Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.beginnen, kann man freilich nicht mit dem Zollstabe geographisch auf- Zum vorh. §. (1.) wurde bemerkt, daß die Völker ihre Wohnsitze §. 326. Der Unterschied der Völker ist zunächst ein Unterschied der körperlichen beginnen, kann man freilich nicht mit dem Zollſtabe geographiſch auf- Zum vorh. §. (1.) wurde bemerkt, daß die Völker ihre Wohnſitze §. 326. Der Unterſchied der Völker iſt zunächſt ein Unterſchied der körperlichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p> <pb facs="#f0192" n="180"/> <hi rendition="#et">beginnen, kann man freilich nicht mit dem Zollſtabe geographiſch auf-<lb/> ſuchen. Der Skandinavier iſt noch äſthetiſch, der gequetſchte Lappe nicht<lb/> mehr; der dunkelbraune Beduine iſt es noch, der affenähnliche Neger<lb/> nicht mehr.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Zum vorh. §. (<hi rendition="#sub">1.</hi>) wurde bemerkt, daß die Völker ihre Wohnſitze<lb/> frei verändern, aber auch ſogleich hinzugeſetzt, daß dieſe Verſchiebungen<lb/> in der kaukaſiſchen Race nicht bedeutend ſeien. Wären ſie nämlich ſo<lb/> ſtark, daß wir ein Volk in einer Natur-Umgebung fänden, die ſeinem<lb/> Habitus offenbar widerſpricht, ſo wäre dieß freilich eine Ohrfeige für die<lb/> äſthetiſche Betrachtung. Der Menſch bezwingt die Erde, allein dieſe<lb/> abſtracte Freiheit der Bildung iſt nicht äſthetiſch. Im Gebiete des Schönen<lb/> wollen wir den Bezwinger ſelbſt von dem Bezwungenen eine gewiſſe<lb/> Naturfärbung annehmen ſehen. So bezwingt der Seemann den Ozean,<lb/> aber ebendaher bekommt ſeine ganze Erſcheinung einen Meerton. Wirklich<lb/> iſt nun aber auch das Verhältniß völliger Inconvenienz entweder<lb/> ein vorübergehendes und vereinzeltes, wie bei Reiſenden, die wir in<lb/> einer fremden Naturumgebung finden, und da liegt eben in der<lb/> Fremdheit wieder ein anderweitiger äſthetiſcher Reiz, oder es ſind<lb/> Niederlaſſungen wie von Pflanzern, und Niemand nöthigt uns, dieß<lb/> äſthetiſch zu finden; es ſind Eroberungen wie die der Römer in Gallien,<lb/> in Deutſchland, der rothhaarigen Engländer in Indien und China, der<lb/> ſtämmigen blonden Holländer auf dem Kap, und da können tapfere<lb/> Kämpfe dem Widerſpruche des erſten Anblicks eine beſondere äſthetiſche<lb/> Wendung geben u. ſ. w. Viele Verſetzungen aber führten die Völker<lb/> in eine ihrer heimiſchen verwandte Natur, ſo daß ſie ſich ihr anbequemen<lb/> konnten, ihren Typus nach ihren Bedingungen nur mäßig zu modificiren<lb/> brauchten; ſo ſiedelten Griechen in dem um ein Mäßiges heißeren Jonien,<lb/> in der verwandten Natur Siciliens und Italiens an, Spanier in Süd-<lb/> Amerika, Engländer aber in Nord-Amerika, Sachſen und Normannen in<lb/> dem nebligen England, Bretonen auf der Nordweſtküſte Frankreichs, und<lb/> da iſt nirgends ein weſentlicher Widerſpruch zwiſchen der Natur und den<lb/> Anſiedlern. Endlich beſiegt aber auch die Natur neuer Wohnſitze einen<lb/> anfänglich ſtärkeren Widerſpruch; die Gothen und Longobarden haben ſich<lb/> mit den Lateinern verſchmelzt und ſind Italiener geworden, ebenſo Gothen,<lb/> Sueven, auch Araber mit den Spaniern, Franken mit den Galliern u. ſ. w.</hi> </p> </div><lb/> <div n="6"> <head>§. 326.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Der Unterſchied der Völker iſt zunächſt ein Unterſchied der körperlichen<lb/> Bildung: dieſe aber gibt einen inneren Unterſchied der geiſtigen Organiſation<lb/> kund, welche ſich in dem dunkeln Grunde des nun erſt concreter in ſeine Gegen-<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [180/0192]
beginnen, kann man freilich nicht mit dem Zollſtabe geographiſch auf-
ſuchen. Der Skandinavier iſt noch äſthetiſch, der gequetſchte Lappe nicht
mehr; der dunkelbraune Beduine iſt es noch, der affenähnliche Neger
nicht mehr.
