macht nur großer Gehalt möglich. Göthes Kunst-Urtheil hat Einiges zur Entstehung dieses Formalismus der Kunst beigetragen. Es mag über diesen wichtigen Punkt sogleich folgender beleuchtender Satz aufge- stellt werden. Man stelle neben ein in der Form vollendetes Landschaft- gemälde, Thierstück oder Genre-Bild, worin Menschen in anspruchs- losem Zustande dargestellt sind, ein historisches Gemälde, worin ein großer weltgeschichtlicher Act schlecht dargestellt ist. Hier hat das erstere ohne Frage ästhetischen Vorrang; allein der Fall ist nicht richtig gewählt. Man stelle vielmehr neben jene ein Gemälde der letzteren Gattung, das ebenfalls meisterhaft in der Form ist. Jetzt steht dieses ohne Frage höher als jene.
§. 20.
Die Persönlichkeit erweitert sich über den Umfang ihrer subjectiven Ver-1 einzelung zu einer Gesammt-Person, welche durch vereinte Thätigkeit die wesentlichen sittlichen Zwecke des Geistes verwirklicht. In dieser geistigen Welt erreicht die Idee ihre wahre Bedeutung und Ideen heißen nun die großen, bewegenden sittlichen Mächte, auf welche jedoch in dem Sinne auch der Begriff der Gattung noch angewandt werden kann, daß sie sich zu ihren engeren Sphären und den sie verwirklichenden einzelnen Persönlichkeiten verhalten, wie die Gat- tung zu ihren Arten und Individuen. Auch diese sittliche Welt setzt sich ihre2 Stufen, und von diesen gilt dieselbe Einschränkung wie §. 18, 2. Die sittliche Idee fügt in den Aufbau ihrer Sphären solche Stufen ein, worin sie sich von dem Schönen zu trennen scheint; das Schöne wird ihr aber unter gewissen Bedin- gungen auch dahin folgen können.
1. Der würdigste Gehalt des Schönen liegt in den sittlichen Mächten des öffentlichen Lebens. Die jetzige Zeit hat dies erkannt und fordert geschichtlichen, politischen Gehalt. Daraus an sich würde noch keines- wegs Tendenzkunst und Tendenzkritik entstehen; der Schein dieser Con- sequenz kann nur hier noch nicht gründlicher widerlegt werden, als er es durch die früheren Bemerkungen schon ist. -- Die sittliche Macht wird Lebensluft besonderer Stände wie der einzelnen Persönlichkeit und verwirklicht sich in ihnen, wie die Gattung in ihren Arten und Individuen, daher auch hier die Idee Gattung heißen kann. Die Persönlichkeit im Dienste der Idee tritt im Collisionsfalle aus der Gat-
macht nur großer Gehalt möglich. Göthes Kunſt-Urtheil hat Einiges zur Entſtehung dieſes Formalismus der Kunſt beigetragen. Es mag über dieſen wichtigen Punkt ſogleich folgender beleuchtender Satz aufge- ſtellt werden. Man ſtelle neben ein in der Form vollendetes Landſchaft- gemälde, Thierſtück oder Genre-Bild, worin Menſchen in anſpruchs- loſem Zuſtande dargeſtellt ſind, ein hiſtoriſches Gemälde, worin ein großer weltgeſchichtlicher Act ſchlecht dargeſtellt iſt. Hier hat das erſtere ohne Frage äſthetiſchen Vorrang; allein der Fall iſt nicht richtig gewählt. Man ſtelle vielmehr neben jene ein Gemälde der letzteren Gattung, das ebenfalls meiſterhaft in der Form iſt. Jetzt ſteht dieſes ohne Frage höher als jene.
§. 20.
Die Perſönlichkeit erweitert ſich über den Umfang ihrer ſubjectiven Ver-1 einzelung zu einer Geſammt-Perſon, welche durch vereinte Thätigkeit die weſentlichen ſittlichen Zwecke des Geiſtes verwirklicht. In dieſer geiſtigen Welt erreicht die Idee ihre wahre Bedeutung und Ideen heißen nun die großen, bewegenden ſittlichen Mächte, auf welche jedoch in dem Sinne auch der Begriff der Gattung noch angewandt werden kann, daß ſie ſich zu ihren engeren Sphären und den ſie verwirklichenden einzelnen Perſönlichkeiten verhalten, wie die Gat- tung zu ihren Arten und Individuen. Auch dieſe ſittliche Welt ſetzt ſich ihre2 Stufen, und von dieſen gilt dieſelbe Einſchränkung wie §. 18, 2. Die ſittliche Idee fügt in den Aufbau ihrer Sphären ſolche Stufen ein, worin ſie ſich von dem Schönen zu trennen ſcheint; das Schöne wird ihr aber unter gewiſſen Bedin- gungen auch dahin folgen können.
