mene Bedingung kehrt hier mit verstärkter Wichtigkeit zurück, denn sie soll sich gegen den Einwurf behaupten, daß sie durch die Zulassung selbst des Lasters (§. 162) und des Bösen (§. 163) als komischen Stoffes wieder aufgehoben sey. Die Künste der Selbstbeschönigung sind die schwache Stelle der Selbstzufriedenheit, woran der zu jener Unterschie- bung bereite Zuschauer selbst das in seiner Verirrung scheinbar ganz feste Subject erfaßt. Das reinste Muster ist Falstaff. Es ist ihm mit seinem Prahlen, Lügen, Betrügen ganz Ernst und er weiß, selbst auf der That ertappt, die anmuthigsten Vorwände aufzubringen; allein die Beschönigung und Ausflucht verräth die Selbstkenntniß und wenn stumpfere Naturen sich mit ihren Ausflüchten ganz vertrösten, so lacht dagegen ein Falstaff, indem er sie vorbringt, doch zum Voraus schon mit denjenigen, die über sie lachen, er ist nicht so zähe, sie ihnen als bittere Wahrheit aufbinden zu wollen, und in unbelauschten Augenblicken läßt sich sein Gewissen auf das Naivste vernehmen. Freilich ist dies ein Beispiel, das die Erklärung allzusehr zu erleichtern scheint, da Falstaff subjectiv komisch ist und so dem Zuschauer das Leihen geradezu abnimmt: eine Erscheinung, von der in ihrem Unterschiede von der blos objectiv komischen Persönlichkeit bis jetzt nicht die Rede war, sondern erst weiter- hin werden muß. Allein auch bei komischen Personen, die nicht zugleich "sowohl selbst witzig als auch Ursache sind, daß Andere witzig werden," muß durchaus derselbe Anknüpfungspunkt für das Leihen aufzuweisen seyn, selbst bei Don Quixote, dem oft eine Ahnung seiner Verrücktheit aufgeht.
§. 178.
Dagegen scheint das Leihen unmöglich zu werden, wenn die Störung von außen kommt und zwar so, daß das komische Subject gar nicht darum wissen konnte. Diese Störung ist doppelter Art: sie kommt entweder von einem Be- 1wußten oder von einem Unbewußten. Im letzteren Falle folgt der Zuschauer zuerst dem in ihm selbst wirkenden Bestreben des Selbstbewußtseyns, sich über das Weltganze zu erweitern, und leiht, hingerissen von dem Scheine einer plan- mäßigen Störung, dem bewußtlosen Gegenstande des Strauchelns ein Vorherwissen 2und eine Beabsichtigung dieses Anstoßes. Es eröffnet sich hiedurch ein Einblick wie in eine neckende zweite Macht, welche die Welt des bekannten Bewußt- seyns und Wollens durchkreuzend überall mithandelt und an die Grenze heilsam erinnert, und dieses Bild entsteht im Grunde auch bei der Störung von innen (§. 177): das Unbewußte im Subject erscheint wie ein zweiter Geist in ihm.
mene Bedingung kehrt hier mit verſtärkter Wichtigkeit zurück, denn ſie ſoll ſich gegen den Einwurf behaupten, daß ſie durch die Zulaſſung ſelbſt des Laſters (§. 162) und des Böſen (§. 163) als komiſchen Stoffes wieder aufgehoben ſey. Die Künſte der Selbſtbeſchönigung ſind die ſchwache Stelle der Selbſtzufriedenheit, woran der zu jener Unterſchie- bung bereite Zuſchauer ſelbſt das in ſeiner Verirrung ſcheinbar ganz feſte Subject erfaßt. Das reinſte Muſter iſt Falſtaff. Es iſt ihm mit ſeinem Prahlen, Lügen, Betrügen ganz Ernſt und er weiß, ſelbſt auf der That ertappt, die anmuthigſten Vorwände aufzubringen; allein die Beſchönigung und Ausflucht verräth die Selbſtkenntniß und wenn ſtumpfere Naturen ſich mit ihren Ausflüchten ganz vertröſten, ſo lacht dagegen ein Falſtaff, indem er ſie vorbringt, doch zum Voraus ſchon mit denjenigen, die über ſie lachen, er iſt nicht ſo zähe, ſie ihnen als bittere Wahrheit aufbinden zu wollen, und in unbelauſchten Augenblicken läßt ſich ſein Gewiſſen auf das Naivſte vernehmen. Freilich iſt dies ein Beiſpiel, das die Erklärung allzuſehr zu erleichtern ſcheint, da Falſtaff ſubjectiv komiſch iſt und ſo dem Zuſchauer das Leihen geradezu abnimmt: eine Erſcheinung, von der in ihrem Unterſchiede von der blos objectiv komiſchen Perſönlichkeit bis jetzt nicht die Rede war, ſondern erſt weiter- hin werden muß. Allein auch bei komiſchen Perſonen, die nicht zugleich „ſowohl ſelbſt witzig als auch Urſache ſind, daß Andere witzig werden,“ muß durchaus derſelbe Anknüpfungspunkt für das Leihen aufzuweiſen ſeyn, ſelbſt bei Don Quixote, dem oft eine Ahnung ſeiner Verrücktheit aufgeht.
