Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.§. 304. Die erste große Gruppe der Vögel umfaßt diejenigen, welche wesentlich1 1. Die Eintheilung der Vögel, die hier in Kürze versucht wird, §. 304. Die erſte große Gruppe der Vögel umfaßt diejenigen, welche weſentlich1 1. Die Eintheilung der Vögel, die hier in Kürze verſucht wird, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0149" n="137"/> <div n="5"> <head>§. 304.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die erſte große Gruppe der Vögel umfaßt diejenigen, welche weſentlich<note place="right">1</note><lb/> zum Fluge gebaut ſind und in welchen daher das eigentlich Vogelartige ſich<lb/> darſtellt. In ihr tritt der Gegenſatz des zahmen und des Raubthiers in ſeiner<note place="right">2</note><lb/> ganzen Beſtimmtheit auf. Sie begreift zunächſt die große Maſſe der kleineren<lb/> Vögel, durch Geſang oder Farbe ausgezeichnet, die meiſten zierlich von Geſtalt,<lb/> höchſt rührig und lebhaft von Bewegung. Dagegen ſind die Raubvögel eintönig<note place="right">3</note><lb/> an Stimme, ſchmuckloſer an Farbe, mächtig und aufrecht von Geſtalt, hell von<lb/> Augen, drohend durch Waffen, majeſtätiſch im Flug, charaktervoll im Ausdruck,<lb/> ernſt, ſtill und grauſam von Temperament.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Die Eintheilung der Vögel, die hier in Kürze verſucht wird,<lb/> führt auf einen intereſſanten Punkt, der vielleicht auf die ſchwierige Frage<lb/> über die Durchführung einer Stufenfolge in der Natur einiges Licht ver-<lb/> breiten könnte. Wir werden nämlich auf die eigentlichen Luftvögel die<lb/> Schwimm- und Sumpf-Vögel, dann die Landvögel, d. h. die faſt allein<lb/> zum Gehen beſtimmten folgen laſſen. Betrachtet man nun den Vogel an<lb/> ſich, ſo iſt ſein Typus natürlich in den weſentlich zum Fluge beſtimmten<lb/> oder Luftvögeln am reinſten ausgebildet, daher dieſe am höchſten ſtehen<lb/> müßten, wie ſie denn gewiß die ſchönſten Vögel ſind. Allein es bilden<lb/> ſich in den weniger ſchönen, meiſt unbehülflichen Waſſer- und Land-Vögeln<lb/> Eigenſchaften aus, wodurch dieſelben dem Säugethiere näher treten, theils<lb/> pſychiſche, theils organiſche; ſo daß, wenn man den Zuſammenhang des<lb/> Thierreichs im Großen in’s Auge faßt, dieſe höher ſtehen, obwohl ſie an<lb/> Geſtalt weniger edel ſind. Je mehr der Vogel aus der Luft herabkommt<lb/> und ſich an das Feſte hält, deſto bedeutender iſt ſeine Organiſation.<lb/> Daraus erhellt, daß die Natur, indem ſie ein Stufenſyſtem baut, keines-<lb/> wegs nach allen Seiten die höhere Stufe über die niedrigere ſtellt.<lb/> Während ſie auf einer Seite fortſchreitet, läßt ſie auf der andern wieder<lb/> fallen und erſt in weiteren Knotenpunkten vereinigt ſie das im Fortſchritt<lb/> Gewonnene wieder mit dem früher Verlorenen. Der Strauß iſt ein<lb/> ungeſchickter Vogel, weil er ſich in Vielem vom Vogel entfernt und doch<lb/> noch kein Säugthier iſt; iſt aber einmal das Säugthier da, ſo tritt<lb/> wieder die Ganzheit und Zuſammengehörigkeit der Geſtalt ein, welche<lb/> in ſeiner Art der Luftvogel hat. Die Natur geht alſo zwar an den<lb/> Hauptpunkten ihres Syſtems aufwärts, zwiſchen dem Aufwärts aber<lb/> beziehungsweiſe auch wieder abwärts. Dieſer Satz ſagt noch etwas<lb/> Anderes aus, als der oft angeführte in §. 18, <hi rendition="#sub">1.</hi> Der letztere ſpricht von<lb/> niedrigeren Stufen des höheren Gebiets, nun aber iſt von Zwiſchenſtufen<lb/> die Rede, welche nach den ſchon erſtiegenen höheren eines Gebiets wieder<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [137/0149]
§. 304.
