selbst in den Individuen das absolute Individuum. Das einzelne In- dividuum, das wahrhaft seiner Bestimmung genügt, erhebt sich aus der Reihe der einzelnen in das absolute Individuum und dies an ihm ist das Bleibende, wodurch es mit dem Urbilde in den Abbildern unsterblich fortlebt.
§. 52.
1
Alle diese Formen der Zufälligkeit heben also die volle Gegenwart der Gattung in ihrem Individuum, welche zum Schönen gefordert wird, nicht auf, vielmehr werden sie wesentlich in dieselbe mit aufgenommen und bedingen ihre Vollendung. Allein mit denselben dringt unaufhaltsam auch die in §. 40 dar- gestellte Art der Zufälligkeit ein und hier hat die Macht der bestimmten Idee ihre Grenze; das Individuum verkümmert oder erliegt im Zusammenstoße mit dem Fremdartigen, was die Natur der Gattung in ihm weder abzuhalten noch 2auszuscheiden vermag. So wie nun dieses Uebel entsteht durch das Zusammen- seyn der bestimmten Gattung mit allen andern, so wird sie auch aufgehoben nur durch eben dieses Zusammenseyn, das aber zugleich ein unendliches Werden ist. Im unendlichen Raume und in der unendlichen Zeit ergänzen und ersetzen sich alle Trübungen der Idee und bewirkt sich in der Vereinigung des Guten mit dem Gute das höchste Gut. (Rückkehr zu den nunmehr entwickelten §§. 10. 11.)
1. Diese schlechtweg trübende Art der Zufälligkeit ist freilich nur eine Form derselben allgemeinen Zufälligkeit, aus welcher auch die nicht trübenden Einflüsse fremder Potenzen hervorgehen. Die Grenze zwischen jener und dieser läßt sich durchaus nicht angeben, weil eben das Zu- fällige nicht eher bestimmbar ist, als bis es eingetreten ist. Das Ve- getabilische z. B. ist Nahrung für den Menschen. Der Stoß des Zufalls führt einen Volksstamm in ein Land, wo er eine andere Pflanzenwelt findet, als in der frühern Heimath, aber der menschliche Organismus gewöhnt sich an dies Neue und vermag es in sich zu verarbeiten. Allein ein Einzelner stößt auf eine Giftpflanze und erkrankt oder erliegt ihrer mit dem menschlichen Natur unvereinbaren Substanz. So eine Menge schädlicher klimatischer und anderer Einflüsse. Zu den furchtbarsten Schicksalen der Menschheit durch den Zufall gehört der Kretinismus mit seinen Ursachen. Wären sie auch ergründet, wie sie es noch nicht sind, so wäre er doch nicht zu verhüten, da weitere Zufälle es mit sich bringen, daß die Bevölkerung, die solchen Einflüssen des Elementarischen
ſelbſt in den Individuen das abſolute Individuum. Das einzelne In- dividuum, das wahrhaft ſeiner Beſtimmung genügt, erhebt ſich aus der Reihe der einzelnen in das abſolute Individuum und dies an ihm iſt das Bleibende, wodurch es mit dem Urbilde in den Abbildern unſterblich fortlebt.
§. 52.
1
Alle dieſe Formen der Zufälligkeit heben alſo die volle Gegenwart der Gattung in ihrem Individuum, welche zum Schönen gefordert wird, nicht auf, vielmehr werden ſie weſentlich in dieſelbe mit aufgenommen und bedingen ihre Vollendung. Allein mit denſelben dringt unaufhaltſam auch die in §. 40 dar- geſtellte Art der Zufälligkeit ein und hier hat die Macht der beſtimmten Idee ihre Grenze; das Individuum verkümmert oder erliegt im Zuſammenſtoße mit dem Fremdartigen, was die Natur der Gattung in ihm weder abzuhalten noch 2auszuſcheiden vermag. So wie nun dieſes Uebel entſteht durch das Zuſammen- ſeyn der beſtimmten Gattung mit allen andern, ſo wird ſie auch aufgehoben nur durch eben dieſes Zuſammenſeyn, das aber zugleich ein unendliches Werden iſt. Im unendlichen Raume und in der unendlichen Zeit ergänzen und erſetzen ſich alle Trübungen der Idee und bewirkt ſich in der Vereinigung des Guten mit dem Gute das höchſte Gut. (Rückkehr zu den nunmehr entwickelten §§. 10. 11.)
