zurück; dadurch ist aber keineswegs begründet, daß die praktische Form am Schlusse des Systems als der nun dem Geist adäquate Standpunkt selbständig auftreten soll, und der Vorwurf, der Hegel trifft, ist weder der, daß er nicht mit der Ethik schließt, noch der, daß er unter- läßt, ausdrücklich zu sagen, daß auch im absoluten Geiste die praktische Form wiederkehre (denn dieß versteht sich von selbst), sondern in folgenden zwei Punkten liegt der Fehler. Erstens: die Ethik kann und muß zwar aus dem genannten Grunde, weil sie eine Form des getheilten und die Theilung erst aufhebenden Geistes ist, ihre Stelle da behalten, wo Hegel sie ihr angewiesen hat, aber das System hat in den vorher- gehenden Disciplinen Gehalt genug gesammelt, um sie in ungleich höherem Sinne zu behandeln, als Hegel gethan hat. Der Geist ist bereits als freier Geist begriffen, daraus läßt sich eine Ethik construiren, worin die Mängel der Hegel'schen vollständig überwunden sind, ohne daß aus Kunst, Religion und Philosophie mehr anticipirt würde, als sich recht- fertigen läßt. Eine Begründung der letzteren Behauptung würde hier zu weit führen. Zweitens: die Formen des absoluten Geistes, die Philosophie insbesondere, erscheinen bei Hegel nicht nur contemplativ, wie sie es allerdings ihrem innersten Wesen nach sind, sondern als ein quietistischer Aristokratismus des Geistes; davon liegt aber der Grund nicht in ihrer Stellung am Schlusse des Systems (wie schon gezeigt), sondern in der anderweitigen Denkweise Hegels, welche durch eine andere Stellung der Wissenschaft überhaupt zu dem Leben überhaupt, aber nicht durch eine veränderte Stellung der Ethik in der Wissenschaft zu überschreiten ist. Was nun insbesondere die aus der Anordnung Wirths hervorgehende Stellung der Sittlichkeit nach und über der Kunst betrifft, und die näheren Gründe, womit er sie rechtfertigt, so ist dieß im folgenden Abschnitt von dem Verhältniß des Schönen zum Guten zu prüfen, wie denn die hier gegebenen Bemerkungen überhaupt nur als eine unvermeidliche Vorandeutung der in diesem Abschnitt auszuführenden Sätze anzusehen sind.
§. 3.
Als ein völlig unselbständiges Mittelding wird die Aesthetik in die Schwebe gestellt, wenn sie als ein Verbindungsglied zwischen der theoretischen und praktischen Philosophie aufgeführt wird; an großer Willkühr und Ver- wirrung neben tiefen Andeutungen, die er enthält, leidet insbesondere der Versuch Kants, das ästhetische Gebiet, soweit er es als Object der Wissen- schaft erkennt, in diesen Zwischenraum zu verweisen.
zurück; dadurch iſt aber keineswegs begründet, daß die praktiſche Form am Schluſſe des Syſtems als der nun dem Geiſt adäquate Standpunkt ſelbſtändig auftreten ſoll, und der Vorwurf, der Hegel trifft, iſt weder der, daß er nicht mit der Ethik ſchließt, noch der, daß er unter- läßt, ausdrücklich zu ſagen, daß auch im abſoluten Geiſte die praktiſche Form wiederkehre (denn dieß verſteht ſich von ſelbſt), ſondern in folgenden zwei Punkten liegt der Fehler. Erſtens: die Ethik kann und muß zwar aus dem genannten Grunde, weil ſie eine Form des getheilten und die Theilung erſt aufhebenden Geiſtes iſt, ihre Stelle da behalten, wo Hegel ſie ihr angewieſen hat, aber das Syſtem hat in den vorher- gehenden Diſciplinen Gehalt genug geſammelt, um ſie in ungleich höherem Sinne zu behandeln, als Hegel gethan hat. Der Geiſt iſt bereits als freier Geiſt begriffen, daraus läßt ſich eine Ethik conſtruiren, worin die Mängel der Hegel’ſchen vollſtändig überwunden ſind, ohne daß aus Kunſt, Religion und Philoſophie mehr anticipirt würde, als ſich recht- fertigen läßt. Eine Begründung der letzteren Behauptung würde hier zu weit führen. Zweitens: die Formen des abſoluten Geiſtes, die Philoſophie insbeſondere, erſcheinen bei Hegel nicht nur contemplativ, wie ſie es allerdings ihrem innerſten Weſen nach ſind, ſondern als ein quietiſtiſcher Ariſtokratismus des Geiſtes; davon liegt aber der Grund nicht in ihrer Stellung am Schluſſe des Syſtems (wie ſchon gezeigt), ſondern in der anderweitigen Denkweiſe Hegels, welche durch eine andere Stellung der Wiſſenſchaft überhaupt zu dem Leben überhaupt, aber nicht durch eine veränderte Stellung der Ethik in der Wiſſenſchaft zu überſchreiten iſt. Was nun insbeſondere die aus der Anordnung Wirths hervorgehende Stellung der Sittlichkeit nach und über der Kunſt betrifft, und die näheren Gründe, womit er ſie rechtfertigt, ſo iſt dieß im folgenden Abſchnitt von dem Verhältniß des Schönen zum Guten zu prüfen, wie denn die hier gegebenen Bemerkungen überhaupt nur als eine unvermeidliche Vorandeutung der in dieſem Abſchnitt auszuführenden Sätze anzuſehen ſind.
