unter zahllosen Benützungen dieses Stoffes durch die Kunst nur an Siebenkäs und Lenette denken. Dieses Beispiel zeigt aber auch bereits, daß das zunächst Unschädliche sehr schädlich sein, ja die Ehe zerstören kann, und umgekehrt kann auch das Schädlichste im Sinne des Komischen als ein Unschädliches erscheinen, je nach dem Lichte, das auf das Ganze fällt. Die Eifersucht kann ebenso komisch als tragisch sein; die Untreue kann freilich nie komisch erscheinen, wo sie eine vorher gute Ehe zerstört, aber an einer gemeinen Ehe, die vorher schon ein Zerrbild der guten ist, ist auch durch sie nichts zu verderben und diese Dauerhaftigkeit des Schlechten kann allerdings komisch erscheinen.
2. In der Familie fließt die Liebe des Vaters zur Mutter, der Mutter zum Vater, beider zu den Kindern, des Kindes zu den Eltern, der Kinder unter sich in Eine Liebe, Eine geistige Person zusammen und ist dieß ein um so reicheres Schauspiel, da jedes unter diesen die andern wieder mit einer andern Liebe liebt. Daß Zerstörung der Familienliebe Zerstörung der Menschheit, Weltuntergang ist, spricht in gewaltigen Lauten Shakespeare im König Lear aus. Laokoon. Niobe. Fruchtbares Motiv des Kindermords in Bethlehem. Collisionen: Vaterliebe mit Mutterliebe: Orestie, Bruderliebe mit Gesetz: Antigone, Bruderliebe und Leidenschaft der Liebe zum Weib: Braut von Messina. Der Liebesbund der Familie bietet aber auch des Komischen genug dar und wohl ihm, wenn er selbst diesen Stoff frei auffaßt und die Glieder nicht in Sentimentalität sich verhätscheln, was zur schlimmsten Heuchelei führt. Sie behalten im Wechseltausch der Liebe einen guten Rest des Eigensinns zurück, bemerken gegenseitig sehr wohl ihre Schwächen und im guten und geistigen Hause erzeugt sich daraus das behagliche Element des Familienhumors.
b. Die besonderen Formen.
§. 324.
Durch die unendliche Verzweigung der Familien hat sich das menschliche1 Geschlecht über die Erde verbreitet. Es theilt sich, weil die absolute Form gefunden ist, nicht in Arten, sondern nur in Racen, welche durch Körperbau überhaupt, Form des Schädels, Gesichtsbildung, Haut, Temperament und Anlage sich unterscheiden. Unter diesen ist nur die kaukasische als wahrhaft ästhetische2 Erscheinung anzuerkennen, denn nachdem die Aesthetik aus dem Thierreich in die menschliche Welt eingetreten ist, genügt ihr nur der in §. 317 ff dargestellte
unter zahlloſen Benützungen dieſes Stoffes durch die Kunſt nur an Siebenkäs und Lenette denken. Dieſes Beiſpiel zeigt aber auch bereits, daß das zunächſt Unſchädliche ſehr ſchädlich ſein, ja die Ehe zerſtören kann, und umgekehrt kann auch das Schädlichſte im Sinne des Komiſchen als ein Unſchädliches erſcheinen, je nach dem Lichte, das auf das Ganze fällt. Die Eiferſucht kann ebenſo komiſch als tragiſch ſein; die Untreue kann freilich nie komiſch erſcheinen, wo ſie eine vorher gute Ehe zerſtört, aber an einer gemeinen Ehe, die vorher ſchon ein Zerrbild der guten iſt, iſt auch durch ſie nichts zu verderben und dieſe Dauerhaftigkeit des Schlechten kann allerdings komiſch erſcheinen.
2. In der Familie fließt die Liebe des Vaters zur Mutter, der Mutter zum Vater, beider zu den Kindern, des Kindes zu den Eltern, der Kinder unter ſich in Eine Liebe, Eine geiſtige Perſon zuſammen und iſt dieß ein um ſo reicheres Schauſpiel, da jedes unter dieſen die andern wieder mit einer andern Liebe liebt. Daß Zerſtörung der Familienliebe Zerſtörung der Menſchheit, Weltuntergang iſt, ſpricht in gewaltigen Lauten Shakespeare im König Lear aus. Laokoon. Niobe. Fruchtbares Motiv des Kindermords in Bethlehem. Colliſionen: Vaterliebe mit Mutterliebe: Oreſtie, Bruderliebe mit Geſetz: Antigone, Bruderliebe und Leidenſchaft der Liebe zum Weib: Braut von Meſſina. Der Liebesbund der Familie bietet aber auch des Komiſchen genug dar und wohl ihm, wenn er ſelbſt dieſen Stoff frei auffaßt und die Glieder nicht in Sentimentalität ſich verhätſcheln, was zur ſchlimmſten Heuchelei führt. Sie behalten im Wechſeltauſch der Liebe einen guten Reſt des Eigenſinns zurück, bemerken gegenſeitig ſehr wohl ihre Schwächen und im guten und geiſtigen Hauſe erzeugt ſich daraus das behagliche Element des Familienhumors.
