Uebrigens ist in der zweiten Art des Wortspiels vorzüglich die Zweideutigkeit heimisch, welche mit dem Geschlechts-Verhältnisse spielt, oder die Zote. Die Natur des Witzes bringt es mit sich, daß im Abstracten schwer ist, ihre Grenze zu bestimmen. Nicht ihre Feinheit oder Grobheit bildet einen Unterschied für das Urtheil, denn die Opposition gegen gewaltsame Naturwidrigkeit kann im edelsten Gemüthe sich zu einem Zorn entzünden, der sich in der gröbsten Hervorhebung des Naturtriebs äußert; schon bei der Posse wurde in dieser Hinsicht Fischart und Luther angeführt. Es kommt auf die Freiheit oder Unfreiheit des Gemüths an. Wie alle Komik von dem Gemeinen, indem sie es aufdeckt, aber zugleich das Licht des Geistes in dasselbe fortleitet, vielmehr befreit, so auch die witzige Zote von dem Drucke, welchen das Bewußtseyn der Schwierigkeit, die geistige und sinnliche Liebe in reinen und schönen Einklang aufzuheben, auf das Gemüth wälzt. Aber das Gemüth, das vielmehr von der Be- gierde selbst beherrscht ist, treibt diesen Witz so, daß das Gewicht ganz auf die sinnliche Seite fällt und die häßliche Eindeutigkeit der im Ein- zelsten des sinnlichen Genusses wühlenden Phantasie sich zu Tage legt. Gerade die allzu eindeutige Zweideutigkeit ist häßlich. Doch auch diese Lüsternheit, welche vorzüglich bei alten Junggesellen zu finden ist, muß noch wohl von der Frivolität unterschieden werden, welche sich den armen Genuß gibt, hinter den edelsten Bestrebungen den Geschlechtstrieb nicht etwa als fein mitspielendes, leicht angedeutetes, ganz untergeordnetes Nebenmotiv, sondern als einziges Motiv anzudeuten: dies ist im Grunde nicht komisch, aber Witz kann es, bei der zweifelhaften Natur dieser ganzen Form der Komik, immer noch seyn.
§. 198.
Indem nun aber die Bedeutung das Wesentliche geworden ist, so läßt1 der Witz auch den letzten sinnlichen Zusammenhang, der sich aus der Sprache als ein Unmittelbares aufdringt, fallen und verbreitet sich als Spiel der reinen Reflexion über das ganze Reich der zum Gedanken erhobenen Dinge mit der unendlichen Möglichkeit ihrer Verhältnisse, wie sie sich ihren folgerechten Aus- druck in den Gesetzen des Sprachbaus gibt, hebt diese Gesetze, indem er ein widersprechendes Glied in den Zusammenhang wirft, auf und behauptet sie zu- gleich dennoch fort. Ebenso behandelt er das Zahlenverhältniß. Da nun in dieser Sphäre das letzte sinnliche Band, bei welchem die blose Vorstellung ver-2 weilen und sich mit dem schweifenden Spiele des freien Witzes (§. 194. 195)
Uebrigens iſt in der zweiten Art des Wortſpiels vorzüglich die Zweideutigkeit heimiſch, welche mit dem Geſchlechts-Verhältniſſe ſpielt, oder die Zote. Die Natur des Witzes bringt es mit ſich, daß im Abſtracten ſchwer iſt, ihre Grenze zu beſtimmen. Nicht ihre Feinheit oder Grobheit bildet einen Unterſchied für das Urtheil, denn die Oppoſition gegen gewaltſame Naturwidrigkeit kann im edelſten Gemüthe ſich zu einem Zorn entzünden, der ſich in der gröbſten Hervorhebung des Naturtriebs äußert; ſchon bei der Poſſe wurde in dieſer Hinſicht Fiſchart und Luther angeführt. Es kommt auf die Freiheit oder Unfreiheit des Gemüths an. Wie alle Komik von dem Gemeinen, indem ſie es aufdeckt, aber zugleich das Licht des Geiſtes in dasſelbe fortleitet, vielmehr befreit, ſo auch die witzige Zote von dem Drucke, welchen das Bewußtſeyn der Schwierigkeit, die geiſtige und ſinnliche Liebe in reinen und ſchönen Einklang aufzuheben, auf das Gemüth wälzt. Aber das Gemüth, das vielmehr von der Be- gierde ſelbſt beherrſcht iſt, treibt dieſen Witz ſo, daß das Gewicht ganz auf die ſinnliche Seite fällt und die häßliche Eindeutigkeit der im Ein- zelſten des ſinnlichen Genuſſes wühlenden Phantaſie ſich zu Tage legt. Gerade die allzu eindeutige Zweideutigkeit iſt häßlich. Doch auch dieſe Lüſternheit, welche vorzüglich bei alten Junggeſellen zu finden iſt, muß noch wohl von der Frivolität unterſchieden werden, welche ſich den armen Genuß gibt, hinter den edelſten Beſtrebungen den Geſchlechtstrieb nicht etwa als fein mitſpielendes, leicht angedeutetes, ganz untergeordnetes Nebenmotiv, ſondern als einziges Motiv anzudeuten: dies iſt im Grunde nicht komiſch, aber Witz kann es, bei der zweifelhaften Natur dieſer ganzen Form der Komik, immer noch ſeyn.
