Dunkel gilt allerdings zunächst den Sinnen. Nichts duldet das Erhabene weniger, als ein mikroskopisches Sehen und Behandeln. Es gilt ferner dem Verstande, sofern er in dem ästhetischen Sehen und Darstellen implicite mitbetheiligt nichts mehr zu scheuen hat, als Motiviren in's Kleine, wo es Erhabenheit gilt. "Für Kammerdiener gibt es keine Helden." Eine Fülle der fruchtbarsten Sätze für die Kunst folgt hieraus. Die idealisirende Kraft der Zeitferne und des Todes (vergl. §. 54, Anm.) ist hier noch ungleich wichtiger als im Schönen. Nicht aber der Vernunft gilt das Dunkel, wie sie nämlich in der Form des ästhetischen Organs auftritt.
Burke ist es, der auch dieses Moment des Erhabenen zuerst be- merkt hat (a. a. O. Th. 2, Abschn. 12. ff. Th. 4, Abschn. 14. ff.). Er begründet nicht allgemein, bleibt im Physiologischen, gibt aber treff- liche Winke und Beispiele. Passend angeführt ist namentlich die Stelle aus dem Buche Hiob: "im Traume des Gesichts in der Nacht, wenn der Schlaf auf die Leute fällt, da kam mich Furcht und Zittern an und alle meine Gebeine erschracken. Und da der Geist vor mir über ging, stunden mir die Haare zu Berge an meinem Leibe. Da stund ein Bild vor meinen Augen und ich kannte seine Gestalt nicht, es war stille, und ich hörete eine Stimme: wie mag ein Mensch gerechter seyn als Gott?"
§. 88.
Der Stufengang der Idee, welcher in der Lehre vom Schönen (§. 17 ff.) nur anzudeuten war, sondert sich im Erhabenen bestimmter nach den Haupt- stufen, weil die Frage entsteht, ob auf gewissen Stufen überhaupt diese gegen- sätzliche Gestalt der Schönheit möglich sey, und weil die Unterschiede dieser Stufen auch einen wesentlichen Unterschied der Formen des Erhabenen begründen. Dadurch wird jedoch das Gebiet des abstracten Begriffs der Schönheit nicht überschritten, da es sich nur um die allgemeinen Kategorien, nicht um die be- stimmten Wirklichkeiten dieser Sphären handelt und die Frage nach demjenigen Acte, wodurch das Schöne eigentlich realisirt wird (§. 53), noch ganz ausge- schlossen bleibt.
In der Lehre von der Schönheit konnte die Frage gar nicht auf- geworfen werden, ob eine sinnliche und eine geistige Schönheit zu unter- scheiden sey; eine blose Andeutung des Stufengangs der sich verwirk-
Dunkel gilt allerdings zunächſt den Sinnen. Nichts duldet das Erhabene weniger, als ein mikroskopiſches Sehen und Behandeln. Es gilt ferner dem Verſtande, ſofern er in dem äſthetiſchen Sehen und Darſtellen implicite mitbetheiligt nichts mehr zu ſcheuen hat, als Motiviren in’s Kleine, wo es Erhabenheit gilt. „Für Kammerdiener gibt es keine Helden.“ Eine Fülle der fruchtbarſten Sätze für die Kunſt folgt hieraus. Die idealiſirende Kraft der Zeitferne und des Todes (vergl. §. 54, Anm.) iſt hier noch ungleich wichtiger als im Schönen. Nicht aber der Vernunft gilt das Dunkel, wie ſie nämlich in der Form des äſthetiſchen Organs auftritt.
Burke iſt es, der auch dieſes Moment des Erhabenen zuerſt be- merkt hat (a. a. O. Th. 2, Abſchn. 12. ff. Th. 4, Abſchn. 14. ff.). Er begründet nicht allgemein, bleibt im Phyſiologiſchen, gibt aber treff- liche Winke und Beiſpiele. Paſſend angeführt iſt namentlich die Stelle aus dem Buche Hiob: „im Traume des Geſichts in der Nacht, wenn der Schlaf auf die Leute fällt, da kam mich Furcht und Zittern an und alle meine Gebeine erſchracken. Und da der Geiſt vor mir über ging, ſtunden mir die Haare zu Berge an meinem Leibe. Da ſtund ein Bild vor meinen Augen und ich kannte ſeine Geſtalt nicht, es war ſtille, und ich hörete eine Stimme: wie mag ein Menſch gerechter ſeyn als Gott?“
§. 88.