1. Der würdigſte Gehalt des Schönen liegt in den ſittlichen Mächten des öffentlichen Lebens. Die jetzige Zeit hat dies erkannt und fordert geſchichtlichen, politiſchen Gehalt. Daraus an ſich würde noch keines- wegs Tendenzkunſt und Tendenzkritik entſtehen; der Schein dieſer Con- ſequenz kann nur hier noch nicht gründlicher widerlegt werden, als er es durch die früheren Bemerkungen ſchon iſt. — Die ſittliche Macht wird Lebensluft beſonderer Stände wie der einzelnen Perſönlichkeit und verwirklicht ſich in ihnen, wie die Gattung in ihren Arten und Individuen, daher auch hier die Idee Gattung heißen kann. Die Perſönlichkeit im Dienſte der Idee tritt im Colliſionsfalle aus der Gat-
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macht nur großer Gehalt möglich. Göthes Kunſt-Urtheil hat Einiges
zur Entſtehung dieſes Formalismus der Kunſt beigetragen. Es mag
über dieſen wichtigen Punkt ſogleich folgender beleuchtender Satz aufge-
ſtellt werden. Man ſtelle neben ein in der Form vollendetes Landſchaft-
gemälde, Thierſtück oder Genre-Bild, worin Menſchen in anſpruchs-
loſem Zuſtande dargeſtellt ſind, ein hiſtoriſches Gemälde, worin ein
großer weltgeſchichtlicher Act ſchlecht dargeſtellt iſt. Hier hat das erſtere
ohne Frage äſthetiſchen Vorrang; allein der Fall iſt nicht richtig gewählt.
Man ſtelle vielmehr neben jene ein Gemälde der letzteren Gattung, das
ebenfalls meiſterhaft in der Form iſt. Jetzt ſteht dieſes ohne Frage
höher als jene.
§. 20.
Die Perſönlichkeit erweitert ſich über den Umfang ihrer ſubjectiven Ver-
einzelung zu einer Geſammt-Perſon, welche durch vereinte Thätigkeit die
weſentlichen ſittlichen Zwecke des Geiſtes verwirklicht. In dieſer geiſtigen
Welt erreicht die Idee ihre wahre Bedeutung und Ideen heißen nun die großen,
bewegenden ſittlichen Mächte, auf welche jedoch in dem Sinne auch der Begriff
der Gattung noch angewandt werden kann, daß ſie ſich zu ihren engeren Sphären
und den ſie verwirklichenden einzelnen Perſönlichkeiten verhalten, wie die Gat-
tung zu ihren Arten und Individuen. Auch dieſe ſittliche Welt ſetzt ſich ihre
Stufen, und von dieſen gilt dieſelbe Einſchränkung wie §. 18, 2. Die ſittliche
Idee fügt in den Aufbau ihrer Sphären ſolche Stufen ein, worin ſie ſich von
dem Schönen zu trennen ſcheint; das Schöne wird ihr aber unter gewiſſen Bedin-
gungen auch dahin folgen können.
1. Der würdigſte Gehalt des Schönen liegt in den ſittlichen Mächten
des öffentlichen Lebens. Die jetzige Zeit hat dies erkannt und fordert
geſchichtlichen, politiſchen Gehalt. Daraus an ſich würde noch keines-
wegs Tendenzkunſt und Tendenzkritik entſtehen; der Schein dieſer Con-
ſequenz kann nur hier noch nicht gründlicher widerlegt werden, als er
es durch die früheren Bemerkungen ſchon iſt. — Die ſittliche Macht
wird Lebensluft beſonderer Stände wie der einzelnen Perſönlichkeit
und verwirklicht ſich in ihnen, wie die Gattung in ihren Arten und
Individuen, daher auch hier die Idee Gattung heißen kann. Die
Perſönlichkeit im Dienſte der Idee tritt im Colliſionsfalle aus der Gat-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/89>, abgerufen am 03.12.2024.
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