Zunächst nun ist diese Persönlichkeit zu betrachten, wie sie an sich be-1 stimmt ist. Soll sie den ganzen komischen Prozeß innerhalb ihrer selbst voll- ziehen, so muß sie das erste Glied desselben, das Erhabene, als ihren eigenen Gehalt in sich tragen. Im Witze ist die allgemeine Bestimmung des Komischen (§. 184), daß die Subjectivität das Erhabene, das sie als eine ihr fremde Macht vernichtet, in sich selbst aufbewahre, in's Unsichere gerathen, während ihre Erfüllung im objectiv Komischen durch dessen zwar noch unmittelbare und des tieferen Kampfes entbehrende Gemüthlichkeit gesichert ist; denn da das witzige Subject sich selbst ausnimmt, so fragt es nicht nach seiner Ermächtigung zum Komischen, und es kann den komischen Act ebensogut in liebloser als in wohlmeinender Gesinnung vollziehen (§. 203). Das humoristische Subject aber2 kann das ganze Komische nur dann seyn, wenn auch das erste Glied in ihm als Wirklichkeit gegenwärtig ist, also nicht nur als Wissen, sondern ebenfalls in der Bestimmtheit des Seyns, als Gefühlsleben, als Macht des Gemüths in dem erfüllteren Sinne sittlicher Begeisterung.
1. Das objectiv Komische lebt und läßt leben; es ist gutmüthig. Spielt es mit der blosen Kraft, so entsteht die Frage nach sittlichem Werthe gar nicht. Spielt es mit dem Guten, so ist es schon als Spiel eines glücklichen und gesunden Volkes sicher, in der sittlichen Substanz zu verbleiben. Diese ist im Witze gesprengt. Was über dessen formelle Subjectivität, in welcher die sittliche Gesinnung zufällig wird, im §. gesagt ist, bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung. Näher tritt die Forderung sittlicher Würdigkeit wieder in der Ironie; denn ich darf mich nicht als Folie dem Verirrten unterlegen, wenn ich mich nicht als wahren, sittlichen Geist weiß. Allein auch die Ironie wartet dennoch nicht ab, bis ihr Beruf in diesem Sinne entschieden ist. Bürgschaft gibt nur ein Charakter, der schon mehr als ironisch ist (§. 203).
2 Gibt es nicht humoristische Charaktere, wie Falstaff, in welchen das Gute nichts weniger als eine Macht im Gemüthe ist? Darauf wird die Antwort folgen, wenn in der Darstellung der verschiedenen Stufen des Humors die Beschränkungen und Wendungen, welche diese Sätze er- leiden, zur Sprache kommen werden. In Hamlet aber, der freilich, aber aus anderem Grunde, auch nicht der reinsten Stufe des Humors angehört, lebt glühender Eifer sittlicher Gesinnung.
§. 207.
Zunächſt nun iſt dieſe Perſönlichkeit zu betrachten, wie ſie an ſich be-1 ſtimmt iſt. Soll ſie den ganzen komiſchen Prozeß innerhalb ihrer ſelbſt voll- ziehen, ſo muß ſie das erſte Glied deſſelben, das Erhabene, als ihren eigenen Gehalt in ſich tragen. Im Witze iſt die allgemeine Beſtimmung des Komiſchen (§. 184), daß die Subjectivität das Erhabene, das ſie als eine ihr fremde Macht vernichtet, in ſich ſelbſt aufbewahre, in’s Unſichere gerathen, während ihre Erfüllung im objectiv Komiſchen durch deſſen zwar noch unmittelbare und des tieferen Kampfes entbehrende Gemüthlichkeit geſichert iſt; denn da das witzige Subject ſich ſelbſt ausnimmt, ſo fragt es nicht nach ſeiner Ermächtigung zum Komiſchen, und es kann den komiſchen Act ebenſogut in liebloſer als in wohlmeinender Geſinnung vollziehen (§. 203). Das humoriſtiſche Subject aber2 kann das ganze Komiſche nur dann ſeyn, wenn auch das erſte Glied in ihm als Wirklichkeit gegenwärtig iſt, alſo nicht nur als Wiſſen, ſondern ebenfalls in der Beſtimmtheit des Seyns, als Gefühlsleben, als Macht des Gemüths in dem erfüllteren Sinne ſittlicher Begeiſterung.
