vorher ein Widerspruch da, so ist auch jetzt noch einer da, mit denselben Momenten, nur in umgekehrter Stellung. In der Narrheit ist noch die Weisheit, aber ihrer vorigen Ansprüche auf die Autorität einer absoluten, entsagenden Kraft entkleidet, und spielt, zur Bescheidenheit des mittleren Lebens herabgestimmt, jetzt in der Thorheit mit fort. Diese zweite Seite fehlt der Frivolität und dadurch beweist sich, was §. 165, Anm. 2 von ihr gesagt wurde. Ihr geht das Erhabene ganz zu Grunde in seinem Widerspiel; sie will dem Geiste nicht zu fühlen geben, daß er den An- spruch einer abstracten Unendlichkeit aufzugeben hat, sondern sie will es ihm anhängen, daß er die Krankheit des Leibes, daß er nichts sey. Ihre Lebensansicht ist einfach, der komische Standpunkt doppelt in sich, eine Einheit, die durch einen Bruch geht. Er verlacht, was er achtet, und er achtet, was er verlacht. Wieland entgeht dem Vorwurfe der Frivolität dadurch nicht völlig, daß er dem durch lüsterne Reize zierlich zu Fall gebrachten Tugendstolze nach seinem Falle einen Lebensgenuß mit geschmackvollem Maße predigt, denn das Maß ist ein rein forma- ler Begriff, der gegen die in Bewegung gesetzten Hebel der Lüsternheit keine Kraft mehr hat. Der mittlere Zustand, der das End-Ergebniß der ächten Komik ist, wird sich als etwas ungleich Tieferes und Geist- volleres erweisen, wenn wir erst den ganzen Prozeß entwickelt haben werden.
2. Die sich selbst aufhebende Bewegung, als welche sich nun das Komische darstellt, gleicht dem Vorwärtsgehen in einem Tretrade oder auf einem Schiff gegen den Gang des Schiffes. Treffliche Beispiele für diese innerste Natur des Komischen sind: das Verhör im zerbrochenen Kruge von H. v. Kleist, ein englisches Schiff, das nach Indien eine Ladung von Gözenbildern aus indischen Fabriken und zugleich zwei Missionäre brachte, u. s. w.
§. 175.
Die Identität des Subjects ist aber wesentlich Identität des Selbstbe- wußtseyns. Der Widerspruch ist daher in seiner ganzen Tiefe erst gesetzt, wenn er als Widerspruch des Selbstbewußtseyns mit sich zu Tage kommt. Das Subject muß also erscheinen als um seine Verirrung wissend und sich in dem- selben Momente dennoch verirrend, oder als bewußt und unbewußt zugleich. Wirklich bewußt ist es um sein erhabenes Streben, unbewußt um das unendlich Kleine, das hinter demselben spielt. Dies ist aber noch nicht der geforderte
vorher ein Widerſpruch da, ſo iſt auch jetzt noch einer da, mit denſelben Momenten, nur in umgekehrter Stellung. In der Narrheit iſt noch die Weisheit, aber ihrer vorigen Anſprüche auf die Autorität einer abſoluten, entſagenden Kraft entkleidet, und ſpielt, zur Beſcheidenheit des mittleren Lebens herabgeſtimmt, jetzt in der Thorheit mit fort. Dieſe zweite Seite fehlt der Frivolität und dadurch beweist ſich, was §. 165, Anm. 2 von ihr geſagt wurde. Ihr geht das Erhabene ganz zu Grunde in ſeinem Widerſpiel; ſie will dem Geiſte nicht zu fühlen geben, daß er den An- ſpruch einer abſtracten Unendlichkeit aufzugeben hat, ſondern ſie will es ihm anhängen, daß er die Krankheit des Leibes, daß er nichts ſey. Ihre Lebensanſicht iſt einfach, der komiſche Standpunkt doppelt in ſich, eine Einheit, die durch einen Bruch geht. Er verlacht, was er achtet, und er achtet, was er verlacht. Wieland entgeht dem Vorwurfe der Frivolität dadurch nicht völlig, daß er dem durch lüſterne Reize zierlich zu Fall gebrachten Tugendſtolze nach ſeinem Falle einen Lebensgenuß mit geſchmackvollem Maße predigt, denn das Maß iſt ein rein forma- ler Begriff, der gegen die in Bewegung geſetzten Hebel der Lüſternheit keine Kraft mehr hat. Der mittlere Zuſtand, der das End-Ergebniß der ächten Komik iſt, wird ſich als etwas ungleich Tieferes und Geiſt- volleres erweiſen, wenn wir erſt den ganzen Prozeß entwickelt haben werden.
