition="#g">Krenzzügen</hi>, dieſer<lb/>
großen phantaſtiſchen That des Mittelalters, worin zugleich der <hirendition="#g">Muhame-<lb/>
daniſmus</hi> als glänzendes Schauſpiel einer neuen Form orientaliſchen Lebens<lb/>
dem abendländiſchen entgegentritt. Mit der Gluth des inneren Lebens, die<lb/>
nun entzündet iſt, mit der innigen Weichheit, die nun mitten durch die Rohheit<lb/>
geht, mit dem Geiſte der Liebe und Ehre verändern ſich zugleich die äußeren<lb/><noteplace="left">2</note>Formen; die gegenſeitige Miſchung bildet die abendländiſchen Völker, griechiſche<lb/>
und orientaliſche Pracht mit den mancherlei Reſten der objectiven Lebensform<lb/>
bei den romaniſchen Völkern ſchmücken das <hirendition="#g">ritterliche</hi> Leben.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">1. Die Kreuzzüge ſind das Symptom, daß der neue Geiſt der Welt<lb/>
die Gemüther der Menſchen durchdrungen hat. Daß dieſe Durchdringung<lb/>ſelbſt wieder mit der ganzen Aeußerlichkeit und Verwechslung behaftet iſt,<lb/>
welche das Mittelalter bezeichnet, iſt darum nicht zu überſehen, denn<lb/>
auch hier tritt neben glühenden Schwung der Andacht die roheſte Metzelei<lb/>
und Ausſchweifung, ja die ganze Unternehmung iſt die abentheuerlichſte<lb/>
Verwechslung einer Idee mit einer Seche, eines Geiſtes mit einem<lb/>
Orte, die Spitze des Reliquiendienſtes (vergl. Hegel, Philoſ. der Geſch.<lb/>
S. 397. 398). Indem aber nun die Cardinal-Leidenſchaft und Tugend<lb/>
des Heroenlebens der Völker und namentlich des deutſchen aus der<lb/>
geraden Linie gebogen iſt, worin ſie für reale Güter als ein Inſtinct<lb/>
thätig war, indem ſie auf einen transſcendenten Zweck ſich wirft, iſt das<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[258/0270]
Sinnliches und Geiſtiges in hundert Priſmen hinter- und nebeneinander,
der beide zu vereinigen weiß. Die rohen Gemüther verſtehen es nicht
anders. Die großen Päpſte haben in ihrer Zeit ihr Recht und mächtig
ragt ein Gregor VII., ein Innozenz III., Gregor IX., Innozenz IV.,
Bonifaz VIII. Was für antike, markige, mächtig gefurchte Züge zeigt
der Kopf Innozenz IV.! Papſtthum und Kaiſerthum ſind die zwei
Schwerter am Horizonte des Mittelalters. Von Heinrichs IV. Büßerſcene
in Canoſſa bis zum Untergang der Hohenſtaufen liegt hier eine Welt
von Stoffen. Die edeln Geſtalten der Hohenſtaufen und ihr tragiſcher
Untergang ſind allerdings kein national deutſcher Stoff; es iſt erhebend,
daß deutſche Männer ſo groß waren, aber ihre Bedeutung iſt allgemein
weltgeſchichtlich; für Deutſchland als ſolches dagegen zeigt ſich das traurige
Schauſpiel einer Vergeudung von Kräften nach außen.
§. 361.
Dieſer Kampf wäre nicht tragiſch, wenn nicht beide Seiten Recht und
Unrecht hätten. Die Kirche, ſelbſt Welt, bedarf der Welt, und die Welt,
obwohl ſie ihre Anmaßung zurückweist, iſt innerlich an ſie gebunden. Wirklich
gehen Welt und Kirche in Eins zuſammen in den Krenzzügen, dieſer
großen phantaſtiſchen That des Mittelalters, worin zugleich der Muhame-
daniſmus als glänzendes Schauſpiel einer neuen Form orientaliſchen Lebens
dem abendländiſchen entgegentritt. Mit der Gluth des inneren Lebens, die
nun entzündet iſt, mit der innigen Weichheit, die nun mitten durch die Rohheit
geht, mit dem Geiſte der Liebe und Ehre verändern ſich zugleich die äußeren
Formen; die gegenſeitige Miſchung bildet die abendländiſchen Völker, griechiſche
und orientaliſche Pracht mit den mancherlei Reſten der objectiven Lebensform
bei den romaniſchen Völkern ſchmücken das ritterliche Leben.
1. Die Kreuzzüge ſind das Symptom, daß der neue Geiſt der Welt
die Gemüther der Menſchen durchdrungen hat. Daß dieſe Durchdringung
ſelbſt wieder mit der ganzen Aeußerlichkeit und Verwechslung behaftet iſt,
welche das Mittelalter bezeichnet, iſt darum nicht zu überſehen, denn
auch hier tritt neben glühenden Schwung der Andacht die roheſte Metzelei
und Ausſchweifung, ja die ganze Unternehmung iſt die abentheuerlichſte
Verwechslung einer Idee mit einer Seche, eines Geiſtes mit einem
Orte, die Spitze des Reliquiendienſtes (vergl. Hegel, Philoſ. der Geſch.
S. 397. 398). Indem aber nun die Cardinal-Leidenſchaft und Tugend
des Heroenlebens der Völker und namentlich des deutſchen aus der
geraden Linie gebogen iſt, worin ſie für reale Güter als ein Inſtinct
thätig war, indem ſie auf einen transſcendenten Zweck ſich wirft, iſt das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/270>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.