3. Hier nimmt die nothwendige Ergänzung des eingeräumten Mangels der Hegel'schen Aesthetik bereits eine bestimmtere Form an. Selbst den ver- gleichungsweise dürftigen Naturerscheinungen ist ihre Stelle im Schönen durch diesen Satz gesichert. Ein Baum, ein unvollkommen organisirtes Thier, wenn es sich so darstellt, daß seine Idee, d. h. seine Gattung in ihm zum reinen Ausdruck gelangt, eröffnet die Aussicht in die ganze Fülle und edle Bestimmtheit des Naturlebens, und da dieses zum Geiste aufwärts weist, läßt es auch diesen ahnen, ist also eine Welt. -- Der gegen Hegel erhobene Vor- wurf eines stoffartigen Verfahrens erscheint hier auch gegen uns doppelt begründet, indem wir eine solche durch das Gewicht des Lebensgehalts bestimmte Stufenfolge für das Schöne festsetzen; er kann aber hier noch nicht beseitigt, im Gegentheil, diese Betrachtungsweise muß noch weiter geführt werden. Es wird zwar im nächsten Fortgange Veranlassung seyn, ihn zu berühren, aber erst wenn die Formfrage zur Sprache gekommen seyn wird, kann das wahre Verhältniß zwischen Stoff und Form erledigt werden. Uebrigens lassen sich aus dem Bisherigen bereits wichtige Folge- rungen zur Beleuchtung der Wahrheit oder Unwahrheit des Ausdrucks "schön in seiner Art" ziehen.
§. 18.
1
Der Begriff der Stufenfolge beschränkt sich jedoch. Die Idee stellt, da sie in jedem Gebiet wieder von unten beginnt, auf der niedrigeren Stufe des höheren Gebiets Gattungen oder Arten auf, welche ihr Gebiet dürftiger dar- stellen, als ein untergeordnetes von solchen seiner Gattungen oder Arten dar- gestellt wird, welche eine höhere Stufe in dem Zusammenhang des ihrigen ein- nehmen. Ferner, weil es die eine Idee ist, welche diese Stufenfolge bildet, so sind dadurch Uebergangsformen bedingt, welche verschiedene Bestimmungen verschiedener Gebiete auf widersprechende Weise in sich vereinigen und daher auch der Forderung, daß das Schöne ein in sich geschlossenes Ganze sey, entgegen 2sind. Eine weitere Einschränkung wird darauf beruhen, daß die Idee auf ge- wissen Stufen ihren Inhalt auf Kosten der Gestalt in der Tiefe sammelt. Diese Einschränkung ist jedoch hier, wo von dem Unterschiede zwischen dem Schönen und der Idee an sich noch nicht die Rede ist, nur so weit zu erwähnen, als zum voraus einleuchtet, daß auch das Schöne sich verschieden wird wenden und jenes umgekehrte Verhältniß in sein Interesse ziehen können.
3. Hier nimmt die nothwendige Ergänzung des eingeräumten Mangels der Hegel’ſchen Aeſthetik bereits eine beſtimmtere Form an. Selbſt den ver- gleichungsweiſe dürftigen Naturerſcheinungen iſt ihre Stelle im Schönen durch dieſen Satz geſichert. Ein Baum, ein unvollkommen organiſirtes Thier, wenn es ſich ſo darſtellt, daß ſeine Idee, d. h. ſeine Gattung in ihm zum reinen Ausdruck gelangt, eröffnet die Ausſicht in die ganze Fülle und edle Beſtimmtheit des Naturlebens, und da dieſes zum Geiſte aufwärts weist, läßt es auch dieſen ahnen, iſt alſo eine Welt. — Der gegen Hegel erhobene Vor- wurf eines ſtoffartigen Verfahrens erſcheint hier auch gegen uns doppelt begründet, indem wir eine ſolche durch das Gewicht des Lebensgehalts beſtimmte Stufenfolge für das Schöne feſtſetzen; er kann aber hier noch nicht beſeitigt, im Gegentheil, dieſe Betrachtungsweiſe muß noch weiter geführt werden. Es wird zwar im nächſten Fortgange Veranlaſſung ſeyn, ihn zu berühren, aber erſt wenn die Formfrage zur Sprache gekommen ſeyn wird, kann das wahre Verhältniß zwiſchen Stoff und Form erledigt werden. Uebrigens laſſen ſich aus dem Bisherigen bereits wichtige Folge- rungen zur Beleuchtung der Wahrheit oder Unwahrheit des Ausdrucks „ſchön in ſeiner Art“ ziehen.
§. 18.