1. Das objectiv Komiſche lebt und läßt leben; es iſt gutmüthig. Spielt es mit der bloſen Kraft, ſo entſteht die Frage nach ſittlichem Werthe gar nicht. Spielt es mit dem Guten, ſo iſt es ſchon als Spiel eines glücklichen und geſunden Volkes ſicher, in der ſittlichen Subſtanz zu verbleiben. Dieſe iſt im Witze geſprengt. Was über deſſen formelle Subjectivität, in welcher die ſittliche Geſinnung zufällig wird, im §. geſagt iſt, bedarf keiner weiteren Auseinanderſetzung. Näher tritt die Forderung ſittlicher Würdigkeit wieder in der Ironie; denn ich darf mich nicht als Folie dem Verirrten unterlegen, wenn ich mich nicht als wahren, ſittlichen Geiſt weiß. Allein auch die Ironie wartet dennoch nicht ab, bis ihr Beruf in dieſem Sinne entſchieden iſt. Bürgſchaft gibt nur ein Charakter, der ſchon mehr als ironiſch iſt (§. 203).
2 Gibt es nicht humoriſtiſche Charaktere, wie Falſtaff, in welchen das Gute nichts weniger als eine Macht im Gemüthe iſt? Darauf wird die Antwort folgen, wenn in der Darſtellung der verſchiedenen Stufen des Humors die Beſchränkungen und Wendungen, welche dieſe Sätze er- leiden, zur Sprache kommen werden. In Hamlet aber, der freilich, aber aus anderem Grunde, auch nicht der reinſten Stufe des Humors angehört, lebt glühender Eifer ſittlicher Geſinnung.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0461"n="447"/><divn="5"><head>§. 207.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Zunächſt nun iſt dieſe Perſönlichkeit zu betrachten, wie ſie an ſich be-<noteplace="right">1</note><lb/>ſtimmt iſt. Soll ſie den ganzen komiſchen Prozeß innerhalb ihrer ſelbſt voll-<lb/>
ziehen, ſo muß ſie das erſte Glied deſſelben, das Erhabene, als ihren eigenen<lb/>
Gehalt in ſich tragen. Im Witze iſt die allgemeine Beſtimmung des Komiſchen<lb/>
(§. 184), daß die Subjectivität das Erhabene, das ſie als eine ihr fremde<lb/>
Macht vernichtet, in ſich ſelbſt aufbewahre, in’s Unſichere gerathen, während<lb/>
ihre Erfüllung im objectiv Komiſchen durch deſſen zwar noch unmittelbare und<lb/>
des tieferen Kampfes entbehrende Gemüthlichkeit geſichert iſt; denn da das<lb/>
witzige Subject ſich ſelbſt ausnimmt, ſo fragt es nicht nach ſeiner Ermächtigung<lb/>
zum Komiſchen, und es kann den komiſchen Act ebenſogut in liebloſer als in<lb/>
wohlmeinender Geſinnung vollziehen (§. 203). Das humoriſtiſche Subject aber<noteplace="right">2</note><lb/>
kann das ganze Komiſche nur dann ſeyn, wenn auch das erſte Glied in ihm<lb/>
als Wirklichkeit gegenwärtig iſt, alſo nicht nur als Wiſſen, ſondern ebenfalls<lb/>
in der Beſtimmtheit des Seyns, als Gefühlsleben, als Macht des Gemüths<lb/>
in dem erfüllteren Sinne ſittlicher Begeiſterung.</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">1. Das objectiv Komiſche lebt und läßt leben; es iſt gutmüthig.<lb/>
Spielt es mit der bloſen Kraft, ſo entſteht die Frage nach ſittlichem<lb/>
Werthe gar nicht. Spielt es mit dem Guten, ſo iſt es ſchon als Spiel<lb/>
eines glücklichen und geſunden Volkes ſicher, in der ſittlichen Subſtanz zu<lb/>
verbleiben. Dieſe iſt im Witze geſprengt. Was über deſſen formelle<lb/>
Subjectivität, in welcher die ſittliche Geſinnung zufällig wird, im §.<lb/>
geſagt iſt, bedarf keiner weiteren Auseinanderſetzung. Näher tritt die<lb/>
Forderung ſittlicher Würdigkeit wieder in der Ironie; denn ich darf mich<lb/>
nicht als Folie dem Verirrten unterlegen, wenn ich mich nicht als wahren,<lb/>ſittlichen Geiſt weiß. Allein auch die Ironie wartet dennoch nicht ab,<lb/>
bis ihr Beruf in dieſem Sinne entſchieden iſt. Bürgſchaft gibt nur ein<lb/>
Charakter, der ſchon mehr als ironiſch iſt (§. 203).</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">2 Gibt es nicht humoriſtiſche Charaktere, wie Falſtaff, in welchen<lb/>
das Gute nichts weniger als eine Macht im Gemüthe iſt? Darauf wird<lb/>
die Antwort folgen, wenn in der Darſtellung der verſchiedenen Stufen<lb/>
des Humors die Beſchränkungen und Wendungen, welche dieſe Sätze er-<lb/>
leiden, zur Sprache kommen werden. In Hamlet aber, der freilich,<lb/>
aber aus anderem Grunde, auch nicht der reinſten Stufe des Humors<lb/>
angehört, lebt glühender Eifer ſittlicher Geſinnung.</hi></p></div><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[447/0461]
§. 207.
