Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.Sinnliches und Geistiges in hundert Prismen hinter- und nebeneinander, §. 361. 1 Dieser Kampf wäre nicht tragisch, wenn nicht beide Seiten Recht und 1. Die Kreuzzüge sind das Symptom, daß der neue Geist der Welt Sinnliches und Geiſtiges in hundert Priſmen hinter- und nebeneinander, §. 361. 1 Dieſer Kampf wäre nicht tragiſch, wenn nicht beide Seiten Recht und 1. Die Kreuzzüge ſind das Symptom, daß der neue Geiſt der Welt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <pb facs="#f0270" n="258"/> <hi rendition="#et">Sinnliches und Geiſtiges in hundert Priſmen hinter- und nebeneinander,<lb/> der beide zu vereinigen weiß. Die rohen Gemüther verſtehen es nicht<lb/> anders. Die großen Päpſte haben in ihrer Zeit ihr Recht und mächtig<lb/> ragt ein Gregor <hi rendition="#aq">VII.,</hi> ein Innozenz <hi rendition="#aq">III.,</hi> Gregor <hi rendition="#aq">IX.,</hi> Innozenz <hi rendition="#aq">IV.,</hi><lb/> Bonifaz <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Was für antike, markige, mächtig gefurchte Züge zeigt<lb/> der Kopf Innozenz <hi rendition="#aq">IV.!</hi> Papſtthum und Kaiſerthum ſind die zwei<lb/> Schwerter am Horizonte des Mittelalters. Von Heinrichs <hi rendition="#aq">IV.</hi> Büßerſcene<lb/> in Canoſſa bis zum Untergang der Hohenſtaufen liegt hier eine Welt<lb/> von Stoffen. Die edeln Geſtalten der Hohenſtaufen und ihr tragiſcher<lb/> Untergang ſind allerdings kein national deutſcher Stoff; es iſt erhebend,<lb/> daß deutſche Männer ſo groß waren, aber ihre Bedeutung iſt allgemein<lb/> weltgeſchichtlich; für Deutſchland als ſolches dagegen zeigt ſich das traurige<lb/> Schauſpiel einer Vergeudung von Kräften nach außen.</hi> </p> </div><lb/> <div n="7"> <head>§. 361.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#fr">1</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Dieſer Kampf wäre nicht tragiſch, wenn nicht beide Seiten Recht und<lb/> Unrecht hätten. Die Kirche, ſelbſt Welt, bedarf der Welt, und die Welt,<lb/> obwohl ſie ihre Anmaßung zurückweist, iſt innerlich an ſie gebunden. Wirklich<lb/> gehen Welt und Kirche in Eins zuſammen in den <hi rendition="#g">Krenzzügen</hi>, dieſer<lb/> großen phantaſtiſchen That des Mittelalters, worin zugleich der <hi rendition="#g">Muhame-<lb/> daniſmus</hi> als glänzendes Schauſpiel einer neuen Form orientaliſchen Lebens<lb/> dem abendländiſchen entgegentritt. Mit der Gluth des inneren Lebens, die<lb/> nun entzündet iſt, mit der innigen Weichheit, die nun mitten durch die Rohheit<lb/> geht, mit dem Geiſte der Liebe und Ehre verändern ſich zugleich die äußeren<lb/><note place="left">2</note>Formen; die gegenſeitige Miſchung bildet die abendländiſchen Völker, griechiſche<lb/> und orientaliſche Pracht mit den mancherlei Reſten der objectiven Lebensform<lb/> bei den romaniſchen Völkern ſchmücken das <hi rendition="#g">ritterliche</hi> Leben.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Die Kreuzzüge ſind das Symptom, daß der neue Geiſt der Welt<lb/> die Gemüther der Menſchen durchdrungen hat. Daß dieſe Durchdringung<lb/> ſelbſt wieder mit der ganzen Aeußerlichkeit und Verwechslung behaftet iſt,<lb/> welche das Mittelalter bezeichnet, iſt darum nicht zu überſehen, denn<lb/> auch hier tritt neben glühenden Schwung der Andacht die roheſte Metzelei<lb/> und Ausſchweifung, ja die ganze Unternehmung iſt die abentheuerlichſte<lb/> Verwechslung einer Idee mit einer Seche, eines Geiſtes mit einem<lb/> Orte, die Spitze des Reliquiendienſtes (vergl. Hegel, Philoſ. der Geſch.