Es kann nach §. 13 zunächst immer nur eine bestimmte Idee seyn, welche1 in der schönen Erscheinung zum Ausdrucke kommt; denn das Allgemeine kann sich überhaupt im Einzelnen nur durch die Mitte des Besonderen darstellen. Jede bestimmte Idee ist aber nichts Anderes, als eine Form und Stufe der2 absoluten, es sind in jeder alle miteingeschlossen; daher ist ebenso wesentlich die andere Seite festzuhalten, daß in jedem Schönen mittelbar nicht nur diese oder jene, sondern die Idee als gegenwärtig erscheint.
1. Es ist der Inhalt von §. 13, 1. noch ausdrücklich hervorzu- stellen und näher auszuführen. Der erste Satz des §. nun scheint sich so von selbst zu verstehen, daß er als müßig angefochten werden könnte. Eine schöne Frucht kann nicht unmittelbar die Idee der Frucht überhaupt zur Erscheinung bringen, sondern zunächst nur ihre besondere Art und dadurch mittelbar die Form des Naturlebens, welcher diese Art angehört, und sofort die Fülle des Lebens überhaupt; ein schöner Mensch nicht unmittelbar die Menschheit, sondern zunächst eine bestimmte Volksart, Stammes-Art, Bildungsform, Geschlecht, Stand u. s. w., und nur mittelbar, weil in allen diesen Formen die Menschheit sich entfaltet, die letztere. Zieht man hier sogleich (was eigentlich ungehörig ist) die Religion herbei, so sucht diese allerdings, so scheint es, unmittelbar die absolute Idee im Phantasiebilde, das sie der Kunst übergibt, zu ver- gegenwärtigen. Allein auch die Religion ist genöthigt, den Inbegriff des Vollkommenen für diesen Zweck in einen Kreis von Göttern und Mittelwesen oder in eine Mehrzahl von Personen in der Gottheit, von
A. Die Idee.
§. 15.
Es kann nach §. 13 zunächſt immer nur eine beſtimmte Idee ſeyn, welche1 in der ſchönen Erſcheinung zum Ausdrucke kommt; denn das Allgemeine kann ſich überhaupt im Einzelnen nur durch die Mitte des Beſonderen darſtellen. Jede beſtimmte Idee iſt aber nichts Anderes, als eine Form und Stufe der2 abſoluten, es ſind in jeder alle miteingeſchloſſen; daher iſt ebenſo weſentlich die andere Seite feſtzuhalten, daß in jedem Schönen mittelbar nicht nur dieſe oder jene, ſondern die Idee als gegenwärtig erſcheint.
1. Es iſt der Inhalt von §. 13, 1. noch ausdrücklich hervorzu- ſtellen und näher auszuführen. Der erſte Satz des §. nun ſcheint ſich ſo von ſelbſt zu verſtehen, daß er als müßig angefochten werden könnte. Eine ſchöne Frucht kann nicht unmittelbar die Idee der Frucht überhaupt zur Erſcheinung bringen, ſondern zunächſt nur ihre beſondere Art und dadurch mittelbar die Form des Naturlebens, welcher dieſe Art angehört, und ſofort die Fülle des Lebens überhaupt; ein ſchöner Menſch nicht unmittelbar die Menſchheit, ſondern zunächſt eine beſtimmte Volksart, Stammes-Art, Bildungsform, Geſchlecht, Stand u. ſ. w., und nur mittelbar, weil in allen dieſen Formen die Menſchheit ſich entfaltet, die letztere. Zieht man hier ſogleich (was eigentlich ungehörig iſt) die Religion herbei, ſo ſucht dieſe allerdings, ſo ſcheint es, unmittelbar die abſolute Idee im Phantaſiebilde, das ſie der Kunſt übergibt, zu ver- gegenwärtigen. Allein auch die Religion iſt genöthigt, den Inbegriff des Vollkommenen für dieſen Zweck in einen Kreis von Göttern und Mittelweſen oder in eine Mehrzahl von Perſonen in der Gottheit, von
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[[55]/0069]
A.
Die Idee.
§. 15.
Es kann nach §. 13 zunächſt immer nur eine beſtimmte Idee ſeyn, welche
in der ſchönen Erſcheinung zum Ausdrucke kommt; denn das Allgemeine kann
ſich überhaupt im Einzelnen nur durch die Mitte des Beſonderen darſtellen.
Jede beſtimmte Idee iſt aber nichts Anderes, als eine Form und Stufe der
abſoluten, es ſind in jeder alle miteingeſchloſſen; daher iſt ebenſo weſentlich die
andere Seite feſtzuhalten, daß in jedem Schönen mittelbar nicht nur dieſe oder
jene, ſondern die Idee als gegenwärtig erſcheint.
1. Es iſt der Inhalt von §. 13, 1. noch ausdrücklich hervorzu-
ſtellen und näher auszuführen. Der erſte Satz des §. nun ſcheint ſich
ſo von ſelbſt zu verſtehen, daß er als müßig angefochten werden könnte.
Eine ſchöne Frucht kann nicht unmittelbar die Idee der Frucht überhaupt
zur Erſcheinung bringen, ſondern zunächſt nur ihre beſondere Art und
dadurch mittelbar die Form des Naturlebens, welcher dieſe Art angehört,
und ſofort die Fülle des Lebens überhaupt; ein ſchöner Menſch nicht
unmittelbar die Menſchheit, ſondern zunächſt eine beſtimmte Volksart,
Stammes-Art, Bildungsform, Geſchlecht, Stand u. ſ. w., und nur
mittelbar, weil in allen dieſen Formen die Menſchheit ſich entfaltet,
die letztere. Zieht man hier ſogleich (was eigentlich ungehörig iſt) die
Religion herbei, ſo ſucht dieſe allerdings, ſo ſcheint es, unmittelbar die
abſolute Idee im Phantaſiebilde, das ſie der Kunſt übergibt, zu ver-
gegenwärtigen. Allein auch die Religion iſt genöthigt, den Inbegriff
des Vollkommenen für dieſen Zweck in einen Kreis von Göttern und
Mittelweſen oder in eine Mehrzahl von Perſonen in der Gottheit, von
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. [55]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/69>, abgerufen am 03.12.2024.
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