Zunächſt nun iſt dieſe Perſönlichkeit zu betrachten, wie ſie an ſich be-
ſtimmt iſt. Soll ſie den ganzen komiſchen Prozeß innerhalb ihrer ſelbſt voll-
ziehen, ſo muß ſie das erſte Glied deſſelben, das Erhabene, als ihren eigenen
Gehalt in ſich tragen. Im Witze iſt die allgemeine Beſtimmung des Komiſchen
(§. 184), daß die Subjectivität das Erhabene, das ſie als eine ihr fremde
Macht vernichtet, in ſich ſelbſt aufbewahre, in’s Unſichere gerathen, während
ihre Erfüllung im objectiv Komiſchen durch deſſen zwar noch unmittelbare und
des tieferen Kampfes entbehrende Gemüthlichkeit geſichert iſt; denn da das
witzige Subject ſich ſelbſt ausnimmt, ſo fragt es nicht nach ſeiner Ermächtigung
zum Komiſchen, und es kann den komiſchen Act ebenſogut in liebloſer als in
wohlmeinender Geſinnung vollziehen (§. 203). Das humoriſtiſche Subject aber
kann das ganze Komiſche nur dann ſeyn, wenn auch das erſte Glied in ihm
als Wirklichkeit gegenwärtig iſt, alſo nicht nur als Wiſſen, ſondern ebenfalls
in der Beſtimmtheit des Seyns, als Gefühlsleben, als Macht des Gemüths
in dem erfüllteren Sinne ſittlicher Begeiſterung.
1. Das objectiv Komiſche lebt und läßt leben; es iſt gutmüthig.
Spielt es mit der bloſen Kraft, ſo entſteht die Frage nach ſittlichem
Werthe gar nicht. Spielt es mit dem Guten, ſo iſt es ſchon als Spiel
eines glücklichen und geſunden Volkes ſicher, in der ſittlichen Subſtanz zu
verbleiben. Dieſe iſt im Witze geſprengt. Was über deſſen formelle
Subjectivität, in welcher die ſittliche Geſinnung zufällig wird, im §.
geſagt iſt, bedarf keiner weiteren Auseinanderſetzung. Näher tritt die
Forderung ſittlicher Würdigkeit wieder in der Ironie; denn ich darf mich
nicht als Folie dem Verirrten unterlegen, wenn ich mich nicht als wahren,
ſittlichen Geiſt weiß. Allein auch die Ironie wartet dennoch nicht ab,
bis ihr Beruf in dieſem Sinne entſchieden iſt. Bürgſchaft gibt nur ein
Charakter, der ſchon mehr als ironiſch iſt (§. 203).
2 Gibt es nicht humoriſtiſche Charaktere, wie Falſtaff, in welchen
das Gute nichts weniger als eine Macht im Gemüthe iſt? Darauf wird
die Antwort folgen, wenn in der Darſtellung der verſchiedenen Stufen
des Humors die Beſchränkungen und Wendungen, welche dieſe Sätze er-
leiden, zur Sprache kommen werden. In Hamlet aber, der freilich,
aber aus anderem Grunde, auch nicht der reinſten Stufe des Humors
angehört, lebt glühender Eifer ſittlicher Geſinnung.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/461>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.