Die erſte große Gruppe der Vögel umfaßt diejenigen, welche weſentlich
zum Fluge gebaut ſind und in welchen daher das eigentlich Vogelartige ſich
darſtellt. In ihr tritt der Gegenſatz des zahmen und des Raubthiers in ſeiner
ganzen Beſtimmtheit auf. Sie begreift zunächſt die große Maſſe der kleineren
Vögel, durch Geſang oder Farbe ausgezeichnet, die meiſten zierlich von Geſtalt,
höchſt rührig und lebhaft von Bewegung. Dagegen ſind die Raubvögel eintönig
an Stimme, ſchmuckloſer an Farbe, mächtig und aufrecht von Geſtalt, hell von
Augen, drohend durch Waffen, majeſtätiſch im Flug, charaktervoll im Ausdruck,
ernſt, ſtill und grauſam von Temperament.
1. Die Eintheilung der Vögel, die hier in Kürze verſucht wird,
führt auf einen intereſſanten Punkt, der vielleicht auf die ſchwierige Frage
über die Durchführung einer Stufenfolge in der Natur einiges Licht ver-
breiten könnte. Wir werden nämlich auf die eigentlichen Luftvögel die
Schwimm- und Sumpf-Vögel, dann die Landvögel, d. h. die faſt allein
zum Gehen beſtimmten folgen laſſen. Betrachtet man nun den Vogel an
ſich, ſo iſt ſein Typus natürlich in den weſentlich zum Fluge beſtimmten
oder Luftvögeln am reinſten ausgebildet, daher dieſe am höchſten ſtehen
müßten, wie ſie denn gewiß die ſchönſten Vögel ſind. Allein es bilden
ſich in den weniger ſchönen, meiſt unbehülflichen Waſſer- und Land-Vögeln
Eigenſchaften aus, wodurch dieſelben dem Säugethiere näher treten, theils
pſychiſche, theils organiſche; ſo daß, wenn man den Zuſammenhang des
Thierreichs im Großen in’s Auge faßt, dieſe höher ſtehen, obwohl ſie an
Geſtalt weniger edel ſind. Je mehr der Vogel aus der Luft herabkommt
und ſich an das Feſte hält, deſto bedeutender iſt ſeine Organiſation.
Daraus erhellt, daß die Natur, indem ſie ein Stufenſyſtem baut, keines-
wegs nach allen Seiten die höhere Stufe über die niedrigere ſtellt.
Während ſie auf einer Seite fortſchreitet, läßt ſie auf der andern wieder
fallen und erſt in weiteren Knotenpunkten vereinigt ſie das im Fortſchritt
Gewonnene wieder mit dem früher Verlorenen. Der Strauß iſt ein
ungeſchickter Vogel, weil er ſich in Vielem vom Vogel entfernt und doch
noch kein Säugthier iſt; iſt aber einmal das Säugthier da, ſo tritt
wieder die Ganzheit und Zuſammengehörigkeit der Geſtalt ein, welche
in ſeiner Art der Luftvogel hat. Die Natur geht alſo zwar an den
Hauptpunkten ihres Syſtems aufwärts, zwiſchen dem Aufwärts aber
beziehungsweiſe auch wieder abwärts. Dieſer Satz ſagt noch etwas
Anderes aus, als der oft angeführte in §. 18, 1. Der letztere ſpricht von
niedrigeren Stufen des höheren Gebiets, nun aber iſt von Zwiſchenſtufen
die Rede, welche nach den ſchon erſtiegenen höheren eines Gebiets wieder
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |