zerplatzt, erinnert man sich, wie es gegen die angestrebte Größe so klein ist, daß es durch die Weglassung der Mittelglieder, welche die Schnellig- keit des Platzens bewirkt, als unendlich klein erscheint. Solang es sich aber aufbläht, meint man Wunder, was werden wolle, und fühlt so die Unlust der Spannung, doch sieht man auch das Zerplatzen zum voraus kommen, man ahnt das Umschlagen, daher der vorausgehende Kitzel.
§. 224.
1
Plötzlich reißt die Spannung entzwei und der Stoß, den die Em- pfindung dadurch erleidet, muß ein augenblickliches neues Schmerzgefühl be- wirken. Allein das Erhabene löst sich nicht in Nichts auf, sondern in ein unendlich Kleines, das sich anmaßte, erhaben zu seyn: dies ist häßlich, und daraus scheint eine neue Unlust zu entstehen, welche widerlicher, während die 2Unlust, die das Erhabene erregte, ästhetischer Art ist. Alsbald jedoch er- greift das Gefühl die angeschaute Wahrheit, daß das Erhabene, nur der An- maßung entkleidet, ein Besonderes und Fremdes seyn zu wollen, sich in das unendlich Kleine selbst hinüberrettet, an dem es scheiterte. Nun erscheint dieses als unendlich berechtigt und der Zuschauer mit ihm in das volle Recht seiner beschränkten und zufälligen Natur als einzelnes Subject eingesetzt; die Unlust des Erhabenen als eine Zumuthung, diesem Rechte zu entsagen, schwindet mit einem Male und macht einer reinen Erleichterung und Erholung Platz, welche aber in das positive Gefühl eines erfüllten Genusses der Gewißheit dieser Be- rechtigung und unendlichen Bedeutung des Endlichen übergeht.
1. Kant (Kr. d. ästh. Urthlskr. §. 53, Anm.) bestimmt das Lachen als einen Affect aus der plötzlichen Verwandlung einer ge- spannten Erwartung in Nichts. Ausdrücklich sagt er, diese dürfe sich nicht in das positive Gegentheil eines erwarteten Gegenstandes -- denn das sey immer Etwas und könne oft betrüben --, sondern müsse sich in Nichts verwandeln. Nach unserer Entwicklung braucht diese An- sicht nicht weiter widerlegt zu werden. Kant fürchtet das Häßliche, was hervorspringt, weil er nicht sieht, daß es in demselben Augenblicke aufhört, Häßliches zu seyn, indem die Idee, des Uebermaßes entkleidet, mit dem sie auftrat, als wahrer innerer Werth in das unendlich Kleine selbst herübertritt. Da nun die reine Auflösung einer Erwartung in Nichts "für den Verstand nicht erfreulich seyn kann", so sucht Kant in der
zerplatzt, erinnert man ſich, wie es gegen die angeſtrebte Größe ſo klein iſt, daß es durch die Weglaſſung der Mittelglieder, welche die Schnellig- keit des Platzens bewirkt, als unendlich klein erſcheint. Solang es ſich aber aufbläht, meint man Wunder, was werden wolle, und fühlt ſo die Unluſt der Spannung, doch ſieht man auch das Zerplatzen zum voraus kommen, man ahnt das Umſchlagen, daher der vorausgehende Kitzel.
§. 224.
1
Plötzlich reißt die Spannung entzwei und der Stoß, den die Em- pfindung dadurch erleidet, muß ein augenblickliches neues Schmerzgefühl be- wirken. Allein das Erhabene löst ſich nicht in Nichts auf, ſondern in ein unendlich Kleines, das ſich anmaßte, erhaben zu ſeyn: dies iſt häßlich, und daraus ſcheint eine neue Unluſt zu entſtehen, welche widerlicher, während die 2Unluſt, die das Erhabene erregte, äſthetiſcher Art iſt. Alsbald jedoch er- greift das Gefühl die angeſchaute Wahrheit, daß das Erhabene, nur der An- maßung entkleidet, ein Beſonderes und Fremdes ſeyn zu wollen, ſich in das unendlich Kleine ſelbſt hinüberrettet, an dem es ſcheiterte. Nun erſcheint dieſes als unendlich berechtigt und der Zuſchauer mit ihm in das volle Recht ſeiner beſchränkten und zufälligen Natur als einzelnes Subject eingeſetzt; die Unluſt des Erhabenen als eine Zumuthung, dieſem Rechte zu entſagen, ſchwindet mit einem Male und macht einer reinen Erleichterung und Erholung Platz, welche aber in das poſitive Gefühl eines erfüllten Genuſſes der Gewißheit dieſer Be- rechtigung und unendlichen Bedeutung des Endlichen übergeht.
1. Kant (Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 53, Anm.) beſtimmt das Lachen als einen Affect aus der plötzlichen Verwandlung einer ge- ſpannten Erwartung in Nichts. Ausdrücklich ſagt er, dieſe dürfe ſich nicht in das poſitive Gegentheil eines erwarteten Gegenſtandes — denn das ſey immer Etwas und könne oft betrüben —, ſondern müſſe ſich in Nichts verwandeln. Nach unſerer Entwicklung braucht dieſe An- ſicht nicht weiter widerlegt zu werden. Kant fürchtet das Häßliche, was hervorſpringt, weil er nicht ſieht, daß es in demſelben Augenblicke aufhört, Häßliches zu ſeyn, indem die Idee, des Uebermaßes entkleidet, mit dem ſie auftrat, als wahrer innerer Werth in das unendlich Kleine ſelbſt herübertritt. Da nun die reine Auflöſung einer Erwartung in Nichts „für den Verſtand nicht erfreulich ſeyn kann“, ſo ſucht Kant in der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0488"n="474"/>
zerplatzt, erinnert man ſich, wie es gegen die angeſtrebte Größe ſo klein<lb/>
iſt, daß es durch die Weglaſſung der Mittelglieder, welche die Schnellig-<lb/>
keit des Platzens bewirkt, als unendlich klein erſcheint. Solang es ſich<lb/>
aber aufbläht, meint man Wunder, was werden wolle, und fühlt ſo<lb/>
die Unluſt der Spannung, doch ſieht man auch das Zerplatzen zum voraus<lb/>
kommen, man ahnt das Umſchlagen, daher der vorausgehende Kitzel.</hi></p></div><lb/><divn="5"><head>§. 224.</head><lb/><noteplace="left"><hirendition="#fr">1</hi></note><p><hirendition="#fr">Plötzlich reißt die Spannung entzwei und der Stoß, den die Em-<lb/>
pfindung dadurch erleidet, muß ein augenblickliches neues Schmerzgefühl be-<lb/>
wirken. Allein das Erhabene löst ſich nicht in Nichts auf, ſondern in ein<lb/>
unendlich Kleines, das ſich anmaßte, erhaben zu ſeyn: dies iſt häßlich, und<lb/>
daraus ſcheint eine neue Unluſt zu entſtehen, welche widerlicher, während die<lb/><noteplace="left">2</note>Unluſt, die das Erhabene erregte, äſthetiſcher Art iſt. Alsbald jedoch er-<lb/>
greift das Gefühl die angeſchaute Wahrheit, daß das Erhabene, nur der An-<lb/>
maßung entkleidet, ein Beſonderes und Fremdes ſeyn zu wollen, ſich in das<lb/>
unendlich Kleine ſelbſt hinüberrettet, an dem es ſcheiterte. Nun erſcheint dieſes<lb/>
als unendlich berechtigt und der Zuſchauer mit ihm in das volle Recht ſeiner<lb/>
beſchränkten und zufälligen Natur als einzelnes Subject eingeſetzt; die Unluſt<lb/>
des Erhabenen als eine Zumuthung, dieſem Rechte zu entſagen, ſchwindet mit<lb/>
einem Male und macht einer reinen Erleichterung und Erholung Platz, welche<lb/>
aber in das poſitive Gefühl eines erfüllten Genuſſes der Gewißheit dieſer Be-<lb/>
rechtigung und unendlichen Bedeutung des Endlichen übergeht.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">1. <hirendition="#g">Kant</hi> (Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 53, Anm.) beſtimmt das Lachen<lb/><hirendition="#g">als einen Affect aus der plötzlichen Verwandlung einer ge-<lb/>ſpannten Erwartung in Nichts</hi>. Ausdrücklich ſagt er, dieſe dürfe<lb/>ſich nicht in das poſitive Gegentheil eines erwarteten Gegenſtandes —<lb/>
denn das ſey immer Etwas und könne oft betrüben —, ſondern müſſe<lb/>ſich in Nichts verwandeln. Nach unſerer Entwicklung braucht dieſe An-<lb/>ſicht nicht weiter widerlegt zu werden. <hirendition="#g">Kant</hi> fürchtet das Häßliche,<lb/>
was hervorſpringt, weil er nicht ſieht, daß es in demſelben Augenblicke<lb/>
aufhört, Häßliches zu ſeyn, indem die Idee, des Uebermaßes entkleidet,<lb/>
mit dem ſie auftrat, als wahrer innerer Werth in das unendlich Kleine<lb/>ſelbſt herübertritt. Da nun die reine Auflöſung einer Erwartung in Nichts<lb/>„für den Verſtand nicht erfreulich ſeyn kann“, ſo ſucht <hirendition="#g">Kant</hi> in der<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[474/0488]
zerplatzt, erinnert man ſich, wie es gegen die angeſtrebte Größe ſo klein
iſt, daß es durch die Weglaſſung der Mittelglieder, welche die Schnellig-
keit des Platzens bewirkt, als unendlich klein erſcheint. Solang es ſich
aber aufbläht, meint man Wunder, was werden wolle, und fühlt ſo
die Unluſt der Spannung, doch ſieht man auch das Zerplatzen zum voraus
kommen, man ahnt das Umſchlagen, daher der vorausgehende Kitzel.
§. 224.
Plötzlich reißt die Spannung entzwei und der Stoß, den die Em-
pfindung dadurch erleidet, muß ein augenblickliches neues Schmerzgefühl be-
wirken. Allein das Erhabene löst ſich nicht in Nichts auf, ſondern in ein
unendlich Kleines, das ſich anmaßte, erhaben zu ſeyn: dies iſt häßlich, und
daraus ſcheint eine neue Unluſt zu entſtehen, welche widerlicher, während die
Unluſt, die das Erhabene erregte, äſthetiſcher Art iſt. Alsbald jedoch er-
greift das Gefühl die angeſchaute Wahrheit, daß das Erhabene, nur der An-
maßung entkleidet, ein Beſonderes und Fremdes ſeyn zu wollen, ſich in das
unendlich Kleine ſelbſt hinüberrettet, an dem es ſcheiterte. Nun erſcheint dieſes
als unendlich berechtigt und der Zuſchauer mit ihm in das volle Recht ſeiner
beſchränkten und zufälligen Natur als einzelnes Subject eingeſetzt; die Unluſt
des Erhabenen als eine Zumuthung, dieſem Rechte zu entſagen, ſchwindet mit
einem Male und macht einer reinen Erleichterung und Erholung Platz, welche
aber in das poſitive Gefühl eines erfüllten Genuſſes der Gewißheit dieſer Be-
rechtigung und unendlichen Bedeutung des Endlichen übergeht.
1. Kant (Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 53, Anm.) beſtimmt das Lachen
als einen Affect aus der plötzlichen Verwandlung einer ge-
ſpannten Erwartung in Nichts. Ausdrücklich ſagt er, dieſe dürfe
ſich nicht in das poſitive Gegentheil eines erwarteten Gegenſtandes —
denn das ſey immer Etwas und könne oft betrüben —, ſondern müſſe
ſich in Nichts verwandeln. Nach unſerer Entwicklung braucht dieſe An-
ſicht nicht weiter widerlegt zu werden. Kant fürchtet das Häßliche,
was hervorſpringt, weil er nicht ſieht, daß es in demſelben Augenblicke
aufhört, Häßliches zu ſeyn, indem die Idee, des Uebermaßes entkleidet,
mit dem ſie auftrat, als wahrer innerer Werth in das unendlich Kleine
ſelbſt herübertritt. Da nun die reine Auflöſung einer Erwartung in Nichts
„für den Verſtand nicht erfreulich ſeyn kann“, ſo ſucht Kant in der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/488>, abgerufen am 30.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.