Der Stufengang der Idee, welcher in der Lehre vom Schönen (§. 17 ff.) nur anzudeuten war, ſondert ſich im Erhabenen beſtimmter nach den Haupt- ſtufen, weil die Frage entſteht, ob auf gewiſſen Stufen überhaupt dieſe gegen- ſätzliche Geſtalt der Schönheit möglich ſey, und weil die Unterſchiede dieſer Stufen auch einen weſentlichen Unterſchied der Formen des Erhabenen begründen. Dadurch wird jedoch das Gebiet des abſtracten Begriffs der Schönheit nicht überſchritten, da es ſich nur um die allgemeinen Kategorien, nicht um die be- ſtimmten Wirklichkeiten dieſer Sphären handelt und die Frage nach demjenigen Acte, wodurch das Schöne eigentlich realiſirt wird (§. 53), noch ganz ausge- ſchloſſen bleibt.
In der Lehre von der Schönheit konnte die Frage gar nicht auf- geworfen werden, ob eine ſinnliche und eine geiſtige Schönheit zu unter- ſcheiden ſey; eine bloſe Andeutung des Stufengangs der ſich verwirk-
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Dunkel gilt allerdings zunächſt den Sinnen. Nichts duldet das Erhabene
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dem Verſtande, ſofern er in dem äſthetiſchen Sehen und Darſtellen
implicite mitbetheiligt nichts mehr zu ſcheuen hat, als Motiviren in’s
Kleine, wo es Erhabenheit gilt. „Für Kammerdiener gibt es keine
Helden.“ Eine Fülle der fruchtbarſten Sätze für die Kunſt folgt hieraus.
Die idealiſirende Kraft der Zeitferne und des Todes (vergl. §. 54, Anm.)
iſt hier noch ungleich wichtiger als im Schönen. Nicht aber der Vernunft
gilt das Dunkel, wie ſie nämlich in der Form des äſthetiſchen Organs
auftritt.
Burke iſt es, der auch dieſes Moment des Erhabenen zuerſt be-
merkt hat (a. a. O. Th. 2, Abſchn. 12. ff. Th. 4, Abſchn. 14. ff.).
Er begründet nicht allgemein, bleibt im Phyſiologiſchen, gibt aber treff-
liche Winke und Beiſpiele. Paſſend angeführt iſt namentlich die Stelle
aus dem Buche Hiob: „im Traume des Geſichts in der Nacht, wenn
der Schlaf auf die Leute fällt, da kam mich Furcht und Zittern an und
alle meine Gebeine erſchracken. Und da der Geiſt vor mir über ging,
ſtunden mir die Haare zu Berge an meinem Leibe. Da ſtund ein
Bild vor meinen Augen und ich kannte ſeine Geſtalt nicht, es
war ſtille, und ich hörete eine Stimme: wie mag ein Menſch gerechter
ſeyn als Gott?“
§. 88.
Der Stufengang der Idee, welcher in der Lehre vom Schönen (§. 17 ff.)
nur anzudeuten war, ſondert ſich im Erhabenen beſtimmter nach den Haupt-
ſtufen, weil die Frage entſteht, ob auf gewiſſen Stufen überhaupt dieſe gegen-
ſätzliche Geſtalt der Schönheit möglich ſey, und weil die Unterſchiede dieſer
Stufen auch einen weſentlichen Unterſchied der Formen des Erhabenen begründen.
Dadurch wird jedoch das Gebiet des abſtracten Begriffs der Schönheit nicht
überſchritten, da es ſich nur um die allgemeinen Kategorien, nicht um die be-
ſtimmten Wirklichkeiten dieſer Sphären handelt und die Frage nach demjenigen
Acte, wodurch das Schöne eigentlich realiſirt wird (§. 53), noch ganz ausge-
ſchloſſen bleibt.
In der Lehre von der Schönheit konnte die Frage gar nicht auf-
geworfen werden, ob eine ſinnliche und eine geiſtige Schönheit zu unter-
ſcheiden ſey; eine bloſe Andeutung des Stufengangs der ſich verwirk-
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/244>, abgerufen am 21.12.2024.
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