§. 198.
Indem nun aber die Bedeutung das Weſentliche geworden iſt, ſo läßt1 der Witz auch den letzten ſinnlichen Zuſammenhang, der ſich aus der Sprache als ein Unmittelbares aufdringt, fallen und verbreitet ſich als Spiel der reinen Reflexion über das ganze Reich der zum Gedanken erhobenen Dinge mit der unendlichen Möglichkeit ihrer Verhältniſſe, wie ſie ſich ihren folgerechten Aus- druck in den Geſetzen des Sprachbaus gibt, hebt dieſe Geſetze, indem er ein widerſprechendes Glied in den Zuſammenhang wirft, auf und behauptet ſie zu- gleich dennoch fort. Ebenſo behandelt er das Zahlenverhältniß. Da nun in dieſer Sphäre das letzte ſinnliche Band, bei welchem die bloſe Vorſtellung ver-2 weilen und ſich mit dem ſchweifenden Spiele des freien Witzes (§. 194. 195)
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><pbfacs="#f0445"n="431"/><p><hirendition="#et">Uebrigens iſt in der zweiten Art des Wortſpiels vorzüglich die<lb/>
Zweideutigkeit heimiſch, welche mit dem Geſchlechts-Verhältniſſe ſpielt,<lb/>
oder die <hirendition="#g">Zote</hi>. Die Natur des Witzes bringt es mit ſich, daß im<lb/>
Abſtracten ſchwer iſt, ihre Grenze zu beſtimmen. Nicht ihre Feinheit<lb/>
oder Grobheit bildet einen Unterſchied für das Urtheil, denn die Oppoſition<lb/>
gegen gewaltſame Naturwidrigkeit kann im edelſten Gemüthe ſich zu einem<lb/>
Zorn entzünden, der ſich in der gröbſten Hervorhebung des Naturtriebs<lb/>
äußert; ſchon bei der Poſſe wurde in dieſer Hinſicht <hirendition="#g">Fiſchart</hi> und <hirendition="#g">Luther</hi><lb/>
angeführt. Es kommt auf die Freiheit oder Unfreiheit des Gemüths an.<lb/>
Wie alle Komik von dem Gemeinen, indem ſie es aufdeckt, aber zugleich<lb/>
das Licht des Geiſtes in dasſelbe fortleitet, vielmehr befreit, ſo auch die<lb/>
witzige Zote von dem Drucke, welchen das Bewußtſeyn der Schwierigkeit,<lb/>
die geiſtige und ſinnliche Liebe in reinen und ſchönen Einklang aufzuheben,<lb/>
auf das Gemüth wälzt. Aber das Gemüth, das vielmehr von der Be-<lb/>
gierde ſelbſt beherrſcht iſt, treibt dieſen Witz ſo, daß das Gewicht ganz<lb/>
auf die ſinnliche Seite fällt und die häßliche Eindeutigkeit der im Ein-<lb/>
zelſten des ſinnlichen Genuſſes wühlenden Phantaſie ſich zu Tage legt.<lb/>
Gerade die allzu eindeutige Zweideutigkeit iſt häßlich. Doch auch dieſe<lb/>
Lüſternheit, welche vorzüglich bei alten Junggeſellen zu finden iſt, muß<lb/>
noch wohl von der Frivolität unterſchieden werden, welche ſich den armen<lb/>
Genuß gibt, hinter den edelſten Beſtrebungen den Geſchlechtstrieb nicht<lb/>
etwa als fein mitſpielendes, leicht angedeutetes, ganz untergeordnetes<lb/>
Nebenmotiv, ſondern als einziges Motiv anzudeuten: dies iſt im Grunde<lb/>
nicht komiſch, aber Witz kann es, bei der zweifelhaften Natur dieſer<lb/>
ganzen Form der Komik, immer noch ſeyn.</hi></p></div><lb/><divn="6"><head>§. 198.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Indem nun aber die Bedeutung das Weſentliche geworden iſt, ſo läßt<noteplace="right">1</note><lb/>
der Witz auch den letzten ſinnlichen Zuſammenhang, der ſich aus der Sprache<lb/>
als ein Unmittelbares aufdringt, fallen und verbreitet ſich als Spiel der reinen<lb/>
Reflexion über das ganze Reich der zum Gedanken erhobenen Dinge mit der<lb/>