<lb/> S. 397. 398). Indem aber nun die Cardinal-Leidenſchaft und Tugend<lb/> des Heroenlebens der Völker und namentlich des deutſchen aus der<lb/> geraden Linie gebogen iſt, worin ſie für reale Güter als ein Inſtinct<lb/> thätig war, indem ſie auf einen transſcendenten Zweck ſich wirft, iſt das<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [258/0270]
Sinnliches und Geiſtiges in hundert Priſmen hinter- und nebeneinander,
der beide zu vereinigen weiß. Die rohen Gemüther verſtehen es nicht
anders. Die großen Päpſte haben in ihrer Zeit ihr Recht und mächtig
ragt ein Gregor VII., ein Innozenz III., Gregor IX., Innozenz IV.,
Bonifaz VIII. Was für antike, markige, mächtig gefurchte Züge zeigt
der Kopf Innozenz IV.! Papſtthum und Kaiſerthum ſind die zwei
Schwerter am Horizonte des Mittelalters. Von Heinrichs IV. Büßerſcene
in Canoſſa bis zum Untergang der Hohenſtaufen liegt hier eine Welt
von Stoffen. Die edeln Geſtalten der Hohenſtaufen und ihr tragiſcher
Untergang ſind allerdings kein national deutſcher Stoff; es iſt erhebend,
daß deutſche Männer ſo groß waren, aber ihre Bedeutung iſt allgemein
weltgeſchichtlich; für Deutſchland als ſolches dagegen zeigt ſich das traurige
Schauſpiel einer Vergeudung von Kräften nach außen.
§. 361.
Dieſer Kampf wäre nicht tragiſch, wenn nicht beide Seiten Recht und
Unrecht hätten. Die Kirche, ſelbſt Welt, bedarf der Welt, und die Welt,
obwohl ſie ihre Anmaßung zurückweist, iſt innerlich an ſie gebunden. Wirklich
gehen Welt und Kirche in Eins zuſammen in den Krenzzügen, dieſer
großen phantaſtiſchen That des Mittelalters, worin zugleich der Muhame-
daniſmus als glänzendes Schauſpiel einer neuen Form orientaliſchen Lebens
dem abendländiſchen entgegentritt. Mit der Gluth des inneren Lebens, die
nun entzündet iſt, mit der innigen Weichheit, die nun mitten durch die Rohheit
geht, mit dem Geiſte der Liebe und Ehre verändern ſich zugleich die äußeren
Formen; die gegenſeitige Miſchung bildet die abendländiſchen Völker, griechiſche
und orientaliſche Pracht mit den mancherlei Reſten der objectiven Lebensform
bei den romaniſchen Völkern ſchmücken das ritterliche Leben.
1. Die Kreuzzüge ſind das Symptom, daß der neue Geiſt der Welt
die Gemüther der Menſchen durchdrungen hat. Daß dieſe Durchdringung
ſelbſt wieder mit der ganzen Aeußerlichkeit und Verwechslung behaftet iſt,
welche das Mittelalter bezeichnet, iſt darum nicht zu überſehen, denn
auch hier tritt neben glühenden Schwung der Andacht die roheſte Metzelei
und Ausſchweifung, ja die ganze Unternehmung iſt die abentheuerlichſte
Verwechslung einer Idee mit einer Seche, eines Geiſtes mit einem
Orte, die Spitze des Reliquiendienſtes (vergl. Hegel, Philoſ. der Geſch.
S. 397. 398). Indem aber nun die Cardinal-Leidenſchaft und Tugend
des Heroenlebens der Völker und namentlich des deutſchen aus der
geraden Linie gebogen iſt, worin ſie für reale Güter als ein Inſtinct
thätig war, indem ſie auf einen transſcendenten Zweck ſich wirft, iſt das
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