Zum vorh. §. (1.) wurde bemerkt, daß die Völker ihre Wohnſitze
frei verändern, aber auch ſogleich hinzugeſetzt, daß dieſe Verſchiebungen
in der kaukaſiſchen Race nicht bedeutend ſeien. Wären ſie nämlich ſo
ſtark, daß wir ein Volk in einer Natur-Umgebung fänden, die ſeinem
Habitus offenbar widerſpricht, ſo wäre dieß freilich eine Ohrfeige für die
äſthetiſche Betrachtung. Der Menſch bezwingt die Erde, allein dieſe
abſtracte Freiheit der Bildung iſt nicht äſthetiſch. Im Gebiete des Schönen
wollen wir den Bezwinger ſelbſt von dem Bezwungenen eine gewiſſe
Naturfärbung annehmen ſehen. So bezwingt der Seemann den Ozean,
aber ebendaher bekommt ſeine ganze Erſcheinung einen Meerton. Wirklich
iſt nun aber auch das Verhältniß völliger Inconvenienz entweder
ein vorübergehendes und vereinzeltes, wie bei Reiſenden, die wir in
einer fremden Naturumgebung finden, und da liegt eben in der
Fremdheit wieder ein anderweitiger äſthetiſcher Reiz, oder es ſind
Niederlaſſungen wie von Pflanzern, und Niemand nöthigt uns, dieß
äſthetiſch zu finden; es ſind Eroberungen wie die der Römer in Gallien,
in Deutſchland, der rothhaarigen Engländer in Indien und China, der
ſtämmigen blonden Holländer auf dem Kap, und da können tapfere
Kämpfe dem Widerſpruche des erſten Anblicks eine beſondere äſthetiſche
Wendung geben u. ſ. w. Viele Verſetzungen aber führten die Völker
in eine ihrer heimiſchen verwandte Natur, ſo daß ſie ſich ihr anbequemen
konnten, ihren Typus nach ihren Bedingungen nur mäßig zu modificiren
brauchten; ſo ſiedelten Griechen in dem um ein Mäßiges heißeren Jonien,
in der verwandten Natur Siciliens und Italiens an, Spanier in Süd-
Amerika, Engländer aber in Nord-Amerika, Sachſen und Normannen in
dem nebligen England, Bretonen auf der Nordweſtküſte Frankreichs, und
da iſt nirgends ein weſentlicher Widerſpruch zwiſchen der Natur und den
Anſiedlern. Endlich beſiegt aber auch die Natur neuer Wohnſitze einen
anfänglich ſtärkeren Widerſpruch; die Gothen und Longobarden haben ſich
mit den Lateinern verſchmelzt und ſind Italiener geworden, ebenſo Gothen,
Sueven, auch Araber mit den Spaniern, Franken mit den Galliern u. ſ. w.
§. 326.
Der Unterſchied der Völker iſt zunächſt ein Unterſchied der körperlichen
Bildung: dieſe aber gibt einen inneren Unterſchied der geiſtigen Organiſation
kund, welche ſich in dem dunkeln Grunde des nun erſt concreter in ſeine Gegen-
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