Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
Sittlichen näher, ist schon ein Analogie der Freundschaft. Am höchsten §. 290. Was sich bewegt, ist ein Zeitleben. Die Pflanze führt ein solches, aber Vischer's Aesthetik. 2. Band. 8
Sittlichen näher, iſt ſchon ein Analogie der Freundſchaft. Am höchſten §. 290. Was ſich bewegt, iſt ein Zeitleben. Die Pflanze führt ein ſolches, aber Viſcher’s Aeſthetik. 2. Band. 8
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Sittlichen näher, iſt ſchon ein Analogie der Freundſchaft. Am höchſten
müſſen wir aber die Anhänglichkeit, Ergebenheit an den Menſchen ſetzen,
die in Treue oft ſo feſt wird, daß das Thier ſogar den Tod des Herrn
nicht überlebt. Hier iſt auch am meiſten Bildungsfähigkeit, das Thier
lernt, was irgend gelernt werden kann durch ſinnliche Zeichen unmittel-
barer Art, und darunter ſind nicht die Prügel verſtanden: dieſe ſind nur
die negative Hälfte der Erziehungsmittel, die andere, poſitive ſind die
Erweiſungen der Liebe, die das Thier wohl verſteht. Das Thier lernt
ſogar Eigenthum anerkennen, aber freilich nur das ſeines Herrn, denn
nicht den Begriff des Eigenthums kann es faſſen, ſondern nur die Beziehung
ſeines Herrn zu ſeinem Beſitze, weil dieſe ſich ihm ſinnlich im Schalten
des Herrn damit darſtellt. Dieſe Unterordnung unter und Hingebung an
den Menſchen erhebt ſich von der Furcht zu einer bleibenden Ahnung,
keine eigene Perſönlichkeit, ſondern eine ſolche nur im Herrn zu beſitzen.
Dieß iſt die höchſte mögliche Analogie des Sittlichen im Thiere. Das
Thier iſt unſchuldig, weil es nicht Gutes und Böſes unterſcheidet, hier
aber iſt ein Anklang an Tugend und Schuld. Der Hund, der ein Cal-
facter wird, iſt wirklich demoraliſirt zu nennen. Dem Thiere iſt der
Menſch ſein Gott. Es kann das Allgemeine als ſolches nicht denken,
noch vorſtellen, ſondern nur Einzelnes ſchauend verſtehen. Der einzelne
Menſch ſtellt ihm durch Geſtalt, Blick u. ſ. w. die Vernunft, dieß All-
gemeine dar, es ahnt, daß ſein Helldunkel in ihm Licht iſt, das iſt ſeine
Religion. Die Naturreligion kehrte im Thiercultus die Sache um und
ſuchte im Helldunkel der Thierſeele das Göttliche; wo die Vernunft noch
nicht explizirt iſt, ſcheint das Implizirte das Abſolute, ſein Abgrund ver-
birgt ungetrennt, was im Menſchengeiſte getrennt iſt und ſich doch noch
nicht wieder im Gedanken zuſammenfaſſen kann.
§. 290.
Was ſich bewegt, iſt ein Zeitleben. Die Pflanze führt ein ſolches, aber
weil ſie als Ganzes noch räumlich gebunden iſt, ein unvollkommenes, das nicht
ſeiner ſelbſt als im Zeitwechſel mit ſich identiſch bleibender Einheit inne wird.
Der durch äußere Gewalt ihren verhärteten Theilen entlockte Klang iſt zwar
geeigneter, den Ausdruck des Seelenlebens in ſich aufzunehmen, als der des
unorganiſchen Stoffs (§. 269), aber ſie kann ſich zum Kundgeben ihres Zeit-
lebens nicht ſelbſt befreien, ſie kann ſich nicht vernehmen laſſen, weil ſie ſich
ſelbſt nicht vernimmt. Das Thier dagegen lebt nicht nur in der Zeit, ſondern
fühlt ſich auch als die im Wechſel des Zeitverlaufs in ſich zuſammengefaßte
Einheit. Dieſes innere Leben verräth es durch die zum Stimm-Organe gebil-
deten Athmungs- und Geſchmacks-Organe im Tone. Der Ausdruck deſſelben
Viſcher’s Aeſthetik. 2. Band. 8
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