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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Da J. Paul selbst weit mehr als blos witzig ist, so hätte er sich die
halbwahre Vertheidigung der Verschwendung des Witzes ersparen können;
die Verschwendung ist nöthig, aber sie soll selbst ein Ende nehmen und eine
komische Fülle höherer Art in die Leere, die sie zurückläßt, treten lassen.
Schriftsteller, die blos witzig sind, erscheinen ärmlich und gemein.

2. Was fehlt, ist ein Seyn. Das komische Subject soll, was es als
komisch weiß, selber seyn, es soll zu dieser Unmittelbarkeit zurückkehren.
In der Posse stand zwar der komische Gegenstand auch außer dem lachen-
den Subjecte, aber dieses, sinnlich wie es ist, fühlte sich mit ihm in
Einer Welt und trennte nicht; daher nahm es gerne die Narrensprünge
auch auf sich selbst. Nun soll dies in höherem Sinne zurückkehren.
Das thätige Subject soll selbst komisch seyn, aber freilich dieses Seyn
als einen Bruchtheil des allgemeinen Seyns wissen und so wissend den
belachten Thoren zugleich in sich und überall sehen, sich zugleich über ihn
stellen und demüthig mit ihm fortleben und wo es ihn trifft, zutraulich
ihm die Hand reichen, nicht einsam bleiben, sondern im allgemeinen
Fluße mitschwimmen. Was dem Witze fehlt, spricht J. Paul in der
schon zu §. 94, 2 theilweise angeführten Stelle vollständiger so aus:
"der Witz, das Anagramm der Natur, ist von Natur ein Geister- und
Götter-Läugner, er nimmt an keinem Wesen Antheil, sondern
nur an dessen Verhältnissen
; er achtet und verachtet nichts; Alles
ist ihm gleich, sobald es gleich und ähnlich wird; er will nichts als sich
und spielt um das Spiel; er ist atomistisch ohne wahre Verbindung;
gleich dem Eise gibt er zufällig Wärme, wenn man ihn zum Brennglase
erhebt, und zufällig Licht oder Eisblink, wenn man ihn zur Ebene ab-
plattet, aber vor Licht und Wärme stellet er sich eben so oft, ohne minder
zu schimmern. Darum wird auch die Welt täglich witziger und gesalzener,
wie das Meer sich nach Halley jedes Jahrhundert stärker salzt." (Der
letztere Witz dient freilich dem Witze nicht eben zur Empfehlung, denn er
ist matt, weil er weder trifft, noch ohne Treffen ergötzt).

3. Ein solches Bewußtseyn wird gegen alles unendlich Kleine gerecht
werden. Wie es an sich selbst erfährt, daß in diesem das Höchste selbst
seine Wurzeln hat, wird es die Wohlweisheit des züchtigenden Witzes
lassen. Es wird hinter dem unendlich Großen das unendlich Kleine her-
vorlauschen, im unendlich Kleinen aber die eigene freie Strahlenbrechung
des unendlich Großen sehen.


Da J. Paul ſelbſt weit mehr als blos witzig iſt, ſo hätte er ſich die
halbwahre Vertheidigung der Verſchwendung des Witzes erſparen können;
die Verſchwendung iſt nöthig, aber ſie ſoll ſelbſt ein Ende nehmen und eine
komiſche Fülle höherer Art in die Leere, die ſie zurückläßt, treten laſſen.
Schriftſteller, die blos witzig ſind, erſcheinen ärmlich und gemein.

2. Was fehlt, iſt ein Seyn. Das komiſche Subject ſoll, was es als
komiſch weiß, ſelber ſeyn, es ſoll zu dieſer Unmittelbarkeit zurückkehren.
In der Poſſe ſtand zwar der komiſche Gegenſtand auch außer dem lachen-
den Subjecte, aber dieſes, ſinnlich wie es iſt, fühlte ſich mit ihm in
Einer Welt und trennte nicht; daher nahm es gerne die Narrenſprünge
auch auf ſich ſelbſt. Nun ſoll dies in höherem Sinne zurückkehren.
Das thätige Subject ſoll ſelbſt komiſch ſeyn, aber freilich dieſes Seyn
als einen Bruchtheil des allgemeinen Seyns wiſſen und ſo wiſſend den
belachten Thoren zugleich in ſich und überall ſehen, ſich zugleich über ihn
ſtellen und demüthig mit ihm fortleben und wo es ihn trifft, zutraulich
ihm die Hand reichen, nicht einſam bleiben, ſondern im allgemeinen
Fluße mitſchwimmen. Was dem Witze fehlt, ſpricht J. Paul in der
ſchon zu §. 94, 2 theilweiſe angeführten Stelle vollſtändiger ſo aus:
„der Witz, das Anagramm der Natur, iſt von Natur ein Geiſter- und
Götter-Läugner, er nimmt an keinem Weſen Antheil, ſondern
nur an deſſen Verhältniſſen
; er achtet und verachtet nichts; Alles
iſt ihm gleich, ſobald es gleich und ähnlich wird; er will nichts als ſich
und ſpielt um das Spiel; er iſt atomiſtiſch ohne wahre Verbindung;
gleich dem Eiſe gibt er zufällig Wärme, wenn man ihn zum Brennglaſe
erhebt, und zufällig Licht oder Eisblink, wenn man ihn zur Ebene ab-
plattet, aber vor Licht und Wärme ſtellet er ſich eben ſo oft, ohne minder
zu ſchimmern. Darum wird auch die Welt täglich witziger und geſalzener,
wie das Meer ſich nach Halley jedes Jahrhundert ſtärker ſalzt.“ (Der
letztere Witz dient freilich dem Witze nicht eben zur Empfehlung, denn er
iſt matt, weil er weder trifft, noch ohne Treffen ergötzt).