§. 178.
Dagegen ſcheint das Leihen unmöglich zu werden, wenn die Störung von außen kommt und zwar ſo, daß das komiſche Subject gar nicht darum wiſſen konnte. Dieſe Störung iſt doppelter Art: ſie kommt entweder von einem Be- 1wußten oder von einem Unbewußten. Im letzteren Falle folgt der Zuſchauer zuerſt dem in ihm ſelbſt wirkenden Beſtreben des Selbſtbewußtſeyns, ſich über das Weltganze zu erweitern, und leiht, hingeriſſen von dem Scheine einer plan- mäßigen Störung, dem bewußtloſen Gegenſtande des Strauchelns ein Vorherwiſſen 2und eine Beabſichtigung dieſes Anſtoßes. Es eröffnet ſich hiedurch ein Einblick wie in eine neckende zweite Macht, welche die Welt des bekannten Bewußt- ſeyns und Wollens durchkreuzend überall mithandelt und an die Grenze heilſam erinnert, und dieſes Bild entſteht im Grunde auch bei der Störung von innen (§. 177): das Unbewußte im Subject erſcheint wie ein zweiter Geiſt in ihm.
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des Laſters (§. 162) und des Böſen (§. 163) als komiſchen Stoffes
wieder aufgehoben ſey. Die Künſte der Selbſtbeſchönigung ſind die
ſchwache Stelle der Selbſtzufriedenheit, woran der zu jener Unterſchie-
bung bereite Zuſchauer ſelbſt das in ſeiner Verirrung ſcheinbar ganz
feſte Subject erfaßt. Das reinſte Muſter iſt Falſtaff. Es iſt ihm mit
ſeinem Prahlen, Lügen, Betrügen ganz Ernſt und er weiß, ſelbſt auf
der That ertappt, die anmuthigſten Vorwände aufzubringen; allein die
Beſchönigung und Ausflucht verräth die Selbſtkenntniß und wenn
ſtumpfere Naturen ſich mit ihren Ausflüchten ganz vertröſten, ſo lacht
dagegen ein Falſtaff, indem er ſie vorbringt, doch zum Voraus ſchon mit
denjenigen, die über ſie lachen, er iſt nicht ſo zähe, ſie ihnen als bittere
Wahrheit aufbinden zu wollen, und in unbelauſchten Augenblicken läßt
ſich ſein Gewiſſen auf das Naivſte vernehmen. Freilich iſt dies ein
Beiſpiel, das die Erklärung allzuſehr zu erleichtern ſcheint, da Falſtaff
ſubjectiv komiſch iſt und ſo dem Zuſchauer das Leihen geradezu abnimmt:
eine Erſcheinung, von der in ihrem Unterſchiede von der blos objectiv
komiſchen Perſönlichkeit bis jetzt nicht die Rede war, ſondern erſt weiter-
hin werden muß. Allein auch bei komiſchen Perſonen, die nicht zugleich
„ſowohl ſelbſt witzig als auch Urſache ſind, daß Andere witzig werden,“
muß durchaus derſelbe Anknüpfungspunkt für das Leihen aufzuweiſen
ſeyn, ſelbſt bei Don Quixote, dem oft eine Ahnung ſeiner Verrücktheit
aufgeht.
§. 178.
Dagegen ſcheint das Leihen unmöglich zu werden, wenn die Störung von
außen kommt und zwar ſo, daß das komiſche Subject gar nicht darum wiſſen
konnte. Dieſe Störung iſt doppelter Art: ſie kommt entweder von einem Be-
wußten oder von einem Unbewußten. Im letzteren Falle folgt der Zuſchauer
zuerſt dem in ihm ſelbſt wirkenden Beſtreben des Selbſtbewußtſeyns, ſich über
das Weltganze zu erweitern, und leiht, hingeriſſen von dem Scheine einer plan-
mäßigen Störung, dem bewußtloſen Gegenſtande des Strauchelns ein Vorherwiſſen
und eine Beabſichtigung dieſes Anſtoßes. Es eröffnet ſich hiedurch ein Einblick
wie in eine neckende zweite Macht, welche die Welt des bekannten Bewußt-
ſeyns und Wollens durchkreuzend überall mithandelt und an die Grenze heilſam
erinnert, und dieſes Bild entſteht im Grunde auch bei der Störung von innen
(§. 177): das Unbewußte im Subject erſcheint wie ein zweiter Geiſt in ihm.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/402>, abgerufen am 03.12.2024.
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