haupt, von jenen physiologischen Wirkungen aber nicht weiter die Rede ist. Burke hat, nachdem er klar eingesehen, daß gewisse überlieferte Begriffe blose Momente des Schönen enthalten, seinen Weg nicht fortgesetzt zu dem Begriffe des Schönen als einer Totalität, er ist vielmehr seiner eigenen Einsicht untreu geworden.
Alle diese Bestimmungen nun, wie sie neben ihrer tieferen, doch ebenfalls noch unzureichenden Ansicht die Griechen, consequent aber diese Engländer feststellten, sind zu eng und weil Anderes als das Schöne auch die Eigen- schaften aufzuweisen hat, die das Schöne begründen sollen, ebensosehr auch zu weit. Einiges Schöne wirkt z. B. vorzüglich durch Farbe, aber weder durch Eine Farbe allein, wie sehr sie durch Reinheit ein entferntes Symbol concreter Durchleuchtung eines gegliederten Gebildes durch die Einheit der Idee seyn mag, noch durch Zusammenwirkung verschiedener Farben, sondern durch Zusammenwirkung von Farben als der Oberfläche einer Form; und es wirkt durch Farben auch Anderes, als das Schöne, nämlich das blos Angenehme. Einiges Schöne wirkt vorzüglich durch Form und zwar entweder durch strict mathematische, worin die gerade Linie und die streng gemessene runde die Grundbestimmungen sind (wie die Baukunst), oder durch ein Zusammentreten gewundener Linien, deren Proportion und Symmetrie nur von unsichtbar hindurchgehenden Maßen bestimmt erscheint (wie die organische Gestalt), aber jedes individuelle Gebilde weicht von dem Grundmaße, wiewohl nur bis zu einer gewissen Grenze, ab; die Form ist es nicht allein, welche die Schönheit begründet, sondern Bewegung, Ausdruck u. s. w. kommt dazu, und Anderes, z. B. mechanische Werke, gefällt ebenso durch die Regelmäßigkeit der Form. Es liegt freilich für das Formgefühl ein eigener Reiz in den reinen Winkeln, Flächen, Rundungen, von denen Plato im Philebus spricht; allein dabei setzt er schon Körper voraus, an denen sie sich zeigen, und ästhetisch ist jener Reiz nur, sofern in ihnen ein formbildender Geist geahnt wird, der Körper baut nach diesen Gesetzen, aber frei, d. h. so, daß das strenge Maß von spielenden Linien umflossen ist.
§. 37.
Abgesehen aber davon, daß jeder Versuch, das Schöne auf andere Weise zu begreifen, als durch Auffindung der spezifischen Art, auf welche die Gattungs- regel und die Zufälligkeit des einzelnen Gebildes sich durchdringen, oder es gar in die Enge einer äußerlichen Bestimmtheit zu zwingen, schon an der gleichen
haupt, von jenen phyſiologiſchen Wirkungen aber nicht weiter die Rede iſt. Burke hat, nachdem er klar eingeſehen, daß gewiſſe überlieferte Begriffe bloſe Momente des Schönen enthalten, ſeinen Weg nicht fortgeſetzt zu dem Begriffe des Schönen als einer Totalität, er iſt vielmehr ſeiner eigenen Einſicht untreu geworden.
Alle dieſe Beſtimmungen nun, wie ſie neben ihrer tieferen, doch ebenfalls noch unzureichenden Anſicht die Griechen, conſequent aber dieſe Engländer feſtſtellten, ſind zu eng und weil Anderes als das Schöne auch die Eigen- ſchaften aufzuweiſen hat, die das Schöne begründen ſollen, ebenſoſehr auch zu weit. Einiges Schöne wirkt z. B. vorzüglich durch Farbe, aber weder durch Eine Farbe allein, wie ſehr ſie durch Reinheit ein entferntes Symbol concreter Durchleuchtung eines gegliederten Gebildes durch die Einheit der Idee ſeyn mag, noch durch Zuſammenwirkung verſchiedener Farben, ſondern durch Zuſammenwirkung von Farben als der Oberfläche einer Form; und es wirkt durch Farben auch Anderes, als das Schöne, nämlich das blos Angenehme. Einiges Schöne wirkt vorzüglich durch Form und zwar entweder durch ſtrict mathematiſche, worin die gerade Linie und die ſtreng gemeſſene runde die Grundbeſtimmungen ſind (wie die Baukunſt), oder durch ein Zuſammentreten gewundener Linien, deren Proportion und Symmetrie nur von unſichtbar hindurchgehenden Maßen beſtimmt erſcheint (wie die organiſche Geſtalt), aber jedes individuelle Gebilde weicht von dem Grundmaße, wiewohl nur bis zu einer gewiſſen Grenze, ab; die Form iſt es nicht allein, welche die Schönheit begründet, ſondern Bewegung, Ausdruck u. ſ. w. kommt dazu, und Anderes, z. B. mechaniſche Werke, gefällt ebenſo durch die Regelmäßigkeit der Form. Es liegt freilich für das Formgefühl ein eigener Reiz in den reinen Winkeln, Flächen, Rundungen, von denen Plato im Philebus ſpricht; allein dabei ſetzt er ſchon Körper voraus, an denen ſie ſich zeigen, und äſthetiſch iſt jener Reiz nur, ſofern in ihnen ein formbildender Geiſt geahnt wird, der Körper baut nach dieſen Geſetzen, aber frei, d. h. ſo, daß das ſtrenge Maß von ſpielenden Linien umfloſſen iſt.