1
Der Begriff der Stufenfolge beſchränkt ſich jedoch. Die Idee ſtellt, da ſie in jedem Gebiet wieder von unten beginnt, auf der niedrigeren Stufe des höheren Gebiets Gattungen oder Arten auf, welche ihr Gebiet dürftiger dar- ſtellen, als ein untergeordnetes von ſolchen ſeiner Gattungen oder Arten dar- geſtellt wird, welche eine höhere Stufe in dem Zuſammenhang des ihrigen ein- nehmen. Ferner, weil es die eine Idee iſt, welche dieſe Stufenfolge bildet, ſo ſind dadurch Uebergangsformen bedingt, welche verſchiedene Beſtimmungen verſchiedener Gebiete auf widerſprechende Weiſe in ſich vereinigen und daher auch der Forderung, daß das Schöne ein in ſich geſchloſſenes Ganze ſey, entgegen 2ſind. Eine weitere Einſchränkung wird darauf beruhen, daß die Idee auf ge- wiſſen Stufen ihren Inhalt auf Koſten der Geſtalt in der Tiefe ſammelt. Dieſe Einſchränkung iſt jedoch hier, wo von dem Unterſchiede zwiſchen dem Schönen und der Idee an ſich noch nicht die Rede iſt, nur ſo weit zu erwähnen, als zum voraus einleuchtet, daß auch das Schöne ſich verſchieden wird wenden und jenes umgekehrte Verhältniß in ſein Intereſſe ziehen können.
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3. Hier nimmt die nothwendige Ergänzung des eingeräumten Mangels
der Hegel’ſchen Aeſthetik bereits eine beſtimmtere Form an. Selbſt den ver-
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dieſen Satz geſichert. Ein Baum, ein unvollkommen organiſirtes Thier, wenn
es ſich ſo darſtellt, daß ſeine Idee, d. h. ſeine Gattung in ihm zum reinen
Ausdruck gelangt, eröffnet die Ausſicht in die ganze Fülle und edle Beſtimmtheit
des Naturlebens, und da dieſes zum Geiſte aufwärts weist, läßt es auch
dieſen ahnen, iſt alſo eine Welt. — Der gegen Hegel erhobene Vor-
wurf eines ſtoffartigen Verfahrens erſcheint hier auch gegen uns doppelt
begründet, indem wir eine ſolche durch das Gewicht des Lebensgehalts
beſtimmte Stufenfolge für das Schöne feſtſetzen; er kann aber hier noch
nicht beſeitigt, im Gegentheil, dieſe Betrachtungsweiſe muß noch weiter
geführt werden. Es wird zwar im nächſten Fortgange Veranlaſſung ſeyn,
ihn zu berühren, aber erſt wenn die Formfrage zur Sprache gekommen
ſeyn wird, kann das wahre Verhältniß zwiſchen Stoff und Form erledigt
werden. Uebrigens laſſen ſich aus dem Bisherigen bereits wichtige Folge-
rungen zur Beleuchtung der Wahrheit oder Unwahrheit des Ausdrucks
„ſchön in ſeiner Art“ ziehen.
§. 18.
Der Begriff der Stufenfolge beſchränkt ſich jedoch. Die Idee ſtellt, da
ſie in jedem Gebiet wieder von unten beginnt, auf der niedrigeren Stufe des
höheren Gebiets Gattungen oder Arten auf, welche ihr Gebiet dürftiger dar-
ſtellen, als ein untergeordnetes von ſolchen ſeiner Gattungen oder Arten dar-
geſtellt wird, welche eine höhere Stufe in dem Zuſammenhang des ihrigen ein-
nehmen. Ferner, weil es die eine Idee iſt, welche dieſe Stufenfolge bildet,
ſo ſind dadurch Uebergangsformen bedingt, welche verſchiedene Beſtimmungen
verſchiedener Gebiete auf widerſprechende Weiſe in ſich vereinigen und daher auch
der Forderung, daß das Schöne ein in ſich geſchloſſenes Ganze ſey, entgegen
ſind. Eine weitere Einſchränkung wird darauf beruhen, daß die Idee auf ge-
wiſſen Stufen ihren Inhalt auf Koſten der Geſtalt in der Tiefe ſammelt. Dieſe
Einſchränkung iſt jedoch hier, wo von dem Unterſchiede zwiſchen dem Schönen
und der Idee an ſich noch nicht die Rede iſt, nur ſo weit zu erwähnen, als
zum voraus einleuchtet, daß auch das Schöne ſich verſchieden wird wenden und
jenes umgekehrte Verhältniß in ſein Intereſſe ziehen können.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/84>, abgerufen am 21.12.2024.
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