3. Ein ſolches Bewußtſeyn wird gegen alles unendlich Kleine gerecht
werden. Wie es an ſich ſelbſt erfährt, daß in dieſem das Höchſte ſelbſt
ſeine Wurzeln hat, wird es die Wohlweisheit des züchtigenden Witzes
laſſen. Es wird hinter dem unendlich Großen das unendlich Kleine her-
vorlauſchen, im unendlich Kleinen aber die eigene freie Strahlenbrechung
des unendlich Großen ſehen.


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[443/0457] Da J. Paul ſelbſt weit mehr als blos witzig iſt, ſo hätte er ſich die halbwahre Vertheidigung der Verſchwendung des Witzes erſparen können; die Verſchwendung iſt nöthig, aber ſie ſoll ſelbſt ein Ende nehmen und eine komiſche Fülle höherer Art in die Leere, die ſie zurückläßt, treten laſſen. Schriftſteller, die blos witzig ſind, erſcheinen ärmlich und gemein. 2. Was fehlt, iſt ein Seyn. Das komiſche Subject ſoll, was es als komiſch weiß, ſelber ſeyn, es ſoll zu dieſer Unmittelbarkeit zurückkehren. In der Poſſe ſtand zwar der komiſche Gegenſtand auch außer dem lachen- den Subjecte, aber dieſes, ſinnlich wie es iſt, fühlte ſich mit ihm in Einer Welt und trennte nicht; daher nahm es gerne die Narrenſprünge auch auf ſich ſelbſt. Nun ſoll dies in höherem Sinne zurückkehren. Das thätige Subject ſoll ſelbſt komiſch ſeyn, aber freilich dieſes Seyn als einen Bruchtheil des allgemeinen Seyns wiſſen und ſo wiſſend den belachten Thoren zugleich in ſich und überall ſehen, ſich zugleich über ihn ſtellen und demüthig mit ihm fortleben und wo es ihn trifft, zutraulich ihm die Hand reichen, nicht einſam bleiben, ſondern im allgemeinen Fluße mitſchwimmen. Was dem Witze fehlt, ſpricht J. Paul in der ſchon zu §. 94, 2 theilweiſe angeführten Stelle vollſtändiger ſo aus: „der Witz, das Anagramm der Natur, iſt von Natur ein Geiſter- und Götter-Läugner, er nimmt an keinem Weſen Antheil, ſondern nur an deſſen Verhältniſſen; er achtet und verachtet nichts; Alles iſt ihm gleich, ſobald es gleich und ähnlich wird; er will nichts als ſich und ſpielt um das Spiel; er iſt atomiſtiſch ohne wahre Verbindung; gleich dem Eiſe gibt er zufällig Wärme, wenn man ihn zum Brennglaſe erhebt, und zufällig Licht oder Eisblink, wenn man ihn zur Ebene ab- plattet, aber vor Licht und Wärme ſtellet er ſich eben ſo oft, ohne minder zu ſchimmern. Darum wird auch die Welt täglich witziger und geſalzener, wie das Meer ſich nach Halley jedes Jahrhundert ſtärker ſalzt.“ (Der letztere Witz dient freilich dem Witze nicht eben zur Empfehlung, denn er iſt matt, weil er weder trifft, noch ohne Treffen ergötzt). 3. Ein ſolches Bewußtſeyn wird gegen alles unendlich Kleine gerecht werden. Wie es an ſich ſelbſt erfährt, daß in dieſem das Höchſte ſelbſt ſeine Wurzeln hat, wird es die Wohlweisheit des züchtigenden Witzes laſſen. Es wird hinter dem unendlich Großen das unendlich Kleine her- vorlauſchen, im unendlich Kleinen aber die eigene freie Strahlenbrechung des unendlich Großen ſehen.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/457>, abgerufen am 26.04.2024.