§. 37.
Abgeſehen aber davon, daß jeder Verſuch, das Schöne auf andere Weiſe zu begreifen, als durch Auffindung der ſpezifiſchen Art, auf welche die Gattungs- regel und die Zufälligkeit des einzelnen Gebildes ſich durchdringen, oder es gar in die Enge einer äußerlichen Beſtimmtheit zu zwingen, ſchon an der gleichen
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haupt, von jenen phyſiologiſchen Wirkungen aber nicht weiter die Rede iſt.
Burke hat, nachdem er klar eingeſehen, daß gewiſſe überlieferte Begriffe
bloſe Momente des Schönen enthalten, ſeinen Weg nicht fortgeſetzt zu
dem Begriffe des Schönen als einer Totalität, er iſt vielmehr ſeiner
eigenen Einſicht untreu geworden.
Alle dieſe Beſtimmungen nun, wie ſie neben ihrer tieferen, doch ebenfalls
noch unzureichenden Anſicht die Griechen, conſequent aber dieſe Engländer
feſtſtellten, ſind zu eng und weil Anderes als das Schöne auch die Eigen-
ſchaften aufzuweiſen hat, die das Schöne begründen ſollen, ebenſoſehr
auch zu weit. Einiges Schöne wirkt z. B. vorzüglich durch Farbe, aber
weder durch Eine Farbe allein, wie ſehr ſie durch Reinheit ein entferntes
Symbol concreter Durchleuchtung eines gegliederten Gebildes durch die
Einheit der Idee ſeyn mag, noch durch Zuſammenwirkung verſchiedener
Farben, ſondern durch Zuſammenwirkung von Farben als der Oberfläche
einer Form; und es wirkt durch Farben auch Anderes, als das Schöne,
nämlich das blos Angenehme. Einiges Schöne wirkt vorzüglich durch Form
und zwar entweder durch ſtrict mathematiſche, worin die gerade Linie
und die ſtreng gemeſſene runde die Grundbeſtimmungen ſind (wie die
Baukunſt), oder durch ein Zuſammentreten gewundener Linien, deren
Proportion und Symmetrie nur von unſichtbar hindurchgehenden Maßen
beſtimmt erſcheint (wie die organiſche Geſtalt), aber jedes individuelle
Gebilde weicht von dem Grundmaße, wiewohl nur bis zu einer gewiſſen
Grenze, ab; die Form iſt es nicht allein, welche die Schönheit begründet,
ſondern Bewegung, Ausdruck u. ſ. w. kommt dazu, und Anderes, z. B.
mechaniſche Werke, gefällt ebenſo durch die Regelmäßigkeit der Form. Es
liegt freilich für das Formgefühl ein eigener Reiz in den reinen Winkeln,
Flächen, Rundungen, von denen Plato im Philebus ſpricht; allein dabei
ſetzt er ſchon Körper voraus, an denen ſie ſich zeigen, und äſthetiſch iſt
jener Reiz nur, ſofern in ihnen ein formbildender Geiſt geahnt wird,
der Körper baut nach dieſen Geſetzen, aber frei, d. h. ſo, daß das ſtrenge
Maß von ſpielenden Linien umfloſſen iſt.
§. 37.
Abgeſehen aber davon, daß jeder Verſuch, das Schöne auf andere Weiſe
zu begreifen, als durch Auffindung der ſpezifiſchen Art, auf welche die Gattungs-
regel und die Zufälligkeit des einzelnen Gebildes ſich durchdringen, oder es gar
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/122>, abgerufen am 03.12.2024.
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