2. Die ſich ſelbſt aufhebende Bewegung, als welche ſich nun das Komiſche darſtellt, gleicht dem Vorwärtsgehen in einem Tretrade oder auf einem Schiff gegen den Gang des Schiffes. Treffliche Beiſpiele für dieſe innerſte Natur des Komiſchen ſind: das Verhör im zerbrochenen Kruge von H. v. Kleiſt, ein engliſches Schiff, das nach Indien eine Ladung von Gözenbildern aus indiſchen Fabriken und zugleich zwei Miſſionäre brachte, u. ſ. w.
§. 175.
Die Identität des Subjects iſt aber weſentlich Identität des Selbſtbe- wußtſeyns. Der Widerſpruch iſt daher in ſeiner ganzen Tiefe erſt geſetzt, wenn er als Widerſpruch des Selbſtbewußtſeyns mit ſich zu Tage kommt. Das Subject muß alſo erſcheinen als um ſeine Verirrung wiſſend und ſich in dem- ſelben Momente dennoch verirrend, oder als bewußt und unbewußt zugleich. Wirklich bewußt iſt es um ſein erhabenes Streben, unbewußt um das unendlich Kleine, das hinter demſelben ſpielt. Dies iſt aber noch nicht der geforderte
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vorher ein Widerſpruch da, ſo iſt auch jetzt noch einer da, mit denſelben
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entſagenden Kraft entkleidet, und ſpielt, zur Beſcheidenheit des mittleren
Lebens herabgeſtimmt, jetzt in der Thorheit mit fort. Dieſe zweite Seite
fehlt der Frivolität und dadurch beweist ſich, was §. 165, Anm. 2 von
ihr geſagt wurde. Ihr geht das Erhabene ganz zu Grunde in ſeinem
Widerſpiel; ſie will dem Geiſte nicht zu fühlen geben, daß er den An-
ſpruch einer abſtracten Unendlichkeit aufzugeben hat, ſondern ſie will es
ihm anhängen, daß er die Krankheit des Leibes, daß er nichts ſey.
Ihre Lebensanſicht iſt einfach, der komiſche Standpunkt doppelt in ſich,
eine Einheit, die durch einen Bruch geht. Er verlacht, was er achtet,
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Frivolität dadurch nicht völlig, daß er dem durch lüſterne Reize zierlich
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keine Kraft mehr hat. Der mittlere Zuſtand, der das End-Ergebniß
der ächten Komik iſt, wird ſich als etwas ungleich Tieferes und Geiſt-
volleres erweiſen, wenn wir erſt den ganzen Prozeß entwickelt haben
werden.
2. Die ſich ſelbſt aufhebende Bewegung, als welche ſich nun das
Komiſche darſtellt, gleicht dem Vorwärtsgehen in einem Tretrade oder
auf einem Schiff gegen den Gang des Schiffes. Treffliche Beiſpiele für
dieſe innerſte Natur des Komiſchen ſind: das Verhör im zerbrochenen
Kruge von H. v. Kleiſt, ein engliſches Schiff, das nach Indien eine
Ladung von Gözenbildern aus indiſchen Fabriken und zugleich zwei
Miſſionäre brachte, u. ſ. w.
§. 175.
Die Identität des Subjects iſt aber weſentlich Identität des Selbſtbe-
wußtſeyns. Der Widerſpruch iſt daher in ſeiner ganzen Tiefe erſt geſetzt, wenn
er als Widerſpruch des Selbſtbewußtſeyns mit ſich zu Tage kommt. Das
Subject muß alſo erſcheinen als um ſeine Verirrung wiſſend und ſich in dem-
ſelben Momente dennoch verirrend, oder als bewußt und unbewußt zugleich.
Wirklich bewußt iſt es um ſein erhabenes Streben, unbewußt um das unendlich
Kleine, das hinter demſelben ſpielt. Dies iſt aber noch nicht der geforderte
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/397>, abgerufen am 21.12.2024.
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