1. Dieſe ſchlechtweg trübende Art der Zufälligkeit iſt freilich nur eine Form derſelben allgemeinen Zufälligkeit, aus welcher auch die nicht trübenden Einflüſſe fremder Potenzen hervorgehen. Die Grenze zwiſchen jener und dieſer läßt ſich durchaus nicht angeben, weil eben das Zu- fällige nicht eher beſtimmbar iſt, als bis es eingetreten iſt. Das Ve- getabiliſche z. B. iſt Nahrung für den Menſchen. Der Stoß des Zufalls führt einen Volksſtamm in ein Land, wo er eine andere Pflanzenwelt findet, als in der frühern Heimath, aber der menſchliche Organismus gewöhnt ſich an dies Neue und vermag es in ſich zu verarbeiten. Allein ein Einzelner ſtößt auf eine Giftpflanze und erkrankt oder erliegt ihrer mit dem menſchlichen Natur unvereinbaren Subſtanz. So eine Menge ſchädlicher klimatiſcher und anderer Einflüſſe. Zu den furchtbarſten Schickſalen der Menſchheit durch den Zufall gehört der Kretinismus mit ſeinen Urſachen. Wären ſie auch ergründet, wie ſie es noch nicht ſind, ſo wäre er doch nicht zu verhüten, da weitere Zufälle es mit ſich bringen, daß die Bevölkerung, die ſolchen Einflüſſen des Elementariſchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><hirendition="#et"><pbfacs="#f0156"n="142"/>ſelbſt in den Individuen das abſolute Individuum. Das einzelne In-<lb/>
dividuum, das wahrhaft ſeiner Beſtimmung genügt, erhebt ſich aus der<lb/>
Reihe der einzelnen in das abſolute Individuum und dies an ihm iſt<lb/>
das Bleibende, wodurch es mit dem Urbilde in den Abbildern unſterblich<lb/>
fortlebt.</hi></p></div><lb/><divn="4"><head>§. 52.</head><lb/><noteplace="left"><hirendition="#fr">1</hi></note><p><hirendition="#fr">Alle dieſe Formen der Zufälligkeit heben alſo die volle Gegenwart der<lb/>
Gattung in ihrem Individuum, welche zum Schönen gefordert wird, nicht auf,<lb/>
vielmehr werden ſie weſentlich in dieſelbe mit aufgenommen und bedingen ihre<lb/>
Vollendung. Allein mit denſelben dringt unaufhaltſam auch die in §. 40 dar-<lb/>
geſtellte Art der Zufälligkeit ein und hier hat die Macht der beſtimmten Idee<lb/>
ihre Grenze; das Individuum verkümmert oder erliegt im Zuſammenſtoße mit<lb/>
dem Fremdartigen, was die Natur der Gattung in ihm weder abzuhalten noch<lb/><noteplace="left">2</note>auszuſcheiden vermag. So wie nun dieſes Uebel entſteht durch das Zuſammen-<lb/>ſeyn der beſtimmten Gattung mit allen andern, ſo wird ſie auch aufgehoben nur<lb/>
durch eben dieſes Zuſammenſeyn, das aber zugleich ein unendliches Werden iſt.<lb/>
Im unendlichen Raume und in der unendlichen Zeit ergänzen und erſetzen ſich<lb/>
alle Trübungen der Idee und bewirkt ſich in der Vereinigung des Guten mit<lb/>
dem Gute das höchſte Gut. (Rückkehr zu den nunmehr entwickelten §§. 10. 11.)</hi></p><lb/><p><hirendition="#et">1. Dieſe ſchlechtweg trübende Art der Zufälligkeit iſt freilich nur<lb/>
eine Form derſelben allgemeinen Zufälligkeit, aus welcher auch die nicht<lb/>
trübenden Einflüſſe fremder Potenzen hervorgehen. Die Grenze zwiſchen<lb/>
jener und dieſer läßt ſich durchaus nicht angeben, weil eben das Zu-<lb/>
fällige nicht eher beſtimmbar iſt, als bis es eingetreten iſt. Das Ve-<lb/>
getabiliſche z. B. iſt Nahrung für den Menſchen. Der Stoß des Zufalls<lb/>
führt einen Volksſtamm in ein Land, wo er eine andere Pflanzenwelt<lb/>