β. Die beſonderen Formen.
§. 324.
Durch die unendliche Verzweigung der Familien hat ſich das menſchliche1 Geſchlecht über die Erde verbreitet. Es theilt ſich, weil die abſolute Form gefunden iſt, nicht in Arten, ſondern nur in Racen, welche durch Körperbau überhaupt, Form des Schädels, Geſichtsbildung, Haut, Temperament und Anlage ſich unterſcheiden. Unter dieſen iſt nur die kaukaſiſche als wahrhaft äſthetiſche2 Erſcheinung anzuerkennen, denn nachdem die Aeſthetik aus dem Thierreich in die menſchliche Welt eingetreten iſt, genügt ihr nur der in §. 317 ff dargeſtellte
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Siebenkäs und Lenette denken. Dieſes Beiſpiel zeigt aber auch bereits,
daß das zunächſt Unſchädliche ſehr ſchädlich ſein, ja die Ehe zerſtören
kann, und umgekehrt kann auch das Schädlichſte im Sinne des Komiſchen
als ein Unſchädliches erſcheinen, je nach dem Lichte, das auf das Ganze
fällt. Die Eiferſucht kann ebenſo komiſch als tragiſch ſein; die Untreue
kann freilich nie komiſch erſcheinen, wo ſie eine vorher gute Ehe zerſtört,
aber an einer gemeinen Ehe, die vorher ſchon ein Zerrbild der guten iſt,
iſt auch durch ſie nichts zu verderben und dieſe Dauerhaftigkeit des
Schlechten kann allerdings komiſch erſcheinen.
2. In der Familie fließt die Liebe des Vaters zur Mutter, der
Mutter zum Vater, beider zu den Kindern, des Kindes zu den Eltern,
der Kinder unter ſich in Eine Liebe, Eine geiſtige Perſon zuſammen und
iſt dieß ein um ſo reicheres Schauſpiel, da jedes unter dieſen die andern
wieder mit einer andern Liebe liebt. Daß Zerſtörung der Familienliebe
Zerſtörung der Menſchheit, Weltuntergang iſt, ſpricht in gewaltigen Lauten
Shakespeare im König Lear aus. Laokoon. Niobe. Fruchtbares Motiv
des Kindermords in Bethlehem. Colliſionen: Vaterliebe mit Mutterliebe:
Oreſtie, Bruderliebe mit Geſetz: Antigone, Bruderliebe und Leidenſchaft
der Liebe zum Weib: Braut von Meſſina. Der Liebesbund der Familie
bietet aber auch des Komiſchen genug dar und wohl ihm, wenn er ſelbſt
dieſen Stoff frei auffaßt und die Glieder nicht in Sentimentalität ſich
verhätſcheln, was zur ſchlimmſten Heuchelei führt. Sie behalten im
Wechſeltauſch der Liebe einen guten Reſt des Eigenſinns zurück, bemerken
gegenſeitig ſehr wohl ihre Schwächen und im guten und geiſtigen Hauſe
erzeugt ſich daraus das behagliche Element des Familienhumors.
β.
Die beſonderen Formen.
§. 324.
Durch die unendliche Verzweigung der Familien hat ſich das menſchliche
Geſchlecht über die Erde verbreitet. Es theilt ſich, weil die abſolute Form
gefunden iſt, nicht in Arten, ſondern nur in Racen, welche durch Körperbau
überhaupt, Form des Schädels, Geſichtsbildung, Haut, Temperament und Anlage
ſich unterſcheiden. Unter dieſen iſt nur die kaukaſiſche als wahrhaft äſthetiſche
Erſcheinung anzuerkennen, denn nachdem die Aeſthetik aus dem Thierreich in
die menſchliche Welt eingetreten iſt, genügt ihr nur der in §. 317 ff dargeſtellte
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/187>, abgerufen am 22.02.2025.
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