§. 3.
Als ein völlig unſelbſtändiges Mittelding wird die Aeſthetik in die Schwebe geſtellt, wenn ſie als ein Verbindungsglied zwiſchen der theoretiſchen und praktiſchen Philoſophie aufgeführt wird; an großer Willkühr und Ver- wirrung neben tiefen Andeutungen, die er enthält, leidet insbeſondere der Verſuch Kants, das äſthetiſche Gebiet, ſoweit er es als Object der Wiſſen- ſchaft erkennt, in dieſen Zwiſchenraum zu verweiſen.
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zurück; dadurch iſt aber keineswegs begründet, daß die praktiſche Form
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weder der, daß er nicht mit der Ethik ſchließt, noch der, daß er unter-
läßt, ausdrücklich zu ſagen, daß auch im abſoluten Geiſte die praktiſche
Form wiederkehre (denn dieß verſteht ſich von ſelbſt), ſondern in folgenden
zwei Punkten liegt der Fehler. Erſtens: die Ethik kann und muß zwar
aus dem genannten Grunde, weil ſie eine Form des getheilten und die
Theilung erſt aufhebenden Geiſtes iſt, ihre Stelle da behalten, wo
Hegel ſie ihr angewieſen hat, aber das Syſtem hat in den vorher-
gehenden Diſciplinen Gehalt genug geſammelt, um ſie in ungleich höherem
Sinne zu behandeln, als Hegel gethan hat. Der Geiſt iſt bereits als
freier Geiſt begriffen, daraus läßt ſich eine Ethik conſtruiren, worin die
Mängel der Hegel’ſchen vollſtändig überwunden ſind, ohne daß aus
Kunſt, Religion und Philoſophie mehr anticipirt würde, als ſich recht-
fertigen läßt. Eine Begründung der letzteren Behauptung würde hier
zu weit führen. Zweitens: die Formen des abſoluten Geiſtes, die
Philoſophie insbeſondere, erſcheinen bei Hegel nicht nur contemplativ,
wie ſie es allerdings ihrem innerſten Weſen nach ſind, ſondern als ein
quietiſtiſcher Ariſtokratismus des Geiſtes; davon liegt aber der Grund
nicht in ihrer Stellung am Schluſſe des Syſtems (wie ſchon gezeigt),
ſondern in der anderweitigen Denkweiſe Hegels, welche durch eine
andere Stellung der Wiſſenſchaft überhaupt zu dem Leben überhaupt, aber
nicht durch eine veränderte Stellung der Ethik in der Wiſſenſchaft zu
überſchreiten iſt. Was nun insbeſondere die aus der Anordnung Wirths
hervorgehende Stellung der Sittlichkeit nach und über der Kunſt betrifft,
und die näheren Gründe, womit er ſie rechtfertigt, ſo iſt dieß im folgenden
Abſchnitt von dem Verhältniß des Schönen zum Guten zu prüfen, wie denn
die hier gegebenen Bemerkungen überhaupt nur als eine unvermeidliche
Vorandeutung der in dieſem Abſchnitt auszuführenden Sätze anzuſehen ſind.
§. 3.
Als ein völlig unſelbſtändiges Mittelding wird die Aeſthetik in die
Schwebe geſtellt, wenn ſie als ein Verbindungsglied zwiſchen der theoretiſchen
und praktiſchen Philoſophie aufgeführt wird; an großer Willkühr und Ver-
wirrung neben tiefen Andeutungen, die er enthält, leidet insbeſondere der
Verſuch Kants, das äſthetiſche Gebiet, ſoweit er es als Object der Wiſſen-
ſchaft erkennt, in dieſen Zwiſchenraum zu verweiſen.
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/27>, abgerufen am 30.12.2024.
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