die rücksichtslose Behandlung schöner Bilder durch den Cultus (Aufstellung in schlechtem Lichte, Schwärzen durch Weihrauch, Lampendunst u. dergl.).
2. Das schöne Bild löst den Andächtigen von sich selbst, zerstreut ihn. Diese Zerstreuung ist nicht eine Zerstreuung überhaupt, sondern nur eine Zerstreuung der Andacht; sie führt auch zu einer Sammlung, aber einer ästhetischen. Die Religion, wenn sie tiefer in's Innere getreten, erkennt dies wohl, daher die absichtliche Ausweisung der Schönheit vom protestantischen Cultus. Es ist überhaupt keine Nothwendigkeit da, daß die innere Vorstellung äußerlich, wenn auch nur in dürftiger Weise, zugleich der Anschauung gegenübertrete. Es kann zweckmäßig scheinen, um ihre Lebhaftigkeit zu erhöhen; allein mit dieser Lebhaftigkeit ist auch alsbald die wirkliche Verwechslung des äußeren Bilds mit dem Inhalte der Vor- stellung da. Diese herrscht im ganzen Heidenthum: das Götterbild lebt und ist der Gott selbst; daß es unzähliche andere Bilder anderswo gibt und der Gott überdies zugleich auf dem Olymp wohnen soll, dies hebt jene Verwechslung nicht auf, denn der Polytheismus ist nicht logisch. Dieselbe Verwechslung gieng in den Katholizismus über. Bilderstreit. Reformation. Bilderstürmerei. Die Barbarei der Bilderstürmer ist nicht vom ästhetischen Standpunkte zu beurtheilen; es war Fanatismus gegen jene Verwechslung und vom religiösen Standpunkte ganz motivirt.
§. 65.
Götzendienst ist Verwechslung des äußeren Bildes mit dem Inhalte des inneren Bildes der Vorstellung. Ist nun aber durch einen Fortschritt der Religion diese auch als solche erkannt, so wird darum eine andere Verwechs- lung, nämlich die des inneren Bildes der Vorstellung mit seinem Inhalte, nicht aufgehoben. Auch dieses ist dem Gebrauche nach bloses Vehikel (§. 64), aber keineswegs wird es von der Religion selbst als solches erkannt, vielmehr sitzt nun die Verwechslung, weil innerlich festgehalten, nur um so tiefer. Im Ge- fühle überhaupt ist das Subject mit seinem Inhalte durchaus in dunkler Weise verwachsen (§. 61). Durch die Scheidung, welche die Vorstellung hinzubringt, stellt sich zwar das Subject seinen Inhalt gegenüber, aber die Wahrheit, daß er über alles einzelne Subject als das schlechthin Allgemeine hinausgeht, ver- kehrt es durch die sinnliche Bestimmtheit, die es ihm beilegt, zu dem Scheine eines einzelnen Subjects, das zugleich absolut seyn soll. Diese sinnliche Be- stimmtheit vermag es nicht abzuziehen, denn es ist seine eigene; es gibt seine
die rückſichtsloſe Behandlung ſchöner Bilder durch den Cultus (Aufſtellung in ſchlechtem Lichte, Schwärzen durch Weihrauch, Lampendunſt u. dergl.).
2. Das ſchöne Bild löst den Andächtigen von ſich ſelbſt, zerſtreut ihn. Dieſe Zerſtreuung iſt nicht eine Zerſtreuung überhaupt, ſondern nur eine Zerſtreuung der Andacht; ſie führt auch zu einer Sammlung, aber einer äſthetiſchen. Die Religion, wenn ſie tiefer in’s Innere getreten, erkennt dies wohl, daher die abſichtliche Ausweiſung der Schönheit vom proteſtantiſchen Cultus. Es iſt überhaupt keine Nothwendigkeit da, daß die innere Vorſtellung äußerlich, wenn auch nur in dürftiger Weiſe, zugleich der Anſchauung gegenübertrete. Es kann zweckmäßig ſcheinen, um ihre Lebhaftigkeit zu erhöhen; allein mit dieſer Lebhaftigkeit iſt auch alsbald die wirkliche Verwechslung des äußeren Bilds mit dem Inhalte der Vor- ſtellung da. Dieſe herrſcht im ganzen Heidenthum: das Götterbild lebt und iſt der Gott ſelbſt; daß es unzähliche andere Bilder anderswo gibt und der Gott überdies zugleich auf dem Olymp wohnen ſoll, dies hebt jene Verwechslung nicht auf, denn der Polytheismus iſt nicht logiſch. Dieſelbe Verwechslung gieng in den Katholizismus über. Bilderſtreit. Reformation. Bilderſtürmerei. Die Barbarei der Bilderſtürmer iſt nicht vom äſthetiſchen Standpunkte zu beurtheilen; es war Fanatismus gegen jene Verwechslung und vom religiöſen Standpunkte ganz motivirt.
§. 65.
Götzendienſt iſt Verwechslung des äußeren Bildes mit dem Inhalte des inneren Bildes der Vorſtellung. Iſt nun aber durch einen Fortſchritt der Religion dieſe auch als ſolche erkannt, ſo wird darum eine andere Verwechs- lung, nämlich die des inneren Bildes der Vorſtellung mit ſeinem Inhalte, nicht aufgehoben. Auch dieſes iſt dem Gebrauche nach bloſes Vehikel (§. 64), aber keineswegs wird es von der Religion ſelbſt als ſolches erkannt, vielmehr ſitzt nun die Verwechslung, weil innerlich feſtgehalten, nur um ſo tiefer. Im Ge- fühle überhaupt iſt das Subject mit ſeinem Inhalte durchaus in dunkler Weiſe verwachſen (§. 61). Durch die Scheidung, welche die Vorſtellung hinzubringt, ſtellt ſich zwar das Subject ſeinen Inhalt gegenüber, aber die Wahrheit, daß er über alles einzelne Subject als das ſchlechthin Allgemeine hinausgeht, ver- kehrt es durch die ſinnliche Beſtimmtheit, die es ihm beilegt, zu dem Scheine eines einzelnen Subjects, das zugleich abſolut ſeyn ſoll. Dieſe ſinnliche Be- ſtimmtheit vermag es nicht abzuziehen, denn es iſt ſeine eigene; es gibt ſeine
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die rückſichtsloſe Behandlung ſchöner Bilder durch den Cultus (Aufſtellung
in ſchlechtem Lichte, Schwärzen durch Weihrauch, Lampendunſt u. dergl.).
2. Das ſchöne Bild löst den Andächtigen von ſich ſelbſt, zerſtreut
ihn. Dieſe Zerſtreuung iſt nicht eine Zerſtreuung überhaupt, ſondern nur
eine Zerſtreuung der Andacht; ſie führt auch zu einer Sammlung, aber
einer äſthetiſchen. Die Religion, wenn ſie tiefer in’s Innere getreten,
erkennt dies wohl, daher die abſichtliche Ausweiſung der Schönheit vom
proteſtantiſchen Cultus. Es iſt überhaupt keine Nothwendigkeit da, daß
die innere Vorſtellung äußerlich, wenn auch nur in dürftiger Weiſe, zugleich
der Anſchauung gegenübertrete. Es kann zweckmäßig ſcheinen, um ihre
Lebhaftigkeit zu erhöhen; allein mit dieſer Lebhaftigkeit iſt auch alsbald
die wirkliche Verwechslung des äußeren Bilds mit dem Inhalte der Vor-
ſtellung da. Dieſe herrſcht im ganzen Heidenthum: das Götterbild lebt
und iſt der Gott ſelbſt; daß es unzähliche andere Bilder anderswo gibt
und der Gott überdies zugleich auf dem Olymp wohnen ſoll, dies hebt
jene Verwechslung nicht auf, denn der Polytheismus iſt nicht logiſch.
Dieſelbe Verwechslung gieng in den Katholizismus über. Bilderſtreit.
Reformation. Bilderſtürmerei. Die Barbarei der Bilderſtürmer iſt nicht
vom äſthetiſchen Standpunkte zu beurtheilen; es war Fanatismus gegen
jene Verwechslung und vom religiöſen Standpunkte ganz motivirt.
§. 65.
Götzendienſt iſt Verwechslung des äußeren Bildes mit dem Inhalte des
inneren Bildes der Vorſtellung. Iſt nun aber durch einen Fortſchritt der
Religion dieſe auch als ſolche erkannt, ſo wird darum eine andere Verwechs-
lung, nämlich die des inneren Bildes der Vorſtellung mit ſeinem Inhalte, nicht
aufgehoben. Auch dieſes iſt dem Gebrauche nach bloſes Vehikel (§. 64), aber
keineswegs wird es von der Religion ſelbſt als ſolches erkannt, vielmehr ſitzt
nun die Verwechslung, weil innerlich feſtgehalten, nur um ſo tiefer. Im Ge-
fühle überhaupt iſt das Subject mit ſeinem Inhalte durchaus in dunkler Weiſe
verwachſen (§. 61). Durch die Scheidung, welche die Vorſtellung hinzubringt,
ſtellt ſich zwar das Subject ſeinen Inhalt gegenüber, aber die Wahrheit, daß
er über alles einzelne Subject als das ſchlechthin Allgemeine hinausgeht, ver-
kehrt es durch die ſinnliche Beſtimmtheit, die es ihm beilegt, zu dem Scheine
eines einzelnen Subjects, das zugleich abſolut ſeyn ſoll. Dieſe ſinnliche Be-
ſtimmtheit vermag es nicht abzuziehen, denn es iſt ſeine eigene; es gibt ſeine
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/183>, abgerufen am 21.12.2024.
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