unendlichen Möglichkeit ihrer Verhältniſſe, wie ſie ſich ihren folgerechten Aus-<lb/>
druck in den Geſetzen des Sprachbaus gibt, hebt dieſe Geſetze, indem er ein<lb/>
widerſprechendes Glied in den Zuſammenhang wirft, auf und behauptet ſie zu-<lb/>
gleich dennoch fort. Ebenſo behandelt er das Zahlenverhältniß. Da nun in<lb/>
dieſer Sphäre das letzte ſinnliche Band, bei welchem die bloſe Vorſtellung ver-<noteplace="right">2</note><lb/>
weilen und ſich mit dem ſchweifenden Spiele des freien Witzes (§. 194. 195)<lb/></hi></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[431/0445]
Uebrigens iſt in der zweiten Art des Wortſpiels vorzüglich die
Zweideutigkeit heimiſch, welche mit dem Geſchlechts-Verhältniſſe ſpielt,
oder die Zote. Die Natur des Witzes bringt es mit ſich, daß im
Abſtracten ſchwer iſt, ihre Grenze zu beſtimmen. Nicht ihre Feinheit
oder Grobheit bildet einen Unterſchied für das Urtheil, denn die Oppoſition
gegen gewaltſame Naturwidrigkeit kann im edelſten Gemüthe ſich zu einem
Zorn entzünden, der ſich in der gröbſten Hervorhebung des Naturtriebs
äußert; ſchon bei der Poſſe wurde in dieſer Hinſicht Fiſchart und Luther
angeführt. Es kommt auf die Freiheit oder Unfreiheit des Gemüths an.
Wie alle Komik von dem Gemeinen, indem ſie es aufdeckt, aber zugleich
das Licht des Geiſtes in dasſelbe fortleitet, vielmehr befreit, ſo auch die
witzige Zote von dem Drucke, welchen das Bewußtſeyn der Schwierigkeit,
die geiſtige und ſinnliche Liebe in reinen und ſchönen Einklang aufzuheben,
auf das Gemüth wälzt. Aber das Gemüth, das vielmehr von der Be-
gierde ſelbſt beherrſcht iſt, treibt dieſen Witz ſo, daß das Gewicht ganz
auf die ſinnliche Seite fällt und die häßliche Eindeutigkeit der im Ein-
zelſten des ſinnlichen Genuſſes wühlenden Phantaſie ſich zu Tage legt.
Gerade die allzu eindeutige Zweideutigkeit iſt häßlich. Doch auch dieſe
Lüſternheit, welche vorzüglich bei alten Junggeſellen zu finden iſt, muß
noch wohl von der Frivolität unterſchieden werden, welche ſich den armen
Genuß gibt, hinter den edelſten Beſtrebungen den Geſchlechtstrieb nicht
etwa als fein mitſpielendes, leicht angedeutetes, ganz untergeordnetes
Nebenmotiv, ſondern als einziges Motiv anzudeuten: dies iſt im Grunde
nicht komiſch, aber Witz kann es, bei der zweifelhaften Natur dieſer
ganzen Form der Komik, immer noch ſeyn.
§. 198.
Indem nun aber die Bedeutung das Weſentliche geworden iſt, ſo läßt
der Witz auch den letzten ſinnlichen Zuſammenhang, der ſich aus der Sprache
als ein Unmittelbares aufdringt, fallen und verbreitet ſich als Spiel der reinen
Reflexion über das ganze Reich der zum Gedanken erhobenen Dinge mit der
unendlichen Möglichkeit ihrer Verhältniſſe, wie ſie ſich ihren folgerechten Aus-
druck in den Geſetzen des Sprachbaus gibt, hebt dieſe Geſetze, indem er ein
widerſprechendes Glied in den Zuſammenhang wirft, auf und behauptet ſie zu-
gleich dennoch fort. Ebenſo behandelt er das Zahlenverhältniß. Da nun in
dieſer Sphäre das letzte ſinnliche Band, bei welchem die bloſe Vorſtellung ver-
weilen und ſich mit dem ſchweifenden Spiele des freien Witzes (§. 194. 195)
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/445>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.