findet, als in der frühern Heimath, aber der menſchliche Organismus<lb/>
gewöhnt ſich an dies Neue und vermag es in ſich zu verarbeiten. Allein<lb/>
ein Einzelner ſtößt auf eine Giftpflanze und erkrankt oder erliegt ihrer<lb/>
mit dem menſchlichen Natur unvereinbaren Subſtanz. So eine Menge<lb/>ſchädlicher klimatiſcher und anderer Einflüſſe. Zu den furchtbarſten<lb/>
Schickſalen der Menſchheit durch den Zufall gehört der Kretinismus mit<lb/>ſeinen Urſachen. Wären ſie auch ergründet, wie ſie es noch nicht ſind,<lb/>ſo wäre er doch nicht zu verhüten, da weitere Zufälle es mit ſich<lb/>
bringen, daß die Bevölkerung, die ſolchen Einflüſſen des Elementariſchen<lb/></hi></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[142/0156]
ſelbſt in den Individuen das abſolute Individuum. Das einzelne In-
dividuum, das wahrhaft ſeiner Beſtimmung genügt, erhebt ſich aus der
Reihe der einzelnen in das abſolute Individuum und dies an ihm iſt
das Bleibende, wodurch es mit dem Urbilde in den Abbildern unſterblich
fortlebt.
§. 52.
Alle dieſe Formen der Zufälligkeit heben alſo die volle Gegenwart der
Gattung in ihrem Individuum, welche zum Schönen gefordert wird, nicht auf,
vielmehr werden ſie weſentlich in dieſelbe mit aufgenommen und bedingen ihre
Vollendung. Allein mit denſelben dringt unaufhaltſam auch die in §. 40 dar-
geſtellte Art der Zufälligkeit ein und hier hat die Macht der beſtimmten Idee
ihre Grenze; das Individuum verkümmert oder erliegt im Zuſammenſtoße mit
dem Fremdartigen, was die Natur der Gattung in ihm weder abzuhalten noch
auszuſcheiden vermag. So wie nun dieſes Uebel entſteht durch das Zuſammen-
ſeyn der beſtimmten Gattung mit allen andern, ſo wird ſie auch aufgehoben nur
durch eben dieſes Zuſammenſeyn, das aber zugleich ein unendliches Werden iſt.
Im unendlichen Raume und in der unendlichen Zeit ergänzen und erſetzen ſich
alle Trübungen der Idee und bewirkt ſich in der Vereinigung des Guten mit
dem Gute das höchſte Gut. (Rückkehr zu den nunmehr entwickelten §§. 10. 11.)
1. Dieſe ſchlechtweg trübende Art der Zufälligkeit iſt freilich nur
eine Form derſelben allgemeinen Zufälligkeit, aus welcher auch die nicht
trübenden Einflüſſe fremder Potenzen hervorgehen. Die Grenze zwiſchen
jener und dieſer läßt ſich durchaus nicht angeben, weil eben das Zu-
fällige nicht eher beſtimmbar iſt, als bis es eingetreten iſt. Das Ve-
getabiliſche z. B. iſt Nahrung für den Menſchen. Der Stoß des Zufalls
führt einen Volksſtamm in ein Land, wo er eine andere Pflanzenwelt
findet, als in der frühern Heimath, aber der menſchliche Organismus
gewöhnt ſich an dies Neue und vermag es in ſich zu verarbeiten. Allein
ein Einzelner ſtößt auf eine Giftpflanze und erkrankt oder erliegt ihrer
mit dem menſchlichen Natur unvereinbaren Subſtanz. So eine Menge
ſchädlicher klimatiſcher und anderer Einflüſſe. Zu den furchtbarſten
Schickſalen der Menſchheit durch den Zufall gehört der Kretinismus mit
ſeinen Urſachen. Wären ſie auch ergründet, wie ſie es noch nicht ſind,
ſo wäre er doch nicht zu verhüten, da weitere Zufälle es mit ſich
bringen, daß die Bevölkerung, die ſolchen Einflüſſen